Seit zweieinhalb Jahren bringe ich Flüchtlingen Deutsch bei. Ich habe meinen eigenen Job als Schulleiter von 100 auf 80 Prozent reduziert, weil ich einen freien Tag haben wollte, an dem ich etwas für andere leisten kann. Mir und meiner Familie geht es so gut, ich fühle mich privilegiert, wie ich hier leben und arbeiten kann. Ohne Solidarität geht es nicht, das sieht man ja gerade jetzt auch in Europa.

Zufällig stiess ich damals in der «Neuen Zürcher Zeitung» auf einen Artikel über Deutschkurse für Flüchtlinge. Aus Neugier ging ich hin. Da einer Gruppe der Lehrer fehlte, sprang ich spontan ein. Seither bin ich jeden Freitag im Kirchgemeindehaus anzutreffen. Meine Schüler und Schülerinnen kommen aus Tibet, Eritrea, Somalia, Nigeria, Afghanistan oder Pakistan. Zurzeit sind auch viele Syrer hier. Mir gefällt der interkulturelle Austausch, das Improvisieren. Das Niveau reicht von knapp alphabetisiert bis zu B1, also zu Leuten, die den Alltag auf Deutsch relativ gut bewältigen können.

«Küchentischgriechisch beigebracht»

Ich bin selber viel gereist und weiss, wie Sprache Türen öffnen kann. Als junger Mann habe ich in Griechenland auf einem Hof gearbeitet, wo der Bauer mir Küchentischgriechisch beibrachte. Es braucht Menschen, die es einem vermitteln, sonst bleibt man fremd. Man kann Land und Kultur nur verstehen, wenn man auch die Sprache versteht – das ist der Schlüssel zur Integration. Ich bringe Tibetern oder Afghanen Deutsch bei und lerne gleichzeitig Tibetisch und Arabisch.

Mit meinen Schülern suche ich jeweils Zeitungsartikel aus, die wir besprechen. Dabei gibt es extrem berührende Geschichten. Manche erzählen von ihrer Flucht. Ein junger Pakistani ist mit 14 von zu Hause fort und war sechs Jahre auf der Flucht, bis er hier ankam. Er hat wirklich alles Üble erlebt, was man sich vorstellen kann. Von Kinderarbeit bis Folter – unglaublich, dass er trotzdem fröhlich und wissbegierig geblieben ist. Er musste fliehen, weil sein Vater politisch verfolgt wurde und in Haft war und die Familie befürchtete, dass auch er eingekerkert werden könnte. Jetzt lebt er hier im Asylheim und steht vor einer ungewissen Zukunft.

Im Winter werden noch viele kommen

Ein anderer erzählte, dass er schon vor zwei Jahren auf der Balkanroute war und von Schleppern ausgenutzt wurde, wie das heute medial überall ausgeschlachtet wird. Die Route ist nicht neu. Und bis zum Winter werden noch viele kommen, auch in die Schweiz, nur schon wegen der Kälte. Das sagen auch meine Schützlinge. Darauf müssen wir uns vorbereiten. Wir haben Platz und Geld, wir können und müssen das bewältigen. Nur wer weiss, wie gut es ihm geht, kann auch nachvollziehen, wie schlecht es andern geht. Helfen heisst für mich, anderen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen und mich auf den Austausch einzulassen. Ich bringe meinen Schülerinnen und Schülern zum Beispiel das Jassen bei und sie mir Spiele aus ihrer Heimat. Das ist manchmal lustig.

Unverständlich für mich ist, dass Flüchtlinge kaum in den Arbeitsprozess einbezogen werden. Kaum ein Arbeitgeber stellt jemanden mit F-Ausweis ein. Dabei fehlen uns etwa Erntehelfer, und gleichzeitig haben wir hier Menschen, die Zeit hätten und den Job machen würden. Aber man lässt sie aus politischen Gründen nicht arbeiten, weil man nicht will, dass sie sich integrieren. Was für ein Blödsinn! 

Dieser Artikel ist Bestandteil unserer Artikelserie «Die vielen Helden, die sich kümmern»: Was jede Schweizerin und jeder Schweizer tun kann, um das Leid der Flüchtlinge zu lindern.

zum Überblick der Serie – inklusive Schweizer Karte mit Hilfsprojekten für Flüchtlinge

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