Als Ayla Müller* die Abrechnung der Mietnebenkosten erhält, trifft sie fast der Schlag. Über 1100 Franken soll die Sozialhilfebezügerin innert 30 Tagen begleichen. Bis Ende 2014 bezahlte das Sozialamt St. Gallen sämtliche Nebenkosten, seit 2015 ist das Sache der Sozialhilfeempfänger. Die Mietzinsrichtwerte verstünden sich zwar inklusive Nebenkosten, erklärt Christoph Hostettler von den Sozialen Diensten St. Gallen. Die Krux: «Heiz- und Nebenkosten, die durch die monatlichen Mietzinszahlungen nicht gedeckt sind, werden als Folge des städtischen Sparprogramms nicht mehr übernommen.»

Die alleinerziehende Mutter Ayla Müller und ihr 16-jähriger Sohn leben von bescheidenen 1495 Franken Sozialhilfe. Ihre Wohnkosten übersteigen die vom Sozialamt vorgesehenen 1000 Franken leicht. Deshalb bleiben der Familie nur 1330 Franken zum Leben. Ayla Müller hofft, dass das Sozialamt ihr wenigstens einen Vorschuss zur Begleichung der Nebenkostenrechnung gewährt, damit sie den hohen Betrag wenigstens in verträglichen Raten abzahlen kann.

Doch auch Vorschüsse gibts vom Sozialamt St. Gallen seit Anfang letzten Jahres keine mehr. Stattdessen verweist man die in Not geratene Frau an zwei kirchliche Sozialdienste. Auch diese lehnen die Finanzierung ab.

SOS Beobachter stellt Anwalt zur Seite

Eine Sozialarbeiterin, die Ayla Müller aktuell unterstützt, kennt das Problem: «Ich habe immer wieder mit Klienten in ähnlichen Situationen zu tun.» Einerseits sei es wichtig, herauszufinden, wie die hohen Nebenkosten entstanden sind und welche Massnahmen die Betroffenen selbst ergreifen können, um den Energieverbrauch niedrig zu halten. Andererseits riskiere man durch die neue Praktik, dass Sozialhilfebezüger ihre Wohnungen verlieren. «Das darf nicht sein. In St. Gallen eine günstige Wohnung zu finden, ist ohnehin sehr schwierig», sagt die Sozialarbeiterin.

Die Stiftung SOS Beobachter stellt Ayla Müller deshalb den St. Galler Anwalt David Zünd zur Seite, damit sie sich gegen das Vorgehen der Sozialen Dienste zur Wehr setzen kann. Zünd ärgert sich: «Es kann nicht sein, dass monatliche Akontorechnungen für Nebenkosten beglichen werden, die jährlichen Nachzahlungen für die definitiv abgerechneten Nebenkosten jedoch nicht einmal bis zum Erreichen des maximalen Mietzinsrichtwerts. Der Zeitpunkt der Rechnungsstellung darf nicht entscheidend dafür sein, ob die Nebenkostenrechnung durch die Sozialen Dienste bezahlt wird.» Diese Praxis entbehre jeglicher Logik und lasse sich deshalb auch nicht mit Sparbemühungen rechtfertigen.

Tiefe Akontozahlung macht Miete attraktiv

Gemäss Anwalt Zünd fallen bei günstigeren Wohnungen regelmässig höhere Nebenkosten an – und die Vermieter veranschlagen oft tiefe Akontozahlungen, um die wahren Kosten zu verschleiern. Für Leute mit knappem Budget, die diesen Trick nicht durchschauen, können die Folgen gravierend sein. Es zieht sie noch tiefer in die Schuldenspirale, weil sie beim Budget die Nebenkosten nicht berücksichtigt haben.

*Name geändert