Strommangellage ist das Deutschschweizer Wort des Jahres. Das verkündete eine Jury der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Dass die Wahl auf dieses Wort fällt, hätte zu Beginn dieses Jahres noch verwundert.

Seit einigen Wochen vergeht kaum ein Tag, an dem nicht über die Strommangellage in der Schweiz debattiert wird. Doch was bedeutet das Wort eigentlich? Die Antworten auf die wichtigsten Energie-Fragen. 

Was ist der Unterschied zwischen einem Blackout und einer Mangellage?

Bei einem Blackout gibt es eigentlich genug Strom im System, aber er gelangt nicht mehr zu den Konsumentinnen und Konsumenten. Bei einer Mangellage hingegen hat es zu wenig Strom, um die Nachfrage zu decken.

Ein Blackout ist ein grossflächiger Stromausfall. Verschiedene Umstände können dazu führen: etwa Stürme oder Überschwemmungen, die Teile des Netzes beschädigen. Dann werden andere Elemente überlastet, was zur automatischen Abschaltung führt. Auch technische Störungen, Cyberattacken oder Terroranschläge können einen Blackout auslösen. Solche Unterbrüche können wenige Minuten oder auch Stunden oder Tage dauern.

Bei einer Mangellage wird nicht genug Strom produziert. Es gibt zu wenig elektrische Energie im System. Es kommt zwar Strom aus der Steckdose, aber im schlimmsten Fall muss er rationiert werden, damit er für alle reicht. Ein solches Problem tritt nicht plötzlich auf, sondern zeichnet sich ab. Gegen Ende des Winters ist das Risiko für eine Mangellage am grössten. 

Wieso ist die Gefahr einer Mangellage Ende Winter grösser?

Das hat vor allem mit dem Wetter zu tun. Wenn der Sommer oder der Herbst sehr trocken waren, gibt es weniger Wasser in Flüssen und Stauseen. Entsprechend weniger Strom kann in den Wasserkraftwerken produziert werden. Im Sommer stellt die Schweiz mehr als genug Strom selber her, doch im Winter ist sie tendenziell auf Importe angewiesen. Falls zu einer längeren Trockenperiode noch ein besonders kalter Winter mit erhöhtem Strombedarf kommt oder ein AKW im In- oder Ausland ausfällt, könnte der Strom knapp werden. Wenn er gleichzeitig in Europa auch knapp wird, kann man sich nicht auf Importe verlassen, das macht die Lage brenzliger. Es droht eine Mangellage, eine sogenannte Winterstromlücke. Besonders gegen Ende des Winters im März und April, wenn sich die Stauseen leeren. Sie füllen sich erst mit der Schneeschmelze im Frühling wieder. 

«Jedes jetzt eingesparte Molekül Gas hilft, dass die europäischen Speicher im Frühling nicht leer sind.»

Marianne Zünd, Sprecherin des Bundesamtes für Energie

Haben eine Gas- und eine Strommangellage etwas miteinander zu tun?

Ja. In Europa wird mit Gas Strom produziert. Wenn zu wenig Gas da ist, wird auch weniger Strom gewonnen. Das kann dazu führen, dass die Schweiz im Winterhalbjahr weniger Strom aus der EU importieren kann, was eine allfällige Strommangellage verschärft. 

Wieso droht in diesem Winter eine Mangellage?

Bereits vor einem Jahr war die Versorgungslage infolge verschiedener Probleme (etwa Pandemie, Lieferketten) angespannt, und die Energiekosten begannen zu steigen. Spätestens seit Russlands Angriff auf die Ukraine herrscht eine weltweite Energiekrise. Unterbrüche bei der Gasversorgung aus Russland, technische Probleme mit den AKWs in Frankreich und weitere Unsicherheiten sorgen dafür, dass viele Länder seit Monaten nach Lösungen suchen, damit im kommenden Winter und in Zukunft nicht plötzlich die Energie ausgeht. 

Was tut die Schweiz?

Der Bundesrat hat verschiedene Massnahmen getroffen, um die Versorgungssicherheit zu erhöhen. Zum Beispiel werden Stromkonzerne dafür bezahlt, dass sie für Notfälle eine strategische Wasserreserve in den Stauseen zurückhalten. Reservekraftwerke, Notstromaggregate, eine Erhöhung der Spannung im Übertragungsnetz, Energiesparen und mehr sollen ebenfalls helfen, eine Mangellage abzuwenden.  

Wieso rufen die Behörden zum Stromsparen auf, wenn erst Monate später eine Mangellage droht?

Das hat vor allem damit zu tun, dass wir in den Wintermonaten teilweise auf Stromimporte angewiesen sind. Wir sind aktuell sogar schon in einer Phase, wo Importe überwiegen, sagt Marianne Zünd, Sprecherin des Bundesamts für Energie. Und da im europäischen Ausland viel Strom mit Gas produziert wird, schone man mit Stromsparen vor allem die Gasspeicher in Europa. Davon profitiere dann wiederum die Schweiz, denn wir stecken im gleichen Stromnetz. «Jedes jetzt eingesparte Molekül Gas hilft, dass die europäischen Speicher im Frühling nicht leer sind», sagt Zünd. Zudem sei es wichtig, dass die Speicherseen bis Ende Winter durch sparsames Verhalten möglichst unangetastet blieben, damit diese Reserve bei Engpässen vorhanden sei. 

Wird es in einem Jahr besser?

Vermutlich nicht. Bereits jetzt wird gewarnt, dass der Winter 2023/2024 noch herausfordernder werden könnte. Gemäss Bundesamt für Energie ist das so, weil 2022 noch bis Mitte Jahr russisches Gas nach Europa floss und die Speicher gut gefüllt werden konnten. Nächstes Jahr werde das nicht so sein. Heute zu sparen, hilft also auch, die Lage in einem Jahr zu entschärfen. 

