Vorurteile
«Ich will die Leute zum Nachdenken bringen»: Die 18-jährige Anja kämpft gegen Ausgrenzung.
aktualisiert am 2. Juni 2020 - 12:30 Uhr
«Als ich klein war, wurde mein Vater in Zürich zweimal verhaftet. Angeblich, weil die Polizei auf der Suche nach einem unbekannten Schwarzen war. Im Zug, wo er als Dolmetscher jeweils erste Klasse fuhr, beleidigte ihn der Kondukteur mit der Frage: ‹Hat der Neger auch ein Billett?› Gehts noch?
In der Primarschule hatte ich das Gefühl, dass ich mehr leisten musste, um den Lehrer von meinem Können zu überzeugen. Mich hat das nicht verunsichert – es hat mich stark gemacht, ich habe von zu Hause genug Selbstvertrauen mitgekriegt. Aber ich fand es nervend, wenn immer alle meinten, dass ich eine schnelle Läuferin sein müsse. Ich bin nämlich eine miserable Joggerin. Paradoxerweise beobachte ich solche Vorurteile bei mir selber, wohl einfach, weil sie menschlich sind: Wenn ich Leichtathletik schaue und Schwarze und Weisse starten, denke ich im Hinterkopf auch, dass sicher ein Schwarzer gewinnt.
In meiner Maturaarbeit beschäftigte ich mich mit der unbewussten Diskriminierung dunkelhäutiger Menschen in einem weissen Land. Ich führte eine Onlineumfrage durch und verteilte Fragebögen. Ich wollte die Leute dazu bringen, über ihr Verhalten und ihre Wortwahl nachzudenken. Über Ausdrücke wie ‹Jetzt bin ich wieder der Neger› und ‹das schwarze Schaf in der Familie›. Die sind für einen schwarzen Menschen einfach diskriminierend. Bei der Umfrage gab es keine einzige farbige Person, die solche unbewussten Diskriminierungen nicht kannte. Mein Ziel war, die Aufmerksamkeit auf dieses gesellschaftliche Phänomen zu lenken.
Ich wünschte mir, dass die Menschen den Fremden mit Neugier begegnen könnten. Die Schweiz ist in meinen Augen grundsätzlich ein tolerantes Land. Ich fühle mich zu Hause hier. In ferner Zukunft wäre ich gerne in einer Position, in der ich Verantwortung trage und die Dinge mitgestalten kann.»