Als der Basler Michael Kutter im Jahr 1990 mit dem Twike das erste E-Bike made in Switzerland vorstellte, wollte kaum jemand den Mix aus Töff und Velo fahren. Heute gehört das Zweirad mit elektrischer Unterstützung längst zum Strassenbild: Im vergangenen Jahr war beinahe jedes sechste verkaufte neue Velo ein E-Bike – und auch die Velovermieter haben ihr Angebot ausgebaut. Mittlerweile verfügen drei Regionen in der Schweiz über sogenannte E-Bike-Parks: Im Jura und Drei-Seen-Land, in der Ostschweiz sowie im Tessin steht ein breites Netz an E-Bike-Vermietstellen zur Verfügung, und signalisierte Routen laden zum genüsslichen Velofahren ein.

Im Tessin erfreuen sich E-Bikes besonderer Beliebtheit. Der Kanton war aufgrund seiner gebirgigen Topografie lange den sportlich ambitionierten Velofahrern vorbehalten. Doch nun können auch Hobbybiker Touren über den Gotthardpass oder hinauf zur Station Bellavista auf dem Monte Generoso in Angriff nehmen. Umso mehr, weil die neuen E-Mountainbikes auch das entsprechende Reifenprofil und die richtige Federung mitbringen. Mit 18 gut in der Region verteilten Verleihstellen ist die Vermietung flächendeckend sichergestellt.

Dank der grossen Reichweite der modernen E-Bikes sind auch längere Tagesetappen problemlos zu bewältigen. Wer gleich mehrere Tage unterwegs sein will, leiht sich zudem ein mobiles Ladegerät, das ein «Betanken» während der Tour ermöglicht. Jetzt braucht es nur noch ein sonniges Wochenende – und einem Kurztrip in die wilden Tessiner Täler steht nichts mehr im Wege.

Die Besonderheiten der E-Bikes

Zwei Typen
Zur «langsamen» Kategorie gehören Velos, deren Motor nicht stärker als 500 Watt ist und bei 25 Kilometern pro Stunde abregelt. Zur «schnellen» Kategorie, für die eine Helmpflicht gilt, gehören alle anderen E-Bikes, deren Motor nicht stärker als 1000 Watt ist und erst bei 45 Kilometern pro Stunde abregelt.

Motorisierung
Im Gegensatz zum Mofa unterstützt der Motor den Fahrer nur beim Pedalen, er übernimmt nicht direkt den Antrieb.

Tempo und Bremsweg
Ein normales E-Bike ist in der Regel doppelt so schwer, und man fährt damit schneller als mit einem normalen Velo. Der Bremsweg wird dadurch wesentlich verlängert.

Voraussetzungen
E-Bikes sind bis zu maximal 100 Kilo Körpergewicht zugelassen. Eine gewisse Grundkondition ist Bedingung.

Im Dorf Maggia führt der Radweg an San Maurizio vorbei, der ältesten Kirche des Tals.

Quelle: Gerry Nitsch
Route 1: Immer der Maggia nach

Nach einem Espresso in einem der Cafés auf der Piazza Grande verlässt man Locarno und fährt hinauf Richtung Bignasco – sanft ansteigend geht es vom Lago Maggiore in die ruhige und eindrückliche Landschaft des Maggiatals.

Die Route verläuft abwechselnd auf für den Autoverkehr freigegebenen Strassen und auf gut ausgebauten Nebenwegen wie dem alten Trassee der vor 50 Jahren stillgelegten Maggiatalbahn. Besonders schön sind die Streckenabschnitte, die durch kleine Dörfer mit den typischen Steinhäusern, farbenfrohen Fassaden und einladenden Pergolen und Gärten führen: Ponte Brolla mit seinem berühmten Felsen, von dem sich Klippenspringer an Europa- und Weltmeisterschaften in die Maggia stürzen. Lodano mit seinen vielen kleinen Kapellen. Oder Cevio, wo einige der alten Häuser, Paläste und Villen besichtigt werden können.

Mit einer Fläche von 568 Quadratkilometern macht das Maggiatal gut einen Fünftel des Tessins aus. Seine Weitläufigkeit sorgt für Abwechslung: schroffe Felsen, tiefe Schluchten, Hängebrücken und immer wieder der Blick auf die türkisblaue Maggia. Flora und Fauna zeigen sich in den unterschiedlichsten Facetten, mediterrane Vegetation wechselt sich ab mit alpiner Bergwelt.