Eine Hand vor Blumentapete. So wird der Strom ausgeknipst.

Wenn wir jetzt schon Strom sparen, hilft das im nächsten Winter.

Quelle: Alamy Stock Photo

Die Schweiz exportiert Strom, obwohl alle zum Stromsparen aufgerufen sind. Wieso?

Die Schweiz ist keine Insel, sondern eng mit dem europäischen Netz verbunden. Ein Zehntel des gesamten in Europa ausgetauschten Stroms fliesst durch die Schweiz. Auf der Website der Netzbetreiberin Swissgrid kann man live zuschauen, wie viel Strom gerade aus den Nachbarländern importiert und wie viel exportiert wird. Der ständige Austausch ist für die Stabilität des Netzes zwingend. Um Ausfälle oder Schäden zu vermeiden, müssen Frequenz und Spannung im ganzen verbundenen Stromnetz ständig gleich sein. Ob wir Strom sparen oder nicht, hat mit dem konstanten grenzüberschreitenden Stromverkehr nichts zu tun. 

Könnten wir den Export und den Import von Strom nicht stoppen?

Die Schweiz ist an 41 Stellen über Grenzleitungen mit dem europäischen Netz verbunden. Ob es technisch möglich ist, zum sogenannten Inselbetrieb überzugehen, also das Schweizer Stromnetz an der Grenze abzukoppeln, darüber ist man sich uneinig. Es müssten gemäss der Netzbetreiberin Swissgrid für viel Geld aufwendig Phasenschieber installiert werden. 

Gegen eine allfällige Strommangellage helfe das aber nicht, sagt Swissgrid-Sprecherin Stephanie Bos. Im Gegenteil: «Eine Insellösung würde sowohl den sicheren Netzbetrieb als auch die Versorgungssicherheit gefährden.» Wenn die Schweiz versuchen würde, im Alleingang klarzukommen, müsste sie die gesamte Reserve für einen inländischen Kraftwerksausfall auch innerhalb des Landes decken. Ausfälle von grossen Kraftwerken müssen jederzeit ausgeglichen werden können. «Bei einer Netzbelastung von 10 Gigawatt im Winter und 5 Gigawatt im Sommer würden mit dem Ausfall eines Grosskraftwerks 10 bis 20 Prozent der Leistung wegfallen. Das hätte massive Auswirkungen auf die Frequenz», sagt Bos. Die Frequenz würde frappant absinken und eine Netzstörung verursachen. «Ein Teilblackout oder gar ein vollständiger Blackout wäre die Folge.» 

«Die Wahrscheinlichkeit, dass sich regionale Stromausfälle auf das ganze Land ausbreiten, ist sehr klein.»

Stephanie Bos, Swissgrid-Sprecherin

Werden der Export und der Import von Strom automatisch gesteuert?

Jein. Automatisch fliesst Strom einfach in den Leitungen über die Grenze. Das ist Physik – Strom sucht sich den Weg des geringsten Widerstands. Strom als wirtschaftliches Gut wird von den Energiewerken produziert und an der Börse gehandelt. Damit klar ist, wie viel Strom an welchem Tag durch welche Leitungen über welche Grenzen fliessen kann, legt die Netzbetreiberin Swissgrid mit den Netzbetreibern der Nachbarländer fest, was die maximale Grenzkapazität ist, die sogenannte Netztransferkapazität. Sie ist an den verschiedenen Landesgrenzen unterschiedlich und hängt auch davon ab, ob gerade irgendwo gebaut wird oder ob Netzteile wegen Wartungsarbeiten ausser Betrieb sind. Diese grenzüberschreitende Kapazität wird möglichst früh vorausberechnet und eingeplant, teilweise Jahre oder Monate voraus, aber auch tagesaktuell. So früh geplant werde nicht zuletzt, um sicherzugehen, dass zu jedem Zeitpunkt genug Strom vorhanden ist, heisst es bei Swissgrid. 

Breiten sich Blackouts auch auf andere Regionen und Länder aus?  

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich regionale Stromausfälle auf das ganze Land ausbreiten, ist laut Swissgrid sehr klein. Grund dafür seien die verschiedenen Netzebenen. In der Schweiz sind es sieben: von der Höchstspannungsleitung (380000 Volt) bis zur Niederspannung in der Steckdose zu Hause (230 Volt). Regionale Störungen bleiben auf der regionalen Netzebene und breiten sich nicht aus. 

Anders sei es, wenn es auf der höchsten Ebene zu Problemen komme, sagt Swissgrid-Sprecherin Bos. Denn dann fielen auch alle angeschlossenen unteren Netzebenen aus. Das betroffene Gebiet wäre viel grösser. Wie zum Beispiel beim Sturm «Sabine» 2020: Wegen eines Dominoeffekts war der Kanton Uri vorübergehend vom Höchstspannungsnetz abgekoppelt.

Um solche Probleme in der Schweiz oder gar einen europaweiten Blackout zu verhindern, sei immer alles mehrfach abgesichert und verbunden. Falls es trotzdem zu einer Grossstörung irgendwo in Europa komme, seien aber alle betroffen. Die Schweiz könne man nicht losgelöst vom gesamteuropäischen Übertragungsnetz betrachten. 

Der Beobachter-Newsletter – wissen, was wichtig ist.

Das Neuste aus unserem Heft und hilfreiche Ratgeber-Artikel für den Alltag – die wichtigsten Beobachter-Inhalte aus Print und Digital.

Jeden Mittwoch und Sonntag in Ihrer Mailbox.

Jetzt gratis abonnieren