Strom ist mehr als das, was aus der Steckdose kommt – er ist elementar für eine funktionierende Gesellschaft. Mit der Abstimmung über das neue Energiegesetz entscheidet das Stimmvolk am 21. Mai über eine folgenschwere Neujustierung unserer Stromversorgung. Und auch wenn die Gegner auf ihren Wahlplakaten behaupten, wir müssten bei einer Annahme bald kalt duschen – das ist falsch, wir werden immer genug Strom haben. Viel wichtiger sind folgende Fragen: Woher kommt eigentlich unser Strom? Und wie viel kostet er mich?

Um die Energiewende zu bewerkstelligen, soll erstens der Bau neuer Kernkraftwerke verboten werden. Zweitens dürfen die fünf bestehenden AKW nach dem Ende ihrer Laufzeit nicht ersetzt werden. Schon 2019 wird mit Mühleberg das erste davon vom Netz gehen. Drittens werden erneuerbare Energien und Betreiber grosser Wasserkraftwerke finanziell unterstützt und viertens soll der Strom- und Energieverbrauch massiv reduziert werden. Das 46 Seiten umfassende Gesetz definiert auch Ziele betreffend CO2-Ausstoss oder Gebäudesanierungen, wie im Abstimmungsbüchlein detailliert vermerkt ist.

Energiewende: Wie kann sie gelingen?

 

Im Jahr 2015 produzierte die Schweiz insgesamt 63’661 Gigawattstunden (GWh) Strom. 60 Prozent davon stammen aus Wasserkraft, 34 Prozent von Kernkraftwerken. Der Anteil an erneuerbaren Energien wie Sonne oder Wind ist mit vier Prozent sehr gering. Das neue Gesetz schreibt nun vor, dass der Anteil an erneuerbarer Energie mehr als vervierfacht wird, um den Ausfall der fünf Kernkraftwerke zumindest teilweise zu kompensieren.

So soll sich der Strommix und der Stromverbrauch bis 2035 verändern

Als «erneuerbare Energien» gelten: Wind, Sonne, Geothermie, Biomasse. (Quelle: Bundesamt für Statistik)
 

Quelle: Alessandro Della Bella/Keystone

Um dieses sehr ambitionierte Ziel zu erreichen, müssten innert weniger Jahre Hunderte neuer Windkraft- und Solaranlagen bewilligt und gebaut werden. Das wird bei Annahme des Gesetzes begünstigt durch ein schnelleres Bewilligungsverfahren und durch finanzielle Unterstützung in Millionenhöhe. Das Potenzial von Wasserkraft dagegen ist laut Bundesrat in der Schweiz mehrheitlich ausgeschöpft. Bleiben die erwarteten technologischen Fortschritte betreffend Produktion und Speicherung erneuerbarer Energien aus, muss die fehlende Grundlast importiert werden: das ist dann entweder Kohlestrom aus Deutschland oder Atomstrom aus Frankreich. Es sei denn, es werden in der Schweiz neue Gaskombikraftwerke gebaut. Grundlast bezeichnet den notwendigen Grundbedarf an verfügbarem Strom, die niemals unterschritten werden darf.

Noch ambitionierter ist die geplante Senkung des Pro-Kopf-Stromverbrauchs um 13 Prozent bis ins Jahr 2035. Dies soll erreicht werden, indem Gebäudesanierungen finanziell unterstützt und verschärfte technische Vorschriften für Elektrogeräte eingeführt werden. Doch bis ins Jahr 2015 nahm der totale Stromverbrauch weiterhin leicht zu (bspw. wegen Zuwanderung, Digitalisierung oder Elektroautos). Der Pro-Kopf-Verbrauch allerdings hat in den letzten Jahren abgenommen.

Mehrkosten: 40 oder 3200 Franken pro Jahr?

 

Zu den Kosten, dem grössten Streitpunkt im Abstimmungskampf. Wenn Bundesrätin Doris Leuthard davon spricht, dass eine vierköpfige Familie mit einem Stromverbrauch von 4500 kWh pro Jahr rund 40 Franken mehr wird bezahlen müssen, dann hat sie recht. Denn eine Erhöhung der Stromrechnung um 0,8 Rappen pro verbrauchte Kilowattstunde (kWh) ist im Gesetz explizit vorgesehen. Diese Bundesabgabe, auch kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) genannt, wird zur Förderung erneuerbarer Energien und grosser Wasserkraftwerke erhoben. Mit einer Erhöhung von 0,8 Rappen pro kWh lassen sich für den Bund Mehreinnahmen von 450 Millionen Franken generieren (siehe Box: So kommt der Strompreis zustande). Dieser Zuschlag für Fördermassnahmen ist zeitlich befristet, verspricht der Bundesrat.

So kommt der Strompreis zustande

Der Strompreis setzt sich im Wesentlichen aus drei Komponenten zusammen, die auch jeweils rund einen Drittel der Gesamtkosten ausmachen: Netznutzungstarif, Lieferpreis und Steuern. Die Preise variieren von Gemeinde zu Gemeinde und von Anbieter zu Anbieter.

