Die Abstimmungskämpfe vom letzten Herbst brachten bürgerliche Seelen zum Kochen. Denn beim Jagdgesetz und bei der Konzernverantwortungsinitiative (Kovi) legten sich viele gemeinnützige Organisationen mächtig ins Zeug. Verschiedene Volksvertreter sehen darin einen Widerspruch: Wer direkt oder indirekt Geld vom Staat bekommt, soll nicht Politik für eine Seite machen.

So reichten in den letzten Wochen Bürgerliche diverse Vorstösse im Parlament ein. Man müsse die Steuerbefreiung gemeinnütziger Organisationen aufheben, wenn sie politisch aktiv seien, fordern sie. Oder: Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die sich an politischen Kampagnen beteiligen, sollen keine Subventionen mehr erhalten.

Als Erste bekommen den Kovi-Frust jene NGOs zu spüren, die in der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind und von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) sogenannte Programmbeiträge erhalten.

Die Deza gehört zum Aussendepartement von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis. Kurz vor Abschluss der neuen Beitragsverträge hat sein Departement eine zusätzliche Klausel eingeführt: Für ihre Informations- und Bildungsarbeit im Inland dürfen die Hilfswerke keine Deza-Gelder mehr einsetzen. Broschüren über ihre Schwerpunkte und Unterrichtsmaterialien für Schulen müssen sie von nun an aus anderen Mitteln finanzieren.

Geld zurück an den Bund

Bisher war es bloss verboten, für politische Kampagnen- und Lobbyarbeit Deza-Gelder zu verwenden. Doch die Abgrenzung sei teils schwierig, so die Begründung für die Verschärfung. Das habe der Fall von Solidar Suisse gezeigt: Das Hilfswerk hatte in einer Broschüre über Kinderarbeit die Konzernverantwortungsinitiative erwähnt und musste darum 24'000 Franken an den Bund zurückzahlen.

Aktuell erhalten 27 Hilfswerke für ihre internationalen Programme Beiträge von der Deza, insgesamt 136 Millionen Franken pro Jahr. 18 NGOs haben Informations- und Bildungsarbeit für 19 Millionen geplant. Es würden weder Gelder gekürzt, noch verpasse man den Hilfswerken einen Maulkorb, heisst es bei der Deza. Das Gesamtbudget bleibe gleich, Informationsarbeit im Inland sei weiterhin erlaubt. Sie dürfe bloss nicht mit Deza-Geldern finanziert werden.

Für die Hilfswerke kann das dennoch zum Problem werden. «Es ist allgemein schwieriger, Spender zu finden für Informationskampagnen als für konkrete Projekte», sagt Fastenopfer-Direktor Bernd Nilles.

Beim Fastenopfer habe man von den insgesamt rund 6 Millionen Franken Deza-Programmbeiträgen rund 600'000 für Information und Bildung budgetiert. Dazu gehören zum Beispiel eine Website zu Klimagerechtigkeit mit Kurzfilmen von Betroffenen oder das Kinder- und Jugendmagazin «Tut». Man könne dafür nicht einfach andere Spenden verwenden, weil sie oft zweckbestimmt seien. «Wir versuchen unser Bestes, mitten in der Pandemie neue Finanzquellen zu erschliessen.»

Zweierlei Massstab

Bei der Helvetas hatte man von insgesamt 8 Millionen rund 300'000 Franken für Informationsarbeit einplant, etwa die interaktive Wanderausstellung «Globales Glück», die Zusammenhänge rund um Armut und nachhaltige Entwicklung vermittelt. Man müsse die Lücke nun über Mitgliederbeiträge finanzieren.

Was auffällt: Die Hilfswerke müssen ihre Aufklärungsarbeit selber bezahlen, aber andere Organisationen erhalten genau dafür Geld vom Staat. Viele landwirtschaftliche Verbände etwa bekommen Millionen für die sogenannte Absatzförderung. Damit informieren sie über ihre Erzeugnisse und machen Werbung, auch an Schulen. Auf Gesuch hin übernimmt der Bund maximal die Hälfte der Kosten dafür.

2019 erhielt zum Beispiel die Milchproduzentengenossenschaft Swissmilk 8,4 Millionen Franken, die Fleischbranchenorganisation Proviande 5,7 Millionen, der Gemüseproduzentenverband 850'000 und der Obstverband 1,9 Millionen. Weitere 2,2 Millionen Franken gingen an den Schweizer Bauernverband, für die Öffentlichkeitsarbeit.

