Quelle: Thinkstock Kollektion

Diese Schimpansen lassen wirklich alle staunen, selbst erfahrenste Wissenschaftler. Japanische Zoologen haben nämlich im Urwald von Guinea in Afrika einen Affenstamm entdeckt, dessen Mitglieder eine Erfindungskraft und Intelligenz besitzen, wie sie bisher bei keinem Tier beobachtet wurde. Sie bauen sich Werkzeuge, und zwar sehr unterschiedliche, je nach Funktion. So clever sind keine ihre Artgenossen.

Nun sind erste Bilder dieser sensationellen Primatenbande erschienen, veröffentlicht in dem Buch «The Chimpanzees of Bossou and Nimba». Exklusiv durfte der Fotograf Anup Shah die Expeditionen des Japaners Tetsuro Matsuzawa aus Kyoto begleiten.

Dass Primaten Werkzeuge benutzen, ist nichts Neues. Faustkeil und Strohhalm nehmen sie zur Hand. «Überall auf der Welt machen sich Schimpansen, Orang-Utans und Gorillas ihre natürliche Umgebung zunutze», sagt Matsuzawa,  «um sich zu unterhalten, sich zu verteidigen, für den Lebensunterhalt und zu hygienischen Zwecken.» Aber kein Affe der Welt investiere so viel Zeit in die Werkzeug-Produktion wie die Schimpansen in Bossou, behauptet der Zoologe.

Diese Schimpansen angeln, wischen, säubern, schlagen, löffeln, loten, schöpfen, extrahieren, stampfen, hämmern. Sie tricksen Menschen aus und vertreiben Angreifer mit gezielten Steinwürfen oder grob gezimmerten technischen Hilfsmitteln. Sie basteln sich Schwämme aus zerkauten Pflanzen und falten Palmblätter zu Trinkbechern und Sitzkissen.

Insgesamt kommt Matsuzawa auf ein Repertoire von 24 verschiedenen Tätigkeiten, die sich seine Schimpansen im Laufe der Jahre mithilfe ihrer Werkzeuge angeeignet haben. Dabei stellen sich die Weibchen grundsätzlich geschickter an als die Männchen. Mit einer Ausnahme – wenn es ums Algen-Angeln in den nahe gelegenen Teichen geht.

Tricks bei der Obsternte

Die Kultur der Bossou-Affen macht sich schon in kleinen Dingen bemerkbar, bei der Obsternte zum Beispiel. Grundsätzlich kennen Verhaltensforscher drei Varianten. Erstens: Die Affen können die Früchte hängen lassen, bis sie überreif zu Boden plumpsen. Zweitens: Sie klettern in den Baum und pflücken. Drittens: Sie angeln mit langen Stöcken in der Krone. Eine vierte Variante pflegen die Affen von Bossou: Um an Palmfrüchte zu kommen, klettert ein Schimpanse in die Krone, stellt sich aufrecht hin, balanciert, reisst einen der grossen Wedel ab – und stochert damit so lange, bis er die Früchte zu einem dickflüssigen Brei püriert hat. Den verspeisen die Tiere dann gemeinsam.

Schon die Jungtiere spielen auf sehr eigene Art und sind anspruchsvoll: So geben sich die Affenkinder von Bossou nicht mit Stöcken als Spielzeug zufrieden, sondern suchen sich lebende Kuscheltiere – vorzugsweise Klippschliefer, die afrikanischen Verwandten des Murmeltiers. «Die jungen Schimpansen schleudern sie gegen Bäume, um sie zu betäuben oder zu lähmen, tragen sie mit sich herum, streicheln ihr Fell und spielen auch mit toten Klippschliefern wie mit Puppen», berichtet Matsuzawa.

Wie kam es zu dieser Kreativ-Enklave im Urwald? Warum gibt es noch Affen, die wie zu Urzeiten mit den Fingern nach Larven pulen, während ihre Artgenossen im Nachbarwald längst Essbesteck und Jagdwaffen erfunden haben? Auf diese Frage hat der Verhaltensforscher Carel van Schaik im Urwald von Sumatra eine Antwort gefunden: «An Orten, an denen die Mitglieder eines Clans mehr Zeit miteinander verbringen, beobachten wir ein größeres Repertoire an Innovationen. Die Menschenaffen lernen voneinander – und während sie lernen, fördern sie ihre Intelligenz: «Kultur macht schlau», sagt van Schaik.

Bei Matsuzawas Vorzeige-Schimpansen führt diese Kombination aus Wissbegierde und Kreativwerkstatt sogar so weit, dass die Tiere ihre menschlichen Nachbarn austricksen. Sie entschärfen die Fallen der Dorfbewohner. In weiten Teilen Afrikas ist es üblich, Drahtschlingen auszulegen, um Rohrratten oder Antilopen zu erlegen. Primatenforscher kritisieren das, da so auch Affen zu Tode kommen können.

Die smarte Gruppe in Guinea verletzt sich im Vergleich zu anderen Affen jedoch nur erstaunlich selten an den Fallen. Und die Forscher beobachteten denn auch einige ihrer Mitglieder, die ganz behutsam die Fallen unbrauchbar machten. Die Affen lockerten dazu die Drahtschlinge und die biegsamen Baumtriebe. Dabei vermieden sie es geschickt, die Schlinge selbst zu berühren.

Vermutlich haben die Affen auch dies, so glauben die Wissenschaftler, durch Beobachtung gelernt. Ganz kultiviert bewegen sie sich sogar im Verkehr, man glaubt es kaum. Um eine der teilweise viel befahrenen Urwald-Strassen sicher zu überqueren, wählen die Schimpansen innerhalb ihrer Gruppe bewusst eine geeignete Reihenfolge aus:

Die kräftigeren Männchen setzen sich an Anfang und Ende der Karawane, um den Lotsen zu machen, bleiben auf der Strasse stehen, schauen rechts und links, vergewissern sich, dass kein Auto kommt – und winken Weibchen und Jungtiere über die Piste. Dabei passen die Affen ihre Strategie der Gefahr an: An stärker befahrenen Strassen warten sie länger als an schmalen Wegen, auch wenn sich gerade kein Auto in Sichtweite befindet.

Meister im Nachäffen

Eine entscheidende Sache, die «uns» von «denen» aber immer noch unterscheidet, glaubt der Leipziger Max-Planck-Zoologe Michael Tomasello gefunden zu haben. Er nennt es den «Ratschen-Effekt». Demnach gelingt es nur dem Menschen, kulturell auf dem aufzubauen, was die Generation vor ihm gelernt hat – wie eine Ratsche, die sich immer einen Zacken weiter drehen lässt, aber nie zurück.

Diese Evolution von Kultur gebe es nur beim Menschen, behauptet Tomasello .«Affen äffen zwar auch nach», sagt er,« aber die wahren Meister im Nachäffen sind Menschenkinder.»

Und doch: Affenkinder können ihren menschlichen Cousins ziemlich nahekommen. Das hat sich bei den Schimpansen von Bossou gezeigt. So knacken Affen in Westafrika seit Jahrhunderten ihre Nüsse auf einem Amboss. Auch in Bossou macht man das so, aber hier ist die Evolution schon einen Schritt weiter gekommen: Die Schimpansen setzen sogar Steine unter den Amboss, um ihn in abschüssigem Gelände zu stabilisieren.