Kulinarisches entlang der Maggia

Frühzeitig aufbrechen hat den Vorteil, dass man den einen oder anderen Zwischenhalt einlegen kann: Der Veloweg folgt der Maggia, die im Sommer an vielen Stellen Gelegenheit für eine Abkühlung bietet. Und in den Grotti locken vielfältige regionale Köstlichkeiten. An einem Steintisch schmeckt das Vallemaggia-Brot mit seiner knusprigen Kruste besonders gut. Dazu passt frischer Käse von einem Bergbauern oder ein Stück Honig – ganz recht, ein Stück: dank biologischer Produktion kann der Honig der ansässigen Imker mitsamt der Wabe gegessen werden. Gegen den grösseren Hunger hilft ein Risotto in der Osteria al Sasso in Avegno. Inhaber Stefano Bianchi verfeinert den Klassiker je nach Saison mit Bärlauch, Pilzen oder anderen regionalen Produkten.

Wer Süsses mag, der wird in der Panetteria Poncini in Maggia fündig. Die über hundert Jahre alte Bäckerei ist immer noch in Familienhand und auf die Fertigung von Panettone und Colombe (Ostertauben) spezialisiert. Das Hefegebäck schmeckt herrlich – und gibt auf der Velotour eine gute Zwischenverpflegung ab. Als Souvenir eignet sich der Pepe Valle Maggia: Der mit Tessiner Kräutern, Weisswein und Grappa aromatisierte Pfeffer verlängert die Erinnerung an diese genussvolle Tour.

Locarno-Bignasco

Route: Locarno–Ascona–Ponte Brolla–Avegno–Maggia–Cevio–Bignasco und zurück (auch die umgekehrte Tour ist möglich, E-Bike-Verleih in Bignasco)
Distanz: 58 Kilometer
Höhendifferenz: 240 Meter
Fahrzeit: 5 Stunden
E-Bike-Stationen: Locarno – Bahnhof SBB, Tourismusbüro, Jugendherberge; Bignasco – Infopoint Vallemaggia
Anforderung: einfach
Infos: www.vallemaggia.ch, www.ascona-locarno.com

Quelle: Gerry Nitsch

Das Mündungsdelta des Ticino am Lago Maggiore ist ein echtes Naturparadies.

Quelle: Gerry Nitsch
Route 2: Familientour auf historischen Pfaden

Ganz ohne Steigungen führt eine autofreie Veloroute von Bellinzona durch die Magadinoebene bis nach Locarno und weiter nach Ascona. Mit dem E-Bike dauert die einfache Tour nur rund eine Stunde – ein idealer Familienausflug. Jugendliche ab 16, mit Mofa-Fahrausweis ab 14 Jahren, dürfen selber ein E-Bike fahren, für kleinere Kinder gibt es in Bellinzona – auf Reservation – Kindersitze (gratis) oder Anhänger zum Mieten. Es bleibt genug Zeit, um innezuhalten und auf Entdeckungstour zu gehen.

Zum Beispiel in die Vergangenheit des Tessins: In Bellinzona lohnt sich ein Abstecher hinauf zu den berühmten Burgen Castelgrande, Montebello und Sasso Corbaro. Sie wurden wie die Wehr- und Stadtmauer im 14. und 15. Jahrhundert von den Mailänder Herzogen erbaut, um die Zugangswege zu den Alpenpässen zu kontrollieren. Ab zwölf Uhr lädt das Café im Sasso Corbaro zum Lunch ein. Alternativ bietet sich ein Abstecher zu den Fortini della fame von Camorino an: Die fünf Hungertürme gehören zu einer im 19. Jahrhundert errichteten Festungsanlage.