Unpolitisch ist anders

Viele dieser Verbände, allen voran der Bauernverband, sind auch politisch aktiv. Sie weibeln derzeit gegen die Trinkwasser- und die Pestizidinitiative, die im Juni zur Abstimmung kommen. Auch die Agrarverbände dürfen mit den Subventionen keine politischen Kampagnen finanzieren. Alle betonen: Die Kassen seien strikte getrennt, das werde von der Finanzkontrolle überwacht. Bei den Programmbeiträgen der Deza ist und war das allerdings auch so.

Probleme mit der Abgrenzung ergeben sich auch bei der Vermarktung von Agrarprodukten. Denn Werbung ist einseitig und blendet negative Aspekte aus. Da ist man schnell bei Tier- und Umweltschutzfragen. Völlig unpolitisch ist die Absatzförderung deshalb nicht.

«Es ist unverständlich, dass die Informations- und Bildungsarbeit der Hilfswerke eingeschränkt wird, während Organisationen wie der Bauernverband mit Bundesgeldern massive Informationskampagnen lancieren dürfen», sagt Marco Fähndrich von der entwicklungspolitischen Organisation Alliance Sud. «Da wird mit unterschiedlichen Ellen gemessen.»

Strikte bürgerliche Antwort

Die andere Frage ist, ob und wie sich Organisationen mit ihren eigenen Mitteln überhaupt in die Politik einmischen dürfen, wenn sie zugleich von öffentlichen Geldern profitieren. Kaum oder gar nicht, lautet die bürgerliche Antwort.

FDP-Ständerat Ruedi Noser etwa nimmt die steuerbefreiten Organisationen ins Visier. Er findet: Wer politische Kampagnen führt oder Initiativen und Referenden lanciert, handelt nicht gemeinnützig, sondern im eigenen Interesse. «Das schliesst in meinen Augen eine Steuerbefreiung aus.» Kein Problem sind für ihn Empfehlungen für Abstimmungen. «Auf jeden Fall braucht es eine Klärung, welche Kriterien für alle gelten sollen.» In einer Motion fordert Noser eine entsprechende Überprüfung.

FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann geht noch weiter. Sein Vorstoss zielt nur vordergründig auf NGOs, meint faktisch aber alle: «Jeglichen Institutionen, die über irgendeinen Kanal öffentliche Gelder erhalten, sollten politische Propaganda, Kampagnen oder direkte parteipolitische Zusammenarbeit untersagt sein.» Eine klare Trennung von gemeinnützigem und politischem Engagement sei schwierig, darum brauche es strengere Abgrenzungsregeln.

Treffen würde das auch Interessensverbände, die dem Zürcher FDP-Nationalrat politisch durchaus nahestehen: «Zusammen mit den Gewerkschaften erhalten etwa auch Arbeitgeberverbände Bundesgelder in Millionenhöhe für die Lohnschutzkontrollen oder im Bereich Berufsbildung.» Man stelle sich vor: eine Rentenreform, ohne dass die Sozialpartner mitreden. «Solche Institutionen können ja unabhängige Vereine gründen, normal Mitglieder werben und sich mit anderem Personal politisch engagieren», meint Portmann.

«Interessenkonflikte lassen sich durch die richtige Governance ausräumen.»

Fredy Greuter, Arbeitgeberverband

Fredy Greuter vom Arbeitgeberverband wundert sich: «Das würde unser Milizsystem auf den Kopf stellen.» Organisationen, die staatliche Aufträge übernehmen, brauchten keinen Maulkorb. «Interessenkonflikte lassen sich durch die richtige Governance ausräumen.»

«Höchst problematisch» findet Portmanns Idee auch die Schweizerische Offiziersgesellschaft, die sich zuletzt gegen die Kriegsmaterialinitiative einsetzte. Laut Präsident Stefan Holenstein würde «die Daseinsberechtigung vieler weiterer Milizverbände in Frage gestellt».

Auch bei Proviande findet man klare Worte: «Die Demokratie lebt von kritischen Stimmen und verschiedenen Meinungen – egal, ob von Privatpersonen, NGOs oder Verbänden», sagt Sprecherin Regula Kennel.

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