Bundesrichterinnen und Bundesrichter werden auch in Zukunft vom Parlament nach dem Parteienproporz gewählt und müssen sich alle sechs Jahre der Wiederwahl stellen. Es wird also nicht das Los unbesehen von der Parteizugehörigkeit entscheiden. Es wird auch keine feste Amtsdauer eingeführt. Die Justizinitiative Justiz-Initiative Per Los ins Bundesgericht ist vom Tisch. 

Doch die Probleme bleiben. Die Wiederwahl und die Mandatssteuer – also das Geld, das Richter den Parteien für ihr Amt zahlen müssen – gehören abgeschafft. Denn die Schweiz braucht Richter, die unabhängig sind und nicht im Ruch stehen, auf die Parteilinie zu schielen. Und es braucht einen Fachbeirat, der Kandidatinnen und Kandidaten für das höchste Richteramt prüft.

Das zeigt diese Anekdote aus dem Bundesgericht in Lausanne. Vier Richter und eine Richterin sassen 1995 im grossen Verhandlungssaal – leicht erhöht im Halbrund. Unten im Publikum ein Bergbauer. Um ihn ging es. Genauer um seine Kühe. Die Richter oben diskutierten, ob er Sömmerungsbeiträge erhält für sein Vieh, das im Jahr zuvor auf der Alp gewesen sein soll. Der Viehinspektor hatte es verpasst, das Gesuch des Bauern fristgerecht weiterzuleiten. Die Diskussion wogte hin und her, bis ein Richter sagte: «Ich verstehe nicht, was das für Daten sind auf diesen Verkehrsbescheinigungen.» 

Da stand der Bergbauer auf und rief: «C’est le départ des bêtes!», die Alpabzüge. 

Stille. Gefühlte zehn Sekunden lang. 

Was brauchte dieser Bergbauer? Das, was wir alle brauchen, wenn wir vor Gericht stehen: fähige Richter, die alle Unterlagen auch wirklich verstehen. Das ist beim aktuellen Wahlverfahren durch das Parlament meist gewährleistet. Aber wir brauchen auch Richterinnen und Richter, die unseren Lebenshintergrund verstehen. Deshalb muss nicht nur die fachliche, sondern auch die persönliche Eignung der Kandidaten und Kandidatinnen genau angeschaut werden. Und das geht am besten mit einem Fachbeirat, der zusammen mit der Gerichtskommission des Parlaments die besten Leute auswählt, auch die menschlich besten. Die Chancen dafür sind intakt. Eine entsprechende parlamentarische Initiative hat die Rechtskommission des Ständerats Ende Mai eingereicht.

Wir alle brauchen aber vor allem unabhängige Richterinnen und Richter. Nur dann kann man auch Urteile akzeptieren, die einem nicht recht geben. Genau diese Unabhängigkeit ist gefährdet, wenn die Richterinnen und Richter an ihre Parteien eine Mandatssteuer entrichten müssen. So entsteht der Eindruck von Korruption – wie die Antikorruptionsbehörde des Europarats wiederholt gerügt hat. 

Der Nationalrat nimmt das aber noch immer nicht ernst. Zwei Wochen vor der Abstimmung hat seine Rechtskommission einen entsprechenden Vorstoss hochkant abgelehnt. Das ist mehr als nur ein Affront gegenüber den Stimmberechtigten. Und es weist darauf hin, wie wichtig diese Volksinitiative war. Die Parlamentarier sind in dieser Frage befangen – denn es geht letztlich um die Kassen ihrer Parteien. 

«Die Wiederwahl und die Mandatssteuer gehören abgeschafft.»

Dominique Strebel

Die Unabhängigkeit der höchsten Schweizer Richterinnen und Richter ist auch gefährdet, weil sie alle sechs Jahre wiedergewählt werden müssen. Deshalb sind sie immer wieder Druckversuchen ihrer Parteien ausgesetzt. Dass bis heute kein Richter abgewählt wurde, entschärft das Problem nicht wirklich. Denn entscheidend ist die Schere im Kopf. Es genügt nur schon der Anschein, dass Bundesrichterinnen und Bundesrichter befangen sein könnten. Deshalb braucht es endlich eine feste Amtsdauer.

Genau wie es die Richterinnen und Richter selbst wollen. Es war ja kein Zufall, dass sich die Schweizer Richtervereinigung für einen Gegenentwurf zur Initiative eingesetzt hat – mit einer einmaligen Amtsdauer, dem Verbot von Mandatssteuern und einer Professionalisierung Weniger Geld und Macht für Parteien? Was für und was gegen die Justizinitiative spricht des Auswahlverfahrens.

PS: Der Bergbauer erhielt sein Geld bis auf 370 Franken und musste 500 Franken an die Gerichtskosten zahlen.

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Andreas Thut, Leiter Digital
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