 

  1. Netznutzungstarif: Preis für den Stromtransport vom Kraftwerk bis ins Haus. Mit den Einnahmen wird die Wartung und der Ausbau des Stromnetzes finanziert. Je entlegener jemand wohnt, desto eher wird er hier mehr bezahlen müssen.
    Schweizerischer Durchschnittspreis: 8,53 Rappen pro kWh.
  2. Lieferpreis: Preis für die gelieferte elektrische Energie. Diese Energie erzeugt der Netzbetreiber entweder mit eigenen Kraftwerken, oder er kauft sie von Vorlieferanten ein. Der Energiepreis wird auch von der Art der Energiequelle beeinflusst. So führen hohe Anteile an erneuerbaren Energien (bspw. Wind oder Sonne) in der Regel zu höheren Preisen.
    Schweizerischer Durchschnittspreis: 6,83 Rappen pro kWh.
  3. Steuern: Kommunale und kantonale Abgaben und Gebühren sowie die Bundesabgaben. Die Höhe der Bundesabgabe wird jährlich vom Bundesrat festgelegt und ist überall gleich hoch - sie liegt momentan bei 1,5 Rappen pro kWh.
    Schweizerischer Durchschnittspreis: 5,59 Rappen pro kWh.

Total schweizerischer Durchschnittspreis: 20,59 Rappen pro kWh. Ein Haushalt, der pro Jahr 4500 kWh an Strom verbraucht, hat damit eine Stromrechnung von 926.55 CHF pro Jahr. Dieser Wert wird sich nach Annahme des Energiegesetzes auf 962.55 CHF erhöhen.


Quelle: Eidgenössische Elektrizitätskommission ElCom

 

Ausgenommen von dieser Steuererhöhung sind Firmen, die besonders stark auf Strom angewiesen sind und diesen intensiv nutzen müssen. Diese rund 100 Firmen können den Zuschlag zurückfordern. Dieser Mechanismus sei eingebaut worden, um die Interessen der herstellenden Wirtschaft zu schützen, so der Bundesrat.

 

Auf einer anderen Ebene ist die Rechnung der Gegner angesiedelt: Wenn SVP-Präsident Albert Rösti davon spricht, dass eine vierköpfige Familie 3200 Franken pro Jahr zusätzlich wird bezahlen müssen, dann schliesst er das geplante zweite Massnahmenpaket mit ein. Ausserdem meint er Steuergelder, nicht die individuelle Stromrechnung. Falls die Energiewende konsequent umgesetzt wird, dann würden gemäss Schätzung der Gegner Kosten von insgesamt 100 bis 200 Milliarden Franken anfallen - verteilt auf die Jahre 2020 bis 2050. Runtergerechnet auf den einzelnen Bewohner macht das theoretisch etwa 800 Franken pro Jahr. Diese Kosten würden für den Um- und Ausbau des Stromnetzes sowie für weitere Fördergelder anfallen.

 

Als Fazit lässt sich festhalten, dass die aktuelle Kostendiskussion ein Nebenschauplatz ist. Die Preise für Sonnen- und Windenergie sind zwar derzeit rund viermal höher als von Wasser- und Kernkraft, aber diese Preise dürften sinken. Es ist nicht absehbar, wie sich der Strompreis in der Zukunft entwickeln wird. Klar ist einzig, dass für den notwendigen Um- und Ausbau des Stromnetzes tatsächlich Steuergelder in Milliardenhöhe nötig sein werden. Und dass die Stromrechnung jedes Haushalts ebenfalls steigen wird.

 

Dieses Fazit bestätigen auch praktische Erfahrungen aus Zürich und Deutschland:

 

  1. Stadt Zürich: Die Stimmbürger der Stadt Zürich haben letztes Jahr beschlossen, bis 2034 aus der Kernenergie auszusteigen. Um das zu erreichen, sind die kantonalen Abgaben bereits um 0,6 Rappen pro kWh angehoben worden (macht 28 Franken pro Jahr für einen Vierpersonen-Haushalt). Dazu wurde ein Rahmenkredit von 200 Millionen Franken bewilligt, damit die Elektrizitätswerke diesen Ausstieg angehen können. Gerechnet auf den einzelnen Einwohner belaufen sich die aus Steuern bezahlten Kosten auf 48 Franken pro Jahr – zusätzlich zur leicht erhöhten Stromrechnung.
  2. Deutschland: Es ist das einzige Land der Welt, das die Energiewende konsequent durchzieht. Und dort sind die Kosten ausser Kontrolle geraten: Gemäss einer Studie müssen – für die Jahre 2000 bis 2025 gerechnet – rund 520 Milliarden Euro für die Energiewende alleine im Bereich der Stromerzeugung aufgewendet werden. Pro Einwohner entspricht das theoretischen Mehrkosten von 252 Euro pro Jahr. Gleichzeitig hat sich die Produktion von Kohlestrom massiv erhöht, was nicht zu einer klimafreundlichen Stromproduktion beiträgt.


Quellen für diesen Artikel: Bundesamt für Energie BFE, Eidgenössische Elektrizitätskommission ElCom, Bundesamt für Statistik BFS.

Mehr zum Thema

 

Standpunkt: Keine Energie verschwenden

In der Energiestrategie 2050 geht es um die Grundsatzfrage, woher die Schweiz in den kommenden Jahrzehnten ihre Energie beziehen, wie sie sie produzieren und wo sie sie einsparen will. Ein Meinungsbeitrag von Thomas Angeli aus dem Herbst 2014.

zum Artikel

Quelle: Thinkstock Kollektion