Die Schweiz nutzt die Sonnenenergie noch zu wenig und hinkt den europäischen Nachbarländern ziemlich hinterher. Das zeigt eine im Mai von der Schweizerischen Energie-Stiftung SES publizierte Studie.

Im Vergleich mit den 28 EU-Staaten liegt die Schweiz mit der Pro-Kopf-Stromproduktion aus Sonne und Wind auf Platz 24. Nur Ungarn, Slowenien, Lettland, die Slowakei und die Tschechische Republik produzieren noch weniger Wind- und Solarstrom. Rund 4 Prozent machte Photovoltaik 2019 am gesamten Stromverbrauch der Schweiz aus, nicht viel mehr als noch vor ein paar Jahren. «Dabei wäre das die einfachste aller Klimaschutzmassnahmen : hier und jetzt Vollgas geben beim Ausbau der erneuerbaren Energien», sagt Felix Nipkow von der SES.  

Sonnenenergie Solarenergie fürs Eigenheim Strom von der Sonne anzapfen ist durchaus beliebt, wie eine Befragung der Universität St. Gallen von Schweizer Konsumenten letztes Jahr zeigte. Über 80 Prozent unterstützen den Ausbau. 

Solche, die es tatsächlich anpacken wollen, stossen heute aber oft auf Hürden. Familie Barth zum Beispiel, die einen Bauernhof in Altnau führt, in der Nähe des Bodensees. Vor ein paar Jahren bauten sie eine grosse Halle und wollten im letzten Winter eine Solaranlage aufs Dach installieren lassen. «Eigentlich hätten wir gerne eine doppelt so grosse gehabt. Aber weil wir in einer Landwirtschaftszone sind, ist das mit der Baubewilligung ab einer bestimmten Grösse sehr umständlich. Es hätte Jahre gedauert. Darauf wollten wir nicht warten», erklärt Rita Barth. Jetzt haben sie eine Anlage mit 30 Kilowatt Leistung, deren Strom sie grösstenteils für den Eigenverbrauch nutzen. Vom Bund erhalten sie dafür einen einmaligen Investitionsbeitrag. 

Finanziell wenig attraktiv

Oder Mario Brühwiler, Geschäftsleiter der Firma Hydraul Technik in Buchrain, nahe Luzern. Zur Zeit baut er für den Betrieb ein neues Gebäude, in dem Werkstatt und Büros unterkommen sollen. Da es in Luzern seit wenigen Jahren ein neues Energiegesetz gibt, das für bestimmte Bauten eine minimale Photovoltaikanlage vorschreibt, wird künftig auf seinem Dach Solarstrom produziert. Allerdings hätte die Anlage auch rund fünf Mal grösser ausfallen können als das gesetzliche Minimum. «Platz wäre genug da. Wenn der finanzielle Anreiz grösser wäre, hätte ich bestimmt mehr gemacht. Aber es kostet viel und man muss schon sehr überzeugt davon sein, wenn man eine Anlage baut, die sich finanziell nicht lohnt», sagt Brühwiler. 

«Das ist genau das Problem: In der Schweiz hat man nur einen Anreiz, kleine Solaranlagen «Quartierstrom» in Walenstadt Günstiger Strom von Nachbars Dach zu bauen», sagt David Stickelberger, Geschäftsleiter des Fachverbands Swissolar. «Genauer gesagt, solche mit einem hohen Anteil Eigenverbrauch. In sehr vielen Fällen ist die Vergütung, die man fürs Einspeisen des überschüssigen Stroms ins Stromnetz bekommt, tiefer als der Erzeugungspreis. Verbraucht man den Strom aber gleich selbst, dann geht die Rechnung auf, denn die vom Netz bezogene Energie ist teurer», erklärt Stickelberger. Bei einem Solardach auf einem Einfamilienhaus rechne sich das deshalb heute eher als bei grossen Anlagen. Denn je grösser die Anlage, desto kleiner normalerweise der Eigenverbrauch. «Viele sehr interessante Dächer in der Landwirtschaft oder auf Lagerhäusern fallen deshalb weg. Das ist schade, denn mit grossen Anlagen käme man dem Ziel schneller näher.»

