Rasantes Wachstum, schwindelerregende Profite: Dem Rohstoffsektor geht es ausgezeichnet. Gerade hat etwa Glencore das Jahresergebnis 2022 präsentiert: Über 17 Milliarden US-Dollar Gewinn, plus 248 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Und auch das war schon ein Rekordjahr. 

Erdöl, Mineralien, Metalle. Der ganze Sektor boomt, und die Schweiz gehört zu den grössten Handelsplätzen für Rohstoffe. Bei Getreide, Zucker und Baumwolle ist sie sogar Weltmarktführerin. NGOs werfen der Branche schon lange notorische Intransparenz vor, verweisen auf ihre Probleme mit Korruption, Geldwäscherei und der Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards. 

Bereits vor zehn Jahren stellte auch der Bundesrat im Grundlagenbericht Rohstoffe fest, dass im Rohstoffsektor ernstzunehmende Reputationsrisiken für einzelne Unternehmen und für die Schweiz drohen. Wegen der wachsenden innen- und aussenpolitischen Bedeutung gründete der Bund damals eine interdepartementale «Plattform Rohstoffe», die die Entwicklungen in diesem Bereich mitverfolgen und für einen wettbewerbsfähigen und integren Wirtschaftsstandort Schweiz sorgen soll. 

Das ging der Organisation Public Eye zu wenig weit. Wirkungsvolle Vorschläge, wie sich die Risiken der Branche minimieren liessen, würden fehlen, kritisierte sie. Und präsentierte kurz darauf eine eigene Lösung: die Gründung einer Rohstoffmarktaufsicht, kurz Rohma. Sie sollte für die Rohstoffbranche die gleiche Funktion übernehmen wie die Finma, die eidgenössische Finanzmarktaufsicht, für Banken und Versicherungen.

Neue Ausgangslage wegen Boom

Daraus wurde aber nichts, obwohl die Forderung auch die Politik beschäftigte. Wenige Tage nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine reichte etwa Grünen-Nationalrätin Franziska Ryser eine Motion ein, mit der sie erneut die Schaffung einer solchen Aufsichtsbehörde vorschlug. Der Krieg habe die enge Verflechtung des Rohstoffhandelsplatzes Schweiz mit autokratischen Regimes auf tragische Weise wieder in den Blickpunkt gerückt, begründete sie. Ein Fehlverhalten einzelner Firmen könne den Ruf der Schweiz schwer beschädigen, eine Aufsichtsbehörde dieses Risiko jedoch mindern. Der Bundesrat war aber der Meinung, dass die bestehenden Gesetze genügen. 

Jetzt zeigen neue Berechnungen von Public Eye: Wegen der hohen Krisengewinne erwirtschaftete die Branche 2021 schon 8 Prozent des Schweizer Bruttoinlandprodukts (BIP). 2017 war es noch halb so viel. Damit sei die Rohstoffbranche von ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung heute praktisch gleichauf mit dem Finanzmarkt (mit 9 Prozent BIP-Anteil). Offizielle Zahlen zur Wertschöpfung der Branchen liegen zwar für 2022 noch nicht vor, dank den Rekordumsätzen der Rohstoffhändler im letzten Jahr dürfte die Branche aber wohl mit den Banken und Versicherungen gleichziehen. 

«Die Risiken im Rohstoffsektor stehen in keinem Verhältnis zu den gesetzlichen Grundlagen oder Regulierungsbemühungen in der Schweiz.»

Silvie Lang, Public Eye

Braucht es angesichts der neuen Ausgangslage jetzt doch eine Aufsichtsbehörde für Glencore und Co.? «Mit der Grösse steigt auch die Verantwortung der Schweiz als Sitzstaat dieser Hochrisikobranche, die die äusserst profitablen Unternehmen mit ihrer Tiefsteuerpolitik und Regulierungsscheu systematisch anlockt», sagt Silvie Lang von Public Eye. Der Krieg gegen die Ukraine habe die Dringlichkeit einer Rohstoffmarktaufsicht noch einmal verdeutlicht. Sei es wegen der zögerlichen Durchsetzung der Sanktionen, der fehlenden Transparenz oder der historischen Rekordgewinne der Händler, während Millionen von Menschen von Ernährungs- und Versorgungsunsicherheit bedroht seien, sagt Lang weiter. «Die Risiken im Rohstoffsektor stehen in keinem Verhältnis zu den gesetzlichen Grundlagen oder Regulierungsbemühungen in der Schweiz.» 

