Lynn Lahusen braucht wenig Schlaf. Fünf Stunden müssen in der Regel reichen. Den Computer fährt sie selten vor zwei Uhr nachts herunter – und morgens um sieben geht es bereits wieder los. Die zweifache Mutter arbeitet locker zehn bis elf Stunden pro Tag. Fürs Waschen und Putzen hat sie eine Haushaltshilfe engagiert, die Kinder, der viereinhalbjährige Diego und die knapp einjährige Malia, werden wahlweise von Grossmutter, Tante oder Vater betreut. Sie sei eben ein Workaholic, sagt Lahusen. Und sie ist das beste Beispiel für einen weit verbreiteten Irrglauben: dass sich Job und Familie für eine Frau leichter unter einen Hut kriegen lassen, wenn sie sich selbständig macht.

Viele Firmen sind in der Hand von Müttern

Genau das tat Lynn Lahusen vor zwei Jahren – und sie ist eine von vielen. Laut Bundesamt für Statistik werden mittlerweile 17 Prozent aller neuen Firmen von Frauen gegründet, Tendenz steigend. Die Unternehmensgründungsplattform Startups.ch, die jährlich etwa 1800 Gründungswillige berät, kommt gar auf über 20 Prozent. Etwa die Hälfte davon seien schätzungsweise Mütter, die sich selbständig machen, sagt Startups-Geschäftsführer Michele Blasucci. «Sie bringen ihre Kinder manchmal sogar mit in die Beratungen.»

Eine Fülle von meist kleinen Einzelfirmen befindet sich in der Hand von Müttern. Die meisten greifen dabei direkt auf ihre Erfahrungen in dieser Rolle und auf ihre Hobbys zurück, verkaufen zum Beispiel spezielle Kinderkleider, stilvolle Kindermöbel oder selbstgemachte Spielwaren und Dekogegenstände. In den USA wurde für Frauen wie sie sogar ein neuer Begriff kreiert: Man nennt sie «mompreneurs» – aus «entrepreneur» und «mom» – auf Deutsch etwa «Mutternehmerinnen».

Frauen geben denn auch viel öfter familiäre Gründe für den Schritt in die Selbständigkeit an als ihre männlichen Kollegen, zeigt eine Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz. Sie glauben, sie hätten als eigenständige Unternehmerinnen mehr Zeit für die Kinder oder könnten sich diese zumindest besser einteilen.

Lynn Lahusens Versand von Backzubehör

Als die heute 33-jährige Lynn Lahusen aus Wettswil ZH ihre Bakeria GmbH gründete, glaubte sie das auch noch. Heute kann sie darüber nur noch müde lächeln. «Mein nächstes Ziel ist es, etwas mehr zu delegieren und wieder mehr Zeit für die Familie zu haben», sagt sie. Die quirlige Unternehmerin, aus der die Worte nur so herausschiessen, war schlicht nicht vorbereitet auf den Erfolg, den sie mit ihrer Geschäftsidee haben würde.

Die passionierte Hobbybäckerin hatte für sich selber nach speziellem Backzubehör für ihre Kreationen gesucht. Doch die Schweiz war diesbezüglich Brachland. Lahusen wurde nur im Ausland bei Lieferanten und Herstellern fündig, die eigentlich Bäckereien beliefern und ausschliesslich Grossmengen vertreiben. Die gelernte Kauffrau und Immobilienmaklerin bestellte trotzdem. Was sie nicht selber brauchen konnte, lagerte sie überall in der Wohnung und stellte es auf der Internetplattform Ricardo ein. «Dann ging es los: Die Sachen gingen weg wie heisse Weggli», erzählt sie.

Wieso nicht mehr daraus machen, dachte sie sich – und fing kurz entschlossen an, einen Webshop einzurichten. «Noch bevor dieser offiziell online war, kamen die ersten Bestellungen.» So ergab eins das andere. Aus dem Hobby wurde ein Feierabendjob, dann eine Vollzeitbeschäftigung. Heute vertreibt Lahusen rund 1600 Produkte zum Backen, von der Silikonkuchenform bis zum Rollfondant. Sie beschäftigt acht Angestellte, fast alles Mütter aus dem Dorf. Sie ist damit wohl eine der erfolgreichsten Mütter mit eigener Firma in der Schweiz.

Bianca Cherubini, 34, eröffnete in Herisau ihr «Stoffstübli».

Quelle: Lea Meienberg
Bianca Cherubini: Stoffe für Kinderkleider

Dass sich Familie und Job als selbständige Unternehmerin nicht zwingend leichter aneinander vorbeibringen lassen, belegt aber nicht nur ihr Beispiel. «Aus diesem Grund sollte sich keine Frau selbständig machen», sagt auch Bianca Cherubini. Die gelernte Textillaborantin aus Herisau hat letztes Jahr angefangen, über das Internet bunt bedruckte Stoffe für Kinderkleider zu verkaufen. Auch bei ihr entstand alles aus einem Hobby heraus. Sie nähte schon immer viel und gern, doch als vor zweieinhalb Jahren Tochter Nele zur Welt kam, suchte sie in der Region vergeblich nach schönen Jersey-Stoffen für Strampler und Babyhöschen. «In Norddeutschland, wo die Familie meines Mannes lebt, entdeckte ich dann zufällig einen Laden mit qualitativ sehr guter Ware. Die Geschäftsidee war geboren: Solche Stoffe sollten Schweizer Mütter auch kaufen können», erzählt sie.