Potenzielle Grossinvestoren wie die Schweizer Stromkonzerne oder Kantons- und Stadtwerke steckten ihr Geld deshalb in den letzten Jahren eher in Projekte im Ausland. Der Verein «Energie Zukunft Schweiz» hat in einer Studie berechnet, dass Schweizer Investoren und Energieversorger wie SUSI Partners, Alpiq oder EKZ bis Ende 2019 stark in europäischen Nachbarländern in neue erneuerbare Energien wie Wind- und Solarkraft investiert haben. Ganze 11,5 Terawattstunden Strom liefern die betreffenden Anlagen pro Jahr. Zum Vergleich: Die Schweiz verbraucht pro Jahr nur rund das Fünffache an Strom, nämlich 57 Terawattstunden.

Ungenutztes Potenzial in der Schweiz

Derweil wird Solarenergie nicht nur immer billiger, es liegt in der Schweiz auch viel Potenzial brach. Das Bundesamt für Energie BFE schätzt, dass Schweizer Hausdächer und -fassaden jährlich 67 Terawattstunden Solarstrom produzieren könnten – was den gesamten jährlichen Verbrauch der Schweiz deutlich übersteigt. 

Und das ist nur das Potenzial von Sonnenenergie auf Häusern. Weitere nutzbare Infrastrukturen wie Stauseen, Lärmschutzwände oder Parkplatzüberdachungen sind nicht einberechnet. Zudem: Die Solarenergie muss natürlich nicht die gesamte Stromproduktion der Schweiz abdecken. Im «Wasserschloss» Schweiz macht die Wasserkraft heute über die Hälfte der Produktion aus und wird auch weiterhin einen grossen Teil des erneuerbaren Stroms liefern.

Die Schätzungen zum Sonnenpotenzial gehen aber teilweise weit auseinander – eine neue Studie der ETH Lausanne beziffert das Potenzial auf Hausdächern auf nur 24 Terawattstunden, wie die NZZ am Sonntag berichtet. Also ungefähr auf die Hälfte dessen, was das BFE berechnet hat. Wie dem auch sei: mehr als die heutigen rund 2,5 Terawattstunden geht allemal.

Wieso lassen aber die Grossinvestoren das Schweizer Potenzial ungenutzt? Wegen den schlechteren Investitionsbedingungen: «In der Schweiz lohnen sich heute grossflächige Investitionen in erneuerbare Energien kaum», sagt beispielsweise die Axpo. Auch bei Alpiq heisst es: «Ohne direkten Eigenverbrauch oder Zusammenschlüssen zu Eigenverbrauchsgemeinschaften sind Photovoltaik-Anlagen in der Schweiz nicht rentabel.» Aber: Sobald die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen stimmen und es sich lohne, hierzulande in grosse Anlagen zu investieren, würde Alpiq «situativ entsprechende Projekte sicher prüfen».

Europäisches Finanzierungsmodell auch in der Schweiz?

Am Strommarkt lässt sich seit Jahren wenig Geld verdienen und wenn es wegen den Witterungsbedingungen plötzlich einen Überschuss an Solar- und Windstrom in Europa gibt, sacken die Preise teilweise gar ins Minus ab. Solange der Anteil erneuerbarer Energie zunimmt, aber gleichzeitig die Atom - und Kohlekraftwerke noch nicht abgeschaltet sind, bleibt das Überangebot in Europa bestehen. Die meisten europäischen Staaten haben deshalb in jüngster Zeit auf ein neues Fördermodell umgeschwenkt, um Investitionen trotzdem attraktiv zu machen: auf Auktionen. Bei diesen wettbewerblichen Ausschreibungen erhält derjenige, der das günstigste Angebot macht, den Zuschlag. Quasi als Versicherung garantieren zudem einige Staaten, dass sie über eine vereinbarte Laufzeit, zum Beispiel von 20 Jahren, bei zu tiefen Marktpreisen die Differenz zum vereinbarten Preis übernehmen. Liegt der Marktpreis darüber, zahlt der Staat nichts. Betreiber werden so vor zu starken Preisschwankungen geschützt.

