Das Problem:

«Ich bin zwischen 30 und 40 und befasse mich mit einer Weiterbildung zur Sozialbegleiterin. Plötzlich habe ich Angst, dass ich für diesen neuen Berufsweg noch zu wenig stark bin. Mich beunruhigt nämlich, dass mich in meiner neuen Zweierbeziehung eine alte Missbrauchsgeschichte wieder eingeholt hat und Berührungsängste, Männerhass und Mangel an Selbstwertgefühl verursacht. Es ginge mir bei der Weiterbildung ohnehin eher um die Persönlichkeitsschulung als um den Abschluss, weil ich noch nicht weiss, ob ich die Tätigkeit auch ausüben will.»

Anna H.

Koni Rohner, Psychologe FSP:

Wagen Sie den Aufbruch! Ihr Konzept, durch die Ausbildung auch eine Persönlichkeitsentwicklung zu erleben, finde ich sehr gut und realistisch. Die Idee, dass man vor Beginn einer solchen Ausbildung und Arbeit schon sehr stark sein müsse, halte ich dagegen für falsch. Sie können durch die Erfahrungen bei der Arbeit wachsen, wenn eine kundige Person Sie dabei begleitet. Das heisst konkret: Ich empfehle Ihnen unbedingt, sich eine regelmässige Supervision oder ein Coaching zu gönnen. Das wird gut sein für Ihr Selbstbewusstsein und ermöglicht Ihnen, beim Lernen auftretende Probleme sogleich anzugehen. Selbstverständlich können Sie so auch die Reste aus der Missbrauchsgeschichte aufarbeiten. Suchen Sie sorgfältig nach einer geeigneten Begleitperson, die sowohl supervisorische als auch therapeutische Fähigkeiten hat.

Am Anfang meines Psychologiestudiums haben die Professoren gewarnt, man solle dieses Fach nicht wählen, wenn oder weil man persönliche Probleme habe. Das ist natürlich Unsinn. Wenn jemand nie seelische Konflikte erlebt hat, wird er sich in der Regel auch nicht für dieses Gebiet interessieren. Durch eigenes Leiden gelangt man zu tiefem Mitgefühl, und eigene Erfahrungen bei seiner Überwindung machen einen als Helfer effizienter. Leute in helfenden Berufen müssen nicht stärker oder gesünder sein als andere. Aber sie müssen ihre Schwächen kennen und damit umgehen können.