Wenn Bäume im Wind rauschen, überlegen sich die meisten nicht, dass dabei innert Sekunden eine Reihe molekularer Reaktionen abläuft. Dabei bedeuten Blätter, die sich berühren, Stress für einen Baum.

Konstant nimmt er Signale wahr. Wenn etwas als harmlos erkannt wird, wie leichte Berührungen der Blätter, bleibt es bei einer ersten Störungswahrnehmung. Droht aber tatsächlich Gefahr, setzt der Baum Abwehrprozesse in Gang.

Denn: Wie die Menschen haben auch Pflanzen ein Immunsystem, und dieses könnte dereinst sogar eine entscheidende Rolle im Kampf gegen den Welthunger spielen. Pflanzen sind weltweit stark bedroht durch Krankheitserreger und Klimawandel.

Die Uno etwa schätzt, dass jährlich rund 40 Prozent der landwirtschaftlichen Ernte wegen Pilzen und Schädlingen zerstört werden, trotz Einsatz von Pestiziden und Fungiziden. 

Wissenschaftspioniere in Zürich

Die Forschung befasst sich intensiv mit der pflanzlichen Immunabwehr, seit vor rund 20 Jahren winzige, aber sehr wichtige Rezeptoren an Zellen entdeckt wurden, die etwa die Anwesenheit von Mikroben wahrnehmen können. Die Hoffnung: Je mehr man darüber weiss, desto besser kann man Pflanzen im Kampf gegen Krankheiten und Schädlinge unterstützen. 

Einer der Pioniere in diesem Forschungsfeld ist Cyril Zipfel, Professor an der Universität Zürich. «Wie Menschen und die meisten mehrzelligen Organismen haben Pflanzen eine angeborene Abwehr, die schon im Erbgut programmiert ist», sagt er. Der wesentliche Unterschied sei, dass Menschen zusätzlich im Lauf ihres Lebens Immunreaktionen erlernen können, weil sie auch ein sogenannt adaptives Immunsystem haben.

Dieses kann zum Beispiel mit Impfungen trainiert werden, um Antikörper gegen neue Krankheiten zu bilden. Zudem haben Menschen spezialisierte Immunzellen, die sich im Blut durch den Körper bewegen und dort helfen, wo es gerade eine Infektion zu heilen gibt.

Die pflanzlichen Zellen hingegen bewegen sich nicht, sie sind fix. Jede einzelne Zelle kann eine Gefahr erkennen und darauf reagieren. Eines der wichtigsten Instrumente dafür sind Rezeptoren auf der Oberfläche der Zellen. Sie erkennen, was fremd ist, und prüfen ständig, ob etwas davon gefährlich werden könnte.

Was bedeuten braune Flecke auf Blättern?

Pflanzen sind – genau wie Menschen – konstant von Mikroben, Bakterien, Viren und Insekten umgeben und werden trotzdem nicht krank. Das Immunsystem erkennt sie entweder als harmlos oder hält sie mit einfachen Mitteln in Schach. 

Hin und wieder kann ein Schädling die erste Verteidigungslinie durchbrechen und trotzdem eine Pflanze infizieren. Dann werden Rezeptoren im Innern der Zelle aktiv. Dort werden in Genen gespeicherte Strategien gegen unterschiedliche Aggressoren ausgelöst, die wiederum Heilungsprozesse auslösen.

Es werden etwa Zellwände gestärkt oder, weil einzelne Zellen nicht mehr zu retten sind, lokale und kontrollierte Suizide ausgelöst, damit die Verbreitung der Schädlinge eingedämmt werden kann. Durch diesen Vorgang entstandene braune Flecke auf Blättern sind kein Zeichen einer Krankheit, sondern sie beweisen, dass sich die Pflanze erfolgreich gegen einen Schädling gewehrt hat. 

Pflanzenzellen warnen einander

Spannend sei, sagt Cyril Zipfel, dass zwischen den Rezeptoren auf der Aussen- und Innenseite der Zellen viel molekulare Kommunikation passiere und man nun anfange, diese zu verstehen. Wie sie genau abläuft, wird noch erforscht.

Immunreaktionen bestehen aus einem komplexen Netzwerk von chemischen Signalen und schnellen Kettenreaktionen. Alles innerhalb einer einzigen winzigen Zelle.

Obwohl Pflanzen weder ein Nervensystem noch spezialisierte Immunzellen haben, die wie beim Menschen von Notfall zu Notfall durch den Körper reisen, können Pflanzenzellen andere Teile der Pflanze vor Gefahr warnen: In beeindruckenden Experimenten sieht man etwa, wie eine am Blatt knabbernde Raupe oder ein Schnitt mit einem Messer plötzlich dazu führen, dass sich die Kalziumkonzentration innerhalb der Zelle sehr schnell ändert und sich dies wellenartig von Zelle zu Zelle ausbreitet.

Das passiert bei einer Immunreaktion in einer Pflanze

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So breitet sich die Immunreaktion in einer Pflanze wellenartig von Zelle zu Zelle aus.
Quelle: science.org / Vol. 361 / No. 6407

Innert Millisekunden jagt so ein Gefahrensignal durch das Blatt und aktiviert die Abwehr in allen Teilen der Pflanze. Und nicht nur das: Indem sie bestimmte Stoffe ausstossen, können Pflanzen direkt benachbarte Gewächse warnen.

Gerade bei Insektenbefall passiert das oft. Mit solchen Stoffen können sie dann auch noch die Feinde ihrer Feinde anlocken, die sich für sie um das Problem kümmern. «Zum Beispiel eine Wespe, die eine Raupe attackiert», sagt Cyril Zipfel.

Eigentlich genial. Allerdings können Krankheiten viel schneller mutieren und das Immunsystem der Pflanzen überwinden, als diese sich anpassen können. Die Pflanzen brauchen Jahre oder gar Jahrhunderte, um neue Rezeptoren zu entwickeln, die ihnen gegenüber einer Mikrobe oder einem Insekt wieder einen Vorteil verschaffen.

Mit dem gezielten Züchten kann man diese Evolution sozusagen beschleunigen. Auch mit Gentechnologie würden sich Pflanzen resistenter gegen Schädlinge machen lassen, das ist aber umstritten.

Krankheiten wegen Monokulturen

Als besonders vielversprechend gelten derzeit Biostimulanzien, die sich der Erkenntnisse aus der Forschung bedienen. Es handelt sich dabei weder um Dünge- noch um Pflanzenschutzmittel, sondern vielmehr um eine Art Hilfsstoffe, die das natürliche Immunsystem der Pflanzen kurzfristig im Kampf gegen Infektionen unterstützen.

«Es braucht für deren breite Anwendung aber weitere Forschung zur Wirkungsweise, Behandlung und kostengünstigen Massenproduktion», sagt Cyril Zipfel.

Die Intensivierung der Landwirtschaft etwa mit Monokulturen hat zu mehr Problemen mit Schädlingen und Pflanzenkrankheiten geführt. Der Klimawandel mit seinen Wetterextremen verschärft die Situation zusätzlich. Deshalb wird die Gesundheit von Pflanzen immer wichtiger. Denn von ihr hängt ab, ob wir in Zukunft genug zu essen haben werden.

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Tina Berg, Redaktorin
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