«Wehe, die Tochter ist einmal krank»

Der Internethandel sei sofort gut angelaufen. Diesen Januar hat die 34-Jährige bereits den nächsten grossen Schritt gewagt und in Herisau einen Laden eröffnet, das «Stoffstübli». Doch wehe, wenn die kleine Nele einmal krank ist und nicht in die Krippe kann. «Plan B ist dann mein Mann, Plan C meine Eltern. Einen Plan D gibt es nicht. Ich kann nicht einfach den Chef anrufen und mich abmelden. Ich muss in den Laden», sagt Cherubini. Zum Glück habe es bisher immer irgendwie geklappt. «Es geht nur mit einer Familie, die zu 200 Prozent hinter einem steht. Und organisatorisch ist es definitiv anspruchsvoller, als wenn ich einen normalen Job hätte.»

Doch es gibt auch Vorteile in Bezug auf die Vereinbarkeit von Familie und Job: Sowohl in Lahusens Bakeria-Lager als auch in Cherubinis Stoffstübli gibt es Kinderspielecken. «Manchmal kommt man sich hier vor wie in einem Hort. Die Kundinnen bringen die Kinder mit, und die spielen dann hier alle zusammen», erzählt Cherubini. Ihre Kundinnen sind meist Vollzeitmamis. Das ist für die Ladenöffnungszeiten ideal: «Ich schliesse um elf Uhr vormittags, denn dann stehen wir sowieso alle in der Küche.»

Laila Luisi, 40, baute in Langnau im Emmental «Lettera et cetera» auf.

Quelle: Lea Meienberg
Laila Luisis Schriften und Reklamen

Für manche «Mutternehmerin» ist die Selbständigkeit tatsächlich die bessere Lösung. «Meine Kinder spielen beide Fussball und trainieren dreimal pro Woche. Hätte ich einen Teilzeitjob, würde ich sie meist nur noch spätabends zu Gesicht kriegen», sagt etwa Laila Luisi. Die Schriften- und Reklamegestalterin aus Langnau im Emmental hat sich vor elf Jahren selbständig gemacht. Ihre Kinder, Lola und Finn, waren damals drei und eins.

Zuvor war Luisi zu 40 Prozent angestellt gewesen – den organisatorischen Aufwand dabei empfand sie jedoch als anstrengend: «Die Krippe lag nicht gerade vor der Haustür und mein Arbeitsplatz auch nicht. Ausserdem lohnte sich das Ganze finanziell kaum», erzählt die 40-Jährige. «Die ständigen Absprachen mit den anderen Müttern am Arbeitsplatz waren ebenfalls eine riesige Herausforderung – vor allem wegen der unterschiedlichen Schul- und Krippentage und der Verfügbarkeiten der Betreuungspersonen.»

«Es wird fast jeden Monat finanziell eng»

Als ihr damaliger Partner beschloss, sich als Innendekorateur selbständig zu machen, richtete sie sich in seinem Atelier eine kleine Ecke ein. «Ich liebte es schon immer, mein eigenes Ding zu machen.» Sie taufte die Firma «Lettera et cetera», und die Spuren ihrer Arbeit finden sich überall im Dorf an Ladentüren, Schaufenstern und Häuserwänden. Luisi arbeitet für Firmen, stellt aber auch für Private individuelle Wandtattoos von Kinderzeichnungen her oder bedruckt Kleidungsstücke.

Nach der Trennung vom Partner richtete sie sich ihr Atelier im unteren Stock des Wohnhauses ein. Gerade weil Wohnen und Arbeiten so nah beieinanderliegen, achtet sie auf eine strikte Tagesstruktur mit Arbeits- und Familienzeiten. Schwierig wird es immer dann, wenn die Kinder Ferien haben – 13 Wochen, das liegt schlicht nicht drin. «Ich schaue jeweils, dass ich während der Ferienzeiten für die einzelnen Aufträge mehr Zeit einberechne», sagt Luisi. Gleichzeitig muss aber irgendwoher das Geld kommen – «es wird fast jeden Monat eng». Aber es reiche immer irgendwie. «Und Not macht erfinderisch – ich komme dadurch ständig auf neue Ideen.»

Luisi hat einen Vorteil gegenüber anderen «mompreneurs»: Sie arbeitet überwiegend zu Hause. Das macht die Sache organisatorisch einfacher. Doch die Trennung von Arbeitsplatz und Wohnort lässt sich nicht immer vermeiden: «Ich habe auch zu Hause mit der Firma angefangen. Doch irgendwann wurde es mir zu viel. Weil Kundinnen oft Waren selber abholen kamen, vermischten sich das Private und das Berufliche bald zu sehr», erzählt Bianca Cherubini.

Lynn Lahusen erging es ähnlich. Vor allem aber fehlte irgendwann zu Hause der Platz, um all die Backutensilien zu lagern: «Eines Tages sagte mein Mann, er habe keine Lust mehr auf Backförmli und Kochschürzen in jedem Schrank und sogar unter dem Bett.» Heute ist das Haus frei von derlei Ballast – dafür fährt Lynn Lahusen wieder täglich weg zur Arbeit.

Zurück ins alte Leben will keine der drei

In einem sind sich aber alle drei «Mutternehmerinnen» einig: Zurück ins alte Leben mit Teilzeitjob und fremdem Chef wollen sie nicht. Auch wenn die Arbeitstage sehr lang sind – und keine auf einen wirklich guten Stundenlohn kommt. «Doch das ist egal. Mir macht es einfach unglaublich Spass. Es fühlt sich meistens einfach gar nicht wie Arbeiten an», sagt Bianca Cherubini. «Meine Tochter hat mit Sicherheit mehr von einer Mutter, die ausgefüllt und glücklich ist, als wenn sie frustriert in irgendeinem Job sitzt.»

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Quelle: Beobachter Edition