Radlerweg durch die Bolle di Magadino

Die Velotour verläuft dann durch das einstige Sumpfgebiet der Magadinoebene. Bis zu den Korrektionen des Flusses Ticino in den Jahren 1888 und 1912 war die Magadinoebene von vielen kleinen Wasseradern durchzogen. Heute erinnern daran nur noch die im Mündungsdelta am Lago Maggiore gelegenen Bolle di Magadino, ein geschütztes Auengebiet mit zahlreichen Tümpeln, Schilfgürteln und einer artenreichen Tierwelt. Um dieses Naturparadies zu bewahren, hat das Tessiner Parlament Ende 2014 beschlossen, es in einen Park umzuwandeln. Das war auch für Velofahrer eine gute Nachricht, denn es garantiert, dass sie entspannt, ohne durch den motorisierten Verkehr gestört zu werden, Locarno erreichen.

Auch hier gibt es viel zu sehen. Einen Besuch wert ist das Castello Visconteo und unweit davon die Festungsanlage Rivellino. Sie wurde – so haben fünf Jahre dauernde Recherchen ergeben – vermutlich von Leonardo da Vinci entworfen. Damit ist sie eines der wenigen erhaltenen Bauwerke des Renaissance-Meisters.

Für die letzte Etappe der Tour eignet sich der ausgeschilderte Radweg besser als die Uferpromenade, auf der eine Geschwindigkeitsbegrenzung von fünf Kilometern pro Stunde gilt. Der Radweg liegt ein wenig abseits des Sees und führt kurzzeitig bergauf bis nach Muralto. Wer diese Schleife in Kauf nimmt, kommt schneller vorwärts und sitzt früher in Ascona in einem der Restaurants am See. Je nach Uhrzeit sowie Lust und Laune gehts nach einer Rast mit dem Velo zurück nach Bellinzona – oder nach Locarno, wo man das Velo ebenfalls zurückgeben kann.

Bellinzona-Ascona

Route: Bellinzona–Giubiasco–Gudo–Quartino–Muralto–Locarno–Ascona
Distanz: 24 Kilometer
Fahrzeit: 1 Stunde
E-Bike-Stationen: Bellinzona – Bahnhof SBB; Locarno – Bahnhof SBB
Anforderung: einfach
Infos: www.bellinzonaturismo.ch, www.ascona-locarno.com

Quelle: Gerry Nitsch

Wer es hier hinaufschafft, darf stolz sein – auch mit dem E-Bike: alte Passstrasse am Gotthard (Foto: Ticino Turismo)

Quelle: Gerry Nitsch
Route 3: Sportlich über den Gotthard

Die Strassendienste der Kantone Tessin und Uri bemühen sich, den Gotthardpass jeweils zum Auffahrtstag für den Verkehr freigeben zu können. Je nach Datum des Feiertags und Wetterlage kann es auch zwei Wochen früher oder später sein. Ist die Strasse einmal vom Schnee befreit, steht der Fahrt durch die Serpentinen, die sich den Berg hochschlängeln, nichts mehr entgegen. Dafür braucht man aber auch mit Elektromotor eine sportliche Kondition. Und weil die Batterie eines E-Bikes nur begrenzte Kapazität aufweist, ist es ratsam, ein Ladegerät dabeizuhaben.

Kurz nach Airolo geht es steil bergauf, etwas später ist die Steigung dann nicht mehr ganz so giftig. Man fährt auf der Hauptstrasse und auf der Tremola, der alten Passstrasse, die einen durch 37 Serpentinen gut 900 Meter höher bringt. Manche Abschnitte verlaufen über schmale Saumpfade, wo es zuweilen ratsam ist, abzusteigen und zu schieben.

Das Wasserschloss Europas

Es lohnt sich, die Trinkflasche mit Wasser aus den Bächen und Quellen am Wegesrand aufzufüllen. Seine Qualität ist hervorragend. Die Gotthardregion wird zu Recht als Wasserschloss Europas bezeichnet: Von hier fliessen Rhein, Reuss, Rhone und Ticino in alle vier Himmelsrichtungen.

Auf der Passhöhe warten drei Restaurants auf hungrige Gäste. Im Hotel und im Restaurant Vecchia Sosta wird à la carte getafelt. Wer es einfacher mag, verpflegt sich im Selbstbedienungsrestaurant oder nimmt Proviant mit und fährt zum nahen Lago della Sella. Der Weg dorthin beginnt links neben dem Hospiz und führt direkt zur Staumauer.

Bei der anschliessenden Abfahrt gehört die Aufmerksamkeit den Bremsen und den Autos. Weil in der Schöllenenschlucht zwischen Göschenen und Andermatt noch bis 2019 gebaut wird, ist das Verkehrsaufkommen im Gegensatz zu anderen Jahren allerdings gering.

