Neben Piste 14 ein Kiebitz, winzig klein, vom Aussterben bedroht. Bei Tor 130 ein Fuchs, für seine Jungen auf der Lauer. Dieser Asthaufen: ein Dachsbau. Beim Streifzug übers Flughafengelände kommt Urs Kempf ins Schwärmen. So viele bedrohte Arten auf so engem Raum, einmalig. Technik und Natur im Einklang. Doch dann sagt er völlig unvermittelt: «Am liebsten hätten wir ja gar keine Tiere hier.»

Urs Kempf ist Wildhüter und Leiter Grünflächen und Naturschutz am Flughafen Zürich. Ein riesiges Gebiet: 750 Hektar Land. Für seinen Job brauche es zwei Herzen in der Brust. Natürlich sei er ein «Tierlifreund». Aber Sicherheit geht vor. «Wir sind hier auf einem Flughafen, nicht im Zoo.» Tiere können den Flugverkehr stören, können in Triebwerke gelangen. Das ist gefährlich. Sie vom Gelände zu vertreiben, ist jedoch unmöglich. Tiere lieben den Flughafen. Aus ihrer Perspektive ist es ein Ort der Ruhe. Der Fluglärm macht ihnen nichts aus. Ohrenbetäubendes Dröhnen, den ganzen Tag. Sie haben sich längst daran gewöhnt.

Dank des Zauns sind sie geschützt vor Menschen, vor Autos und vor anderen Tieren. Der Flughafen schützt ihren Wohnraum auch indirekt, ohne ihn wäre das Gebiet längst mit Häusern zugekleistert. Das Flughafengelände liegt 423 Meter über Meer, 175 Hektar davon bilden eines der grössten zusammenhängenden Naturschutzgebiete des Kantons. Der ökologische Wert ist immens. Vor rund 18'000 Jahren hinterliess der Linthgletscher eine Moränenlandschaft mit ausgedehnten Riedflächen und einem Flachsee. Deshalb wächst alles so gut. Würde man hier buddeln, fände man noch den Lehmboden. «Klassisches Riedgebiet», sagt Kempf und zeigt auf eine Orchidee, die einsam im Gras steht.

Füchse sind Gratisarbeitskräfte

Während der Fahrt übers Gelände jenseits der Betonpisten erscheint der Flughafen, zumindest zwischen zwei Starts, nicht als Ort der Hektik. Bleibt man am Boden, zeigt er sich von einer ganz anderen Seite. Seiner natürlichen Seite. Wir halten an. Einige Meter vor uns sitzt ein Fuchs im Gras, hundert Meter neben ihm brettert eine Boeing 767 über die Piste, hebt ab, ein Riesenkrach, der Fuchs bleibt regungslos. Dass er sich von einem Flugzeug nicht stören lasse, sei völlig normal. Dass er mittags an der prallen Sonne unterwegs sei, hingegen weniger, so Urs Kempf. Eigentlich sind Füchse nur bei Dämmerung auf der Jagd. Aber die Jungen sind gefrässig. Macht sich die Mutter nicht auch tagsüber auf die Pirsch, reicht das Futter nicht. Jagende Füchse sind auf dem Gelände kein Problem. Im Gegenteil: Füchse sind Gratisarbeitskräfte. Sie jagen Mäuse.

Wo Mäuse sind, sind auch Greifvögel, und die können in die Triebwerke der Flugzeuge geraten. Vogelschlag nennt man diese Kollision. Das passiert in Zürich etwa 80-mal pro Jahr. Neunmal musste letztes Jahr ein Flugzeug aus diesem Grund umkehren. Eine kleine Zahl, denkt man an die rund 260'000 Flugbewegungen jährlich. Aber Vogelschlag kann kostspielige Folgen haben. Als im Herbst ein Kranich in ein Triebwerk geriet, musste das Flugzeug eine Woche lang am Boden bleiben. Die Ecken der Turbine waren aufgerissen, das Antivereisungssystem beschädigt. «Wenn so etwas passiert, müssen wir nachweisen können, dass wir alles versucht haben, um es zu verhindern», sagt Kempf.

