Dschihadisten, Salafiten, Isis-Kämpfer: Es scheint oft, als sei das alles dasselbe. Als gebe es da eine homogene Gruppe von total islamischen Leuten, die alle anderen blöd finden und gefährlich sind. So einfach ist es natürlich nicht. Es gibt zwar Leute, speziell junge Männer, die sich innert weniger Monate entschliessen: Ich gehe jetzt mal an die Front. Die kommen dann dort an mit ihren Milchbärten, haben noch nie eine Waffe gehalten, sprechen kein Wort Arabisch und wollen grosse Helden werden. Das sind aber sehr, sehr wenige. Und sie merken rasch, dass sie vor Ort kaum respektiert werden.

Die meisten Salafiten machen sich über solche Abenteuerurlauber eher lustig oder halten sie für fehlgeleitet, würden sie teils nicht mal als Muslime bezeichnen. Manche Salafis sagen sehr klar, Krieg zur Veränderung bestehender Verhältnisse sei nicht erlaubt. Sie glauben, einzig Gott setze Regierende ein – auch bei uns. Politische Aktivitäten lehnen sie ab. Auch die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan halten einige für nicht gottgewollt.

Vertrauen gewonnen

Ich fing 2013 in Deutschland an, mich mit Salafiten zu befassen. Davor forschte ich über Sterbende in Südchina und Deutschland. Dann wurde ich für ein Projekt über Salafiten angefragt; vielleicht weil ich Erfahrung mit schwer zugänglichen Forschungsfeldern habe. Viele dachten, direkt mit Salafis zu forschen, das geht nicht, an die kommt man nicht ran. Wenn alle sagen, das geht nicht, denke ich mir: Na, das wollen wir doch mal sehen.

Es war dann nicht ganz einfach, den Zugang zu finden. Das Misstrauen ist gross. Viele Medien nennen sie abschätzig «Salafisten». Ich wurde jeweils etliche Male versetzt, bis es zu einem ersten Treffen kam. Schlüsselpersonen konnte ich dann aber jahrelang begleiten. Ich nahm an Festen teil, wurde zum Tee eingeladen oder ging mit ihnen einkaufen. Das nennt sich teilnehmende Beobachtung: Man investiert sehr viel Zeit, um den Alltag der Menschen zu verstehen, ihre Realitäten zu durchdringen, statt sich mit punktuellen Interviews zu begnügen.

Prinzipiell ist ein Salafit ein Muslim, der sich strikt an der Lebensweise der ersten drei Generationen von Muslimen orientiert. Es ist eine Bekenntnisreligion. Ganz anders als etwa die Taliban, die als Paschtunen lokal verwurzelt sind. Aber den Salafiten an sich gibt es nicht. Die vielen Strömungen zeigen sich vor allem in theologischen Differenzen, aber auch im Aussehen. Manche finden, ein Mann müsse sich kleiden wie der Prophet und einen Bart tragen, der mindestens faustbreit sein soll. Andere denken, viele in der Schweiz fänden das gruselig. Das wäre nicht im Sinn ihrer Religion.

Familiensorgen

Die meisten Salafis hierzulande sind Konvertiten und Rekonvertiten innerhalb des Islams. Mit der Familie gibt es nicht selten Konflikte. Die Eltern sind vielleicht weggegangen aus einer für sie repressiven Umgebung – und dann fängt ihr Kind an, sich einen Bart wachsen zu lassen oder sich zu bedecken. Manche Väter nehmen ihren Töchtern den Nikab weg und verstecken ihn.

Die Motivationen, zu konvertieren, sind sehr vielfältig. Frauen erleben die Verschleierung etwa als Schutz vor begehrlichen Blicken. Manche denken: Der Glaube schreibt vor, dass ich zu Hause bleibe und der Mann mich ernährt und kleidet. Er darf niemals eine andere Frau anschauen oder auch nur an eine denken. Das ist eine Beziehung, wie ich sie will.

Für einen Salafiten kann dieser Anspruch sehr anstrengend sein. Er muss arbeiten, die Kinder zum Kindergarten bringen, einkaufen und vielleicht auch noch etwas Sport treiben. Er muss ja den Körper pflegen, den Gott ihm geschenkt hat. Dann kommt er nach 14 Stunden völlig fertig nach Hause, wo die Frau sich beklagt, ihr sei langweilig. Es ist in salafitischen Beziehungen wie bei vielen anderen: Es gibt Ideale, die Realität sieht aber oft anders aus. Salafiten haben für ihre Ehen sicher andere Ideale als Nichtsalafiten. Sie sind aber nicht komplett andersartig. Die meisten versuchen einfach, ihren Alltag auf die Reihe zu kriegen.

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