Nach der Ankunft in Andermatt können diejenigen, die noch Kraft und Zeit haben, eine weitere Etappe anschliessen – der Reuss entlang hinab Richtung Vierwaldstättersee oder über den Oberalp in die Surselva. Insgesamt bietet die Gotthard-Bike-Arena nicht weniger als acht Alpenpässe, die alle mit dem E-Bike zu meistern sind.

Airolo-Andermatt

Route: Airolo–Gotthardpass–Andermatt
Distanz: 26 Kilometer
Höhendifferenz: 950 Meter Steigung, 670 Meter Abfahrt
Fahrzeit: 4 Stunden
E-Bike-Stationen: Airolo – Bahnhof SBB (nur bis 14.15 Uhr); Andermatt – Bahnhof SBB und Meyer’s Sporthaus (hier gilt: Ausleihe und Rückgabe am selben Ort)
Anforderung: hoch
Infos: www.gottardobikearena.ch

Quelle: Gerry Nitsch

Das Grotto Eremo San Nicolao in Somazzo war einst eine Einsiedelei. Heute geniessen die Gäste regionale Spezialitäten und die fantastische Aussicht. (Foto: Ticino Turismo)

Quelle: Gerry Nitsch
Route 4: Monte Generoso – Ruhe beim Einkehren

Der Monte Generoso ist mit gutem Grund eines der beliebtesten Ausflugsziele im Tessin. Die beeindruckende Aussicht reicht bei schönem Wetter bis nach Mailand, Parma und in den Apennin. Derzeit lohnt sich die Fahrt auf den 1794 Meter hohen Berg ganz besonders: Bringt die Zahnradbahn normalerweise ganze Touristenströme hinauf, geht es heuer auf dem Gipfel etwas stiller zu. Die Bahn ist bis 2016 ausser Betrieb. Und das bedeutet: Hinauf gehts nur aus eigener Kraft – unterstützt lediglich vom leise surrenden Motor des E-Bikes.

Startpunkt ist Mendrisio. Die nächste Mietstation für E-Bikes befindet sich in Lugano. Nach Mendrisio gelangt man von dort aus mit dem Velo oder bequem mit den SBB.

Der Aufstieg wird mit einem herrlichen Ausblick belohnt

Durch Kastanienwälder und vorbei an Weingärten führt die Strasse von Mendrisio aus über Salorino und Somazzo nach Bellavista. Die Mittelstation der Zahnradbahn trägt ihren Namen – schöne Aussicht – zu Recht: Man sieht über den Lago di Lugano und weiter bis zur Alpenkette, vom Monte Rosa zum Matterhorn. Das kleine Buffet-Restaurant ist leider auch bis 2016 geschlossen, man sollte also etwas Proviant zur Stärkung mitbringen.

Nach einem kurzen Zwischenstopp geht es zurück auf die Strasse. Der Gipfel selbst ist Mountainbikern und Wanderern vorbehalten. Das macht aber nichts, denn dort oben lärmt zurzeit die Baustelle des neuen Restaurants.

Folgt man stattdessen weiter der Strasse, gelangt man bald zum Grotto Balduana. Hier wird viel Wert auf regionale Spezialitäten gelegt. Das Mendrisiotto bietet neben hervorragendem Merlot auch Käse wie zum Beispiel den Zincarlin aus dem Muggiotal, einen reichlich mit Pfeffer gewürzten Rohmilchkäse, der während der zwei Monate, die er im Keller lagert, regelmässig mit Weisswein eingerieben wird.

Kurz nach dem Grotto endet die Strasse bei Pianezzo. Die rasante Talfahrt verläuft daher auf demselben Weg, der einen schon auf den Berg geführt hat.

Mendrisio-Monte Generoso

Route: Mendrisio–Somazzo–Bellavista–Grotto Balduana–Somazzo–Mendrisio
Distanz: 30 Kilometer
Höhendifferenz: je 1000 Meter hinauf und hinunter
Fahrzeit: 3 Stunden und 30 Minuten
E-Bike-Station: Lugano – Bahnhof SBB
Anforderung: mittel
Infos: www.mendrisiottoturismo.ch

Quelle: Gerry Nitsch