Probleme bei Sanktionen

Für Franziska Ryser ist ein Jahr nach ihrem Vorstoss im Parlament klar, dass das Thema nicht fertig abgehandelt ist. «In den letzten Monaten ist viel passiert. Bis heute wird der Krieg seitens Russlands immer noch über Rohstoffe finanziert, und da spielt die Schweiz als Handelsplatz und Transitland eine Rolle, die nicht unkritisch ist.» Man könne zwar nicht direkt sagen, dass die Schweiz Russlands Krieg finanziere, aber unser Land fungiere zumindest als eine Art Bank für Putin. Aus ethischer Sicht sei das fragwürdig. «Dass es mit der Einhaltung der Sanktionen nicht reibungslos läuft, unterstreicht die Notwendigkeit einer Aufsicht. Ich will nicht allen Unternehmen unterstellen, dass sie die Sanktionen nicht befolgen, aber das Reputationsrisiko ist gross und bei einem gröberen Verstoss im Rohstoffbereich würde das die ganze Schweiz betreffen, wie damals beim Bankenplatz.» 

Ryser überlegt sich deshalb, Ihre Forderung im Parlament nochmals einzubringen. Vor allem, weil sich die Schweiz im Moment in die andere Richtung bewege: «Wir beraten im Parlament gerade die Tonnagesteuer, mit der es sogar neue Vergünstigungen für die Rohstoffbranche geben soll.» 

Public Eye sieht neben dem Parlament besonders das Finanzdepartement (EFD) in der Pflicht bei der Schaffung einer solchen neuen Aufsichtsbehörde. Dieses will sich dazu aber nicht äussern, man habe der Antwort des Bundesrats auf die Motion von Franziska Ryser nichts hinzuzufügen. Auch auf die Frage, was denn für Bedingungen herrschen müssten, um eine verstärkte Aufsichtstätigkeit zu rechtfertigen, gibt es keine Antwort. 

Branchen nicht vergleichbar?

Die Forderung stösst nicht nur beim Bund auf Skepsis. FDP-Nationalrat Beat Walti sagt, man könne den BIP-Vergleich zwischen Rohstoff- und Finanzbranche schon machen, aber die Bedingungen seien trotzdem unterschiedlich: «Die Rohstoffmärkte sind global, wir sind nur ein Glied in der Wertschöpfungskette. In der Finanzwelt ist die Situation anders, da können Anleger- und Sparerinteressen schnell ein kritisches Mass in der hiesigen Bevölkerung erreichen.» Zudem könne man die hohen Gewinne der Rohstoffbranche verschieden einordnen: Es gebe eine grosse Volatilität in diesem Sektor, und die Firmen hätten deshalb auch schon entsprechende Verluste einfahren müssen. Die aktuell hohen Gewinne würden ja abgeschöpft, der Fiskus werde sich freuen über die Steuereinnahmen.

«Es ist ein berechtigtes Anliegen, an Transparenz haben alle ein Interesse, ich will das nicht kleinreden», sagt Walti. Aber man habe ja mit dem Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative gewisse neue Regeln eingeführt. «Man sollte diese zuerst wirken lassen, bevor man sofort wieder neue Strukturen einführt. Es muss für die Firmen, die man in die Pflicht nimmt, auch eine gewisse Verlässlichkeit geben.»

Die besten Artikel – Woche für Woche
«Die besten Artikel – Woche für Woche»
Tina Berg, Redaktorin
Der Beobachter Newsletter