Rehe haben eine gefährliche Grösse

Vögel sind Urs Kempfs ewiger Kampf. Sie fernzuhalten, ist unmöglich. Andere Tiere kann man mit dem Zaun aussperren, Vögel nicht. Sie fühlen sich auf dem Flughafengelände äusserst wohl. Denn Nahrung – Mäuse und Insekten – gibt es dort mehr als genug. Die Wildhüter lassen die Wiesen wachsen, damit die Greifvögel die Mäuse nicht schon von weitem sehen. Kempf stellt Fallen auf. Entlang Piste 14 und 16 sind alle paar Meter Klappfallen montiert: Die Maus rennt rein und kommt nicht wieder raus. Der Fuchs kann die Deckel mit der Schnauze öffnen und sein Fressen quasi herauslöffeln. Damit ist das Problem aber noch nicht gelöst. In der wärmeren Jahreszeit streift täglich ein Mauser über das Gelände. Ein Lebenskünstler, wie es heisst, der seinen Lebensunterhalt durch Mäusefangen verdient. Er lässt sich von den Vögeln leiten. Wo sie kreisen, da geht er hin. Mit zylinderförmigen Fallen zieht er die Mäuse aus dem Boden. Mehrere hundert pro Tag. Auch im vergangenen Winter konnte er mausen, es lag wenig Schnee. «Eine tote Maus im Winter bedeutet 300 weniger im Sommer», sagt Kempf.

Allein mit der Bekämpfung der Mäuse werden aber nicht genug Vögel vertrieben. Die Wildhüter müssen aus Sicherheitsgründen manchmal auch Vögel schiessen. Zum Beispiel Tauben oder Enten. Auch der Rehbestand musste in den letzten Jahren kontinuierlich verringert werden. Rehe haben eine gefährliche Grösse. Rennen sie im falschen Moment über die Rollbahn, können sie direkt vor ein Triebwerk geraten. Heute lebt nur noch ein einziges Reh auf dem Gelände. «Eigentlich müssten wir auch dieses Tier schiessen.» Aber das sei nicht so einfach, sie wüssten ja nicht, wo es sich jeweils aufhalte. Es flieht immer. Das Reh fristet ein tristes Dasein. «Während der Brunftzeit steht es am Zaun», sagt Kempf. Das wäre doch der Moment, um es zu schiessen, wendet die Besucherin ein. Es gebe auch noch zwei andere Wildhüter mit Jagdpatent, verteidigt sich Kempf, die könnten das Reh auch töten. Vermutlich denken die auch so. Jeder hofft, dass der andere es erledigt.

Junggesellen-Vögel gefährden den Flugverkehr

Heute schiesst Urs Kempf nur Petarden in die Luft. Um einige Bussarde über der Piste 16 zu vertreiben. Zweimal täglich macht die Airport Authority, die den Flughafenbetrieb überwacht, Kontrollfahrten und verjagt Vögel, die über der Start- oder Landebahn «rumgurken». Aber zu oft vergrämen darf man die Vögel auch nicht. Sie haben ein ausgeprägtes Freund-Feind-Verhalten. Sie gewöhnen sich an die Schüsse, wenn sie merken, dass ihnen dabei nichts passiert. Nicht alle Vögel müssen vertrieben werden. Die Feldlerche dürfe ruhig kommen. Die ist so klein, die stört nicht. Als Faustregel gilt: Je grösser der Vogel, desto gefährlicher ist er für die Triebwerke und desto unbeliebter bei den Wildhütern. Vor allem, wenn er in Schwärmen auftaucht. Für Krähen wurden deshalb extra Fallen aufgestellt mit Äpfeln und Orangen als Lockmittel.

Gegen die Pärchen unternimmt Kempf nichts. Vogelpaare verteidigen ihr Revier gegen andere Vögel, das ist hilfreich. «Aber die Junggesellengruppen, die jagen wir.» Auch das Entenpärchen neben Piste 14 lässt er in Ruhe. Gemütlich watschelt es durch das hohe Gras. Nah beieinander, schön im Gleichschritt. Ganz so idyllisch, wie es den Anschein macht, ist ihre Beziehung aber nicht. Das Männchen folgt dem Weibchen nur auf Schritt und Tritt, weil es ein Kontrollfreak ist. Hat sie die Eier gelegt und kann der Erpel sichergehen, dass es seine sind, haut er ab.