Das scheint auch in der Schweiz auf Anklang zu stossen. So haben sich die grössten Energieversorgungsunternehmen, Stadtwerke und Branchenverbände unter der «Allianz Schweizer Energiewirtschaft» zusammengeschlossen und weibeln dafür. Axpo-Mediensprecher Antonio Sommavilla sagt: «Das Modell ist bewährt und äusserst effizient: mehr produzierte Kilowattstunden pro Förderfranken.» Und Alpiq sieht einen weiteren Vorteil des europäischen Modells: «Eine Angleichung an das System der Nachbarländer, zum Beispiel Deutschland und Frankreich, hätte den Vorteil, dass die Anreize in der Schweiz zu investieren, vergleichbarer werden.» 

Bundesrat will Ausbau beschleunigen

Die BKW ist als einzige der grossen Energieproduzenten nicht bei der Allianz dabei. Sie befürwortet zwar ebenfalls einen Umstieg auf ein Finanzierungsmodell basierend auf Auktionen. Allerdings anders ausgestaltet: statt eines langjährigen fixierten Preises sollen die Gewinner von Auktionen eine Anschubfinanzierung erhalten, eine Einmalvergütung. «Dies ermöglicht einen rascheren und einfacheren Übergang in ein rein marktwirtschaftliches System, da die öffentliche Hand mit den einmaligen Investitionsbeiträgen keine langjährigen Zahlungsverpflichtungen eingehen muss», sagt BKW-Mediensprecher Gilles Seuret. Damit würden für Investoren Anreize geschaffen, ihre Anlagen effizient und nach den Bedürfnissen des Marktes zu betreiben, erklärt er.

Der Bundesrat will jetzt auch auf wettbewerbliche Ausschreibungen umsteigen. Die gegenwärtigen Finanzierungsmodelle laufen sowieso 2022 und 2030 aus, weshalb derzeit eine Revision des Energiegesetzes im Gange ist. In Bericht heisst es: «Der Bundesrat strebt an, insbesondere den Ausbau der Photovoltaik zu beschleunigen.» Man wolle mehr Planungssicherheit für Investoren schaffen. Die Vernehmlassung endete Mitte Juli. 

Für Diskussion – insbesondere auf Twitter – sorgt aber die Tatsache, dass der Bundesrat Einmalvergütungen vorschlägt, statt die Variante, auf die viele Nachbarländer setzen. Das findet die Axpo nicht zielführend, solche Investitionsbeiträge würden sich nur für kleine Anlagen eignen. Um die Ausbauziele der Energiestrategie 2050 zu erreichen, brauche es aber vermehrt Grossanlagen. Solche seien während Jahrzehnten den volatilen Strompreisen ausgesetzt, weshalb die in Europa etablierte Auktions-Variante mit «gleitenden Marktprämien», mit denen Preisschwankungen ausgeglichen werden können, zu bevorzugen seien.

Politisch mehrheitsfähig

Welches Modell es denn schlussendlich auch wird – unterstützt werden Auktionen als Finanzierungsmodell auch von Bürgerlichen. FDP-Ständerat Damian Müller befürwortet sie: «Wenn Auktionen richtig ausgestaltet werden, können sie den Ausbau von Photovoltaik zu geringen Kosten und in einem offenen Wettbewerb mitentscheidend voranbringen. Sie sind der nächste logische Schritt, wenn wir unsere Klimaziele erreichen und unsere hohe Versorgungssicherheit erhalten wollen.» Er sieht wenig, was dagegen spricht: Die grossen Produzenten würden das bereits aus dem Ausland kennen und Photovoltaik habe in der Bevölkerung eine hohe Akzeptanz. «Deshalb bin ich überzeugt, dass eine Mehrheit das Instrument gutheisst», sagt Müller. 

Das sieht auch Felix Nipkow von der Schweizerischen Energie-Stiftung so. Die SES kritisiert allerdings das zu wenig ehrgeizige Ausbauziel des Bundesrats: «Um den Atomstrom in absehbarer Zeit zu ersetzen und die klimapolitischen Zielsetzungen nicht zu gefährden, sind höhere Ziele und ein rascherer Ausbau nötig, als der Bundesrat vorschlägt.» Zudem sei auch mit einem besseren Finanzierungsmodell nicht garantiert, dass die nötigen Flächen und Standorte für Anlagen zur Verfügung stünden und man tatsächlich diejenigen nutze, die Mensch und Umwelt am wenigsten beeinträchtigen. Man müsse deshalb auch die Raumplanung besser einbinden. 

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Tina Berg, Redaktorin
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