Dafür, dass sie keinen Fenchel mag, wächst ziemlich viel davon in Barbara Kümins Schrebergarten. Sie gärtnert nicht für den Kochtopf, sondern für ihre Lieblinge. Die mögen Fenchelkraut, aber das werden sie erst später erfahren.

Anfang Mai kleben sie noch scheinbar leblos an der Decke eines Holzkastens auf dem Tisch vor dem Gartenhaus. Es sind Schwalbenschwanzfalter. Oder vielmehr: verpuppte Schwalbenschwanzraupen.

In den nächsten Wochen wird sich eine um die andere als Falter aus ihrer Hülle zwängen, die Flügel ausbreiten und sie aushärten lassen.

Herumgaukeln, sich paaren, futtern

Dann wird Kümin sie freilassen, und sie werden das tun, was Schwalbenschwänze tun: Sie treffen sich auf einem sonnigen Hügel, gaukeln ein wenig herum, paaren sich – und fliegen dann auf eine Futterpflanze.

Vielleicht auf den Fenchel in Kümins Garten im Zürcher Unterland. Dort legen die Weibchen Eier ab. Nach ein paar Tagen schlüpfen neue Raupen. Vom Kraut wird nicht viel übrig bleiben. Die Raupen hingegen wachsen, sie häuten und verpuppen sich, und es schlüpfen neue Sommervögel.

«Ich schaue jedem Falter mit einer Mischung aus Freude, Wehmut und leichter Sorge nach.»

Barbara Kümin

Barbara Kümin hat in ihren selbstgebauten Raupenkästen schon Tausende aufgezogen und das Schauspiel unzählige Male beobachtet. Trotzdem: Der Moment, wenn sie sie in die Freiheit entlässt, bleibt ein Erlebnis. «Ich schaue jedem Falter mit einer Mischung aus Freude, Wehmut und leichter Sorge nach. Wie wird es ihm da draussen wohl ergehen?»

Das ist eine gute Frage, denn viele Sommervögel sind wählerisch, was Futterpflanzen angeht. Mit Wiesen voller Löwenzahn und Gänseblümchen können sie nicht viel anfangen.

Kümin sieht ihr Hobby daher auch als kleinen Beitrag, wenigstens ein paar Faltern das Überleben zu sichern. «Ich setze sie nur dort aus, wo es Nahrung gibt», sagt sie.

Den ersten Raupenkasten in der Schule gebastelt

Als Kind fand sie eine Schwalbenschwanzraupe im Schrebergarten der Eltern und zog sie auf. Der Raupenkasten, den sie später in der Schule gebastelt hat und Ende der Schulzeit wieder hätte abgeben sollen, stehe bis heute bei ihr zu Hause. Sie ist 52.

Kümin arbeitet im Sekretariat einer Schule. Zuvor war sie lange beim Wetterdienst am Flughafen Kloten.

Rasenmähverbot!

Wenn sie über die Eigenarten und Leibspeisen ihrer Schmetterlinge spricht und darüber, warum sie hässig wird, wenn Waldränder und Böschungen radikal zurückgeschnitten werden, könnte man aber meinen, sie sei Biologin. «Vermutlich wäre das auch eine gute Berufswahl gewesen», sagt sie.

Auf jeden Fall habe ihre Sommervogel-Leidenschaft ihr Bewusstsein für Natur und Artenvielfalt geschärft. «Wer Schmetterlinge schützen will, muss Raupen schützen – und somit die Lebensräume von Futter- und Nektarpflanzen.» In ihrem Garten mit kleinem Biotop ist nichts geschniegelt, und Ehemann Michael hat im Frühjahr Rasenmähverbot.

Überlebenskampf in der Natur

Vom Schwalbenschwanz ging Barbara Kümins Faszination schnell auf weitere Arten über. Während sie erzählt, wie das Kleine Nachtpfauenauge sich nach dem Schlüpfen mit einem einzigen Tropfen eines speziellen Sekrets auch noch aus einem Kokon befreien muss oder wie der Zitronenfalter «megacool» im Schnee überwintert, sieht sie aus dem Augenwinkel etwas vorbeitanzen. «Da, schau, ein Aurorafalter!»

Sie rennt hin, doch der Falter ist schneller, das Glück flüchtig.

Sie wird noch Gelegenheit haben, diesen Sommervogel mit den halb weissen, halb orangefarbenen Vorderflügeln zu bestaunen. Sie hat vier seiner verpuppten Raupen in einem Kasten, und auf einem Stängel Wiesenschaumkraut kleben Eier. Man sieht sie nur mit der Lupe.

An Brennnesselzweigen kriechen zudem etwa 60 Raupen vom Kleinen Fuchs, und gegen 40 vom Kleinen Nachtpfauenauge knabbern an Salweideblättern. In der Natur bringen es von 100 Eiern vielleicht zwei bis drei zum Schmetterling. Im Raupenkasten 90 bis 95.

Dass die Falter in freier Wildbahn überleben, kann Kümin nur hoffen. Manchmal erfährt sie davon. Vor ein paar Jahren habe sie Grosse Nachtpfauenaugen aufgezogen und an die Lötschberg-Südrampe ins Wallis gebracht.

Zwei Jahre später habe sie von einem Besucher ihrer Website eine Mail erhalten mit dem Foto einer verpuppungsbereiten Raupe, die er genau dort gesichtet habe. Die Stelle war also offenbar gut gewählt. «Wunderschön, oder?»

Die Falter verleihen ihr Flügel

Von sich selber sagt sie: «Ich bin kein Alphatier.» Aber wenn es um ihre Sommervögel geht, mache es ihr nichts mehr aus, vor Publikum zu sprechen oder Gruppen zu führen. Sie leitet regelmässig Exkursionen und hält Vorträge. «Kein Fachchinesisch, sondern so, dass alle es verstehen», sagt sie. Fast so, als verliehen die Falter ihr Flügel – und nicht umgekehrt.

Und dann, wie auf Kommando, passiert es: Ein Schwalbenschwanz tanzt an. Er nimmt Kurs auf den Fenchel – und fliegt daran vorbei. Vielleicht ist erst noch ein Besuch auf einem sonnigen Hügel fällig.

Wie Sie Sommervögel selber aufziehen
  • Wichtig: für den Raupenkasten unbedingt ein möglichst engmaschiges Fliegengitter verwenden, damit keine Parasiten wie Schlupfwespen eindringen können.
  • Den Kasten nie direkt an die Sonne stellen. Täglich reinigen, sauberes Haushaltspapier auslegen und die Raupen mit frischen Pflanzen versorgen. Diese sollten nicht feucht sein.
  • Die Pflanzen in ein Glas Regenwasser stellen und die Öffnung mit Klarsichtfolie abdecken, so dass die Raupen nicht ins Wasser fallen und ertrinken.
  • Raupen und Puppen nicht mit den Fingern berühren.
  • Besonders gut zur Aufzucht eignen sich der Schwalbenschwanz sowie Tagpfauenauge, Kleiner Fuchs und Landkärtchen.
  • Keine unbekannten Raupen sammeln. Viele Arten stehen unter Schutz.
  • Wer Puppen überwintert, darf den Raupenkasten nicht ins Haus nehmen, weil die Falter sonst im Winter schlüpfen.

Eine Anleitung für den Bau eines Raupenkastens finden Sie hier auf Barbara Kümins Website

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