Safari auf dem Flughafen

Unser Streifzug erinnert an eine Safari, alle paar Minuten halten wir an. Da ein Tier, dort ein Gewächs. Neben Piste 14 fliesst ein Bach, mündet in einen Teich. Ein super Forellengewässer sei das. Weiter oben liegt ein angefressener Baumstamm am Ufer. Das Werk eines Bibers. Noch darf er bleiben. Er stört den Flugverkehr nicht. Aber wenn er den Bach zu stark staut, das Wasser nicht mehr abläuft und die Wasserqualität sich deswegen verschlechtert, muss die Lage neu beurteilt werden. 23 Angestellte, darunter Wildhüter, Förster, Landwirte und Gärtner, sind für die Grünflächen zuständig. Fast schade, dass kaum jemand diese Weiten sieht, diese saftigen Wiesen, den bewaldeten Hügel bestaunen kann. Zwar fliegen täglich rund 70'000 Menschen über das Gelände, aber aus der Vogelperspektive sieht doch alles ganz anders aus.

Das Wiesel bekommt ein edles Chalet

Wir verlassen die Pistenzone und fahren ins Naturschutzgebiet. Halten vor einem Asthaufen, dem neusten Projekt der Flughafenwildhüter. An zwölf Standorten haben sie diesen Frühling Wieselnester eingerichtet. Hohle Baumstämme, darüber feines Material, damit der Fuchs nicht rankommt. Andere Tiere werden erbarmungslos erlegt − und das Wiesel bekommt ein edles Chalet errichtet? Die Erklärung ist simpel: Das Wiesel jagt Mäuse. Aus dem gleichen Grund haben Kempf und sein Team an verschiedenen Orten künstliche Fuchsbauten errichtet: «um den Fuchs bei Laune zu halten». Der Fuchs könnte nämlich auch abhauen. Einfach unter dem Zaun durchkriechen, wenn es ihm nicht mehr passt. Die Schlupflöcher wurden für den Dachs so belassen, der Rest des Zauns ist seit 13 Jahren dicht. Nicht nur an die Aussenwelt verliert der Flughafen die Füchse – letztes Jahr wurden vier Füchse von Flugzeugen getötet. Auf der Rollbahn. Die muss dann sofort gereinigt werden. Sonst kommen die Vögel.

Am schlimmsten seien die Jungvogelscharen und die Zugvögel. Wegen der Klimaerwärmung bleiben Letztere immer öfter auch über Winter. Urs Kempf kann minutenlang über die Vögel schimpfen. Sieht er aber ein seltenes Exemplar oder hört er ein Zwitschern, ist sein Ärger verflogen. «Distelfinke klingen im Schwarm wie ein Orchester. Die Nachtigall singt wunderschön. Und das helle Zwitschern, das ist eine Kohlmeise.» Überhaupt die Artenvielfalt hier: Wiesel, Dachs, Reh, Biber, Fuchs und Hase. Früher gab es gar Wildschweine. «Das ist doch grossartig», sagt Kempf. Das Gebiet sei nun mal optimal für Fauna und Flora.

Klotener Riet: Natur am Flugplatz

Für einen sicheren Flugbetrieb sind freie Sicht und freie Flugbahnen unabdingbar. Flugplätze verfügen daher über ausgedehnte Grünflächen, die weder bebaut noch direkt genutzt werden.

Beim Flughafen Zürich bedecken Wiesen, Moore, Gewässer und Wald mehr als die Hälfte des Areals und bieten seltenen Tier- und Pflanzenarten wertvollen Lebensraum. 37 Hektar sind als Flachmoor von nationaler Bedeutung ausgewiesen. An der Umzäunung verschmilzt das Klotener Riet – zumindest für kleinere Tiere – mit umliegenden Naturschutzgebieten.

Das Areal ist nicht frei zugänglich. Ornithologen brauchen einen Feldstecher, um auf ihre Kosten zu kommen. Sie stehen gerne auf dem obersten Deck des Flughafenparkhauses.

Seltene Tiere: Mauswiesel, Her-melin, Iltis, Baummarder, Kiebitz, Pirol, Grauammer, Wachtel, Kornweihe, Rohrdommel, Bekassine, Waldohreule, Schleiereule, Wiedehopf, Schlingnatter, Laubfrosch

Seltene Pflanzen: Weidenalant, Teufelsabbiss, Bienen-Ragwurz, Sumpforchidee, Helmorchis, Brand-Knabenkraut, Sibirische Schwertlilie, Hartmans Segge, Draht-Segge