Der Nachthimmel über Derendingen ist nicht schwarz. Zu viel Kunstlicht, und der Mond ist auch fast voll. Man sieht den Polarstern, dazu ein paar wenige andere und Jupiter. Das wars. Sternenhimmel? 50 Jahre Mondlandung Der Traum von den Sternen Fehlanzeige.

Dass das Gute nah liegt, stimmt in diesem Fall nicht. Das Gute – oder wenigstens das Schöne – ist Lichtjahre entfernt. Doch wenn man weiss, wie, kann man es zu sich ins Wohnzimmer holen.

Mit klammen Fingern schraubt Tino Heuberger auf seinem Balkon im Solothurner Vorort sein Teleskop auf das Stativ. «Es gibt viel zu entdecken dort oben», sagt er mit Blick zum Himmel. Im Winter seien die Bedingungen ideal: «Lange Nächte, trockene Luft.»

Er richtet das Teleskop ungefähr auf den Polarstern aus und bringt dann ein Gegengewicht an. Es entlastet den Motor. Den braucht es, um die Rotation der Erde nachzuführen.

Am Teleskop hat Heuberger eine Fotokamera befestigt. Sie macht langzeitbelichtete Aufnahmen. Um möglichst viel Licht einzufangen, bleibt die Blende pro Bild bis zu fünf Minuten lang offen. So werden Dinge sichtbar, die dem menschlichen Auge sonst verborgen blieben.

Tausende oder gar Millionen Lichtjahre entfernte Sternhaufen, kosmische Nebel, Galaxien. Würde das Teleskop stillstehen, sähe man wegen der Erddrehung nur zu Strichen verzogene Sterne.

Ausrichten, schrauben, rechnen

Zuoberst auf dem Stativ hat Heuberger ein selbst gebasteltes Rechenzentrum montiert: einen auf einem Brett befestigten Minicomputer mit USB-Festplatte. Auf dem Rechner läuft ein Programm, das alles steuert.

Heuberger kann vom Sofa aus mit seinem Laptop darauf zugreifen. Er gibt ein, was er wie aufnehmen möchte, der Rest läuft automatisch. Das habe einen entscheidenden Vorteil: «Ich kann die ganze Nacht fotografieren und tags darauf ausgeschlafen zur Arbeit.»

«Das ist kein Hobby für Ungeduldige. Es braucht viel Durchhaltewillen.»

Tino Heuberger, Astrofotograf

Ein wenig Fummelarbeit gibt es vorher noch: Heuberger muss das Teleskop noch genauer ausrichten: auf den stellaren Nordpol, der direkt neben dem Polarstern Sternenhändler Der Stern, der keinen Namen trägt liegt.

Auf dem Laptop erscheinen jetzt einzelne Sterne als Punkte. Sie müssen entlang von Hilfslinien so lange verschoben werden, bis sie die korrekten Koordinaten anzeigen und deckungsgleich sind mit einer hinterlegten Karte des Sternenhimmels. Heuberger schraubt von Hand am Teleskop herum, bis alles passt.

All das hat er weitgehend autodidaktisch gelernt. Der 31-Jährige hat ein Physikstudium angefangen, dann in der IT als Programmierer gearbeitet und studiert nun Computerwissenschaften. Technisches Verständnis hat er also. Das hilft. «Aber es braucht viel Durchhaltewillen. Das ist kein Hobby für Ungeduldige», sagt er.

Er habe schon stundenlang nach einem Fehler gesucht und schliesslich gemerkt, dass ein Akku halb leer war. Wie viele Nächte er sich für unscharfe Aufnahmen um die Ohren geschlagen hat, hat er nicht gezählt. Nur so viel: «Die Lernkurve ist steil.»

Auf dem Balkon seiner Wohnung macht Tino Heuberger das Teleskop zum Sternegucken parat.

Auf dem Balkon seiner Wohnung macht Tino Heuberger das Teleskop zum Sternegucken parat.

Quelle: Roger Hofstetter

Heuberger lässt jetzt die Kamera eine Aufnahme über 60 Sekunden machen. Und paff! Da ist sie, die Triangulum-Galaxie, Codename M33. Draussen über dem Balkon ist der Himmel dunkelgrau, drinnen auf dem Laptop glitzern die Sterne.

Von einem guten Foto ist die Aufnahme aber noch weit entfernt. Mit einem einzigen Bild ist das auch nicht zu schaffen. Dafür lässt Heuberger die Kamera manchmal mehrere Nächte lang laufen und Hunderte Aufnahmen machen. Die Einzelbilder lässt er dann zu einem einzigen Foto zusammenrechnen. Die Gesamtbelichtungszeit beträgt mehrere Stunden.

Galaxien oder Sternhaufen werden mit der Schwarz-Weiss-Kamera unter anderem mit einem roten, blauen und grünen Filter aufgenommen. «Das sorgt für Farben, die wir sähen, wenn wir die Galaxien erkennen könnten», sagt Heuberger. Für Emissionsnebel, die hauptsächlich aus Wasserstoff, Sauerstoff und Schwefel bestehen, setzt er sogenannte Schmalbandfilter ein, die jeweils nur das Licht mit der Wellenlänge dieser Elemente durchlassen.

Ihnen werden Farben zugewiesen, meist Blau für Sauerstoff, Rot für Wasserstoff und Grün für Schwefel. «Man könnte auch komplett andere Farben wählen und so Fotos generieren, die ganz anders wirken», sagt er.

Wie ein Künstler

Heubergers Herz aber schlägt für die Naturwissenschaften. Er versucht deshalb, möglichst nahe an der Realität zu bleiben. Ein Sujet würde zwar noch mehr herausstechen, wenn das Rot satter, das Blau kräftiger, der Hintergrund dunkler wäre. «Doch dann gehen viele Details verloren, die dank der langen Belichtungszeit erst sichtbar werden.»

Oft sitzt er stundenlang an einem einzigen Bild, bis die Farben für ihn perfekt sind. Fast wie ein Maler, der Pinselstrich für Pinselstrich setzt und das Werk immer wieder neu übermalt, bis es sich vollendet anfühlt.

Mit Fotografie hatte Heuberger nicht viel am Hut – bis er vor etwa sieben Jahren die Sterne entdeckte. Das war während eines Freiwilligeneinsatzes bei der Planetary Society in Kalifornien.

In der Sternwarte Ausflugstipp Ganz grosses Himmelskino beim berühmten «Hollywood»-Schriftzug blickte er zum ersten Mal ins All. Wieder zu Hause, kratzte er sofort alles Geld zusammen und kaufte sich sein erstes Teleskop. Seither nutzt er fast jede wolkenlose Nacht, um Neues zu entdecken dort oben.

 

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