In Geschichten baden
Das Onsernonetal lockt bei Sonne und Regen: mit einer warmen Quelle und einem spannenden Buch über den Ort.
Veröffentlicht am 23. Mai 2014 - 17:00 Uhr
Ich wollte im warmen Wasser baden; in den Bagni di Craveggia, einer Thermalquelle zuhinterst im Onsernonetal. Vom alten Kurbad sind zwar nur noch die Grundmauern übrig, aber es fliesst immer noch 20 Grad warmes Wasser in eine Granitzisterne. Das Gebäude wurde 1951 von einer Lawine zerstört.
Leider vermiest Dauerregen den Ausflug. Doch im warmen Zimmer des Palazzo Gamboni erduldet man das unfreundliche Wetter mit der gleichen Gelassenheit wie die Steindächer von Comologno, auf die der Regen unablässig trommelt – vor allem mit guter Lokallektüre zur Hand.
Aline Valangins «Die Bargada» erzählt von Neid, Leid und Aberglaube der Dorfgemeinschaft im abgelegenen Tal. Die Autorin, eine schöne, reiche Kommunistin, hatte Ende der zwanziger Jahre hier in Comologno ein Schlösschen erstanden. Dass sie den Ort für den Roman zumindest geografisch als Vorbild nahm, ist unverkennbar – ebenso in der Fortsetzung «Dorf an der Grenze», in der Valangin die Schweizer Asylpolitik im Zweiten Weltkrieg kritisiert.
Allerdings liefert das Tal auch eine lichte Seite aus dieser dunklen Zeit: 1944 hetzten faschistische Truppen eine Gruppe von Partisanen und Zivilisten in die Berge. Bei den Bagni di Craveggia gerieten sie unter Beschuss. Es gab Tote und Verletzte, doch über 400 Personen schafften es über die Grenze. Die Verfolger drohten anzugreifen, sollten die Schweizer Soldaten die Flüchtlinge nicht bis am nächsten Morgen ausliefern. Die Schweizer weigerten sich, und Verstärkung traf ein. Angesichts der neuen Kräfteverhältnisse zogen die Faschisten ab.
Am Morgen des dritten Tages, als der Regen und die Lektüre zu Ende gehen, wandere ich zum Schauplatz dieses Vorfalls. Leider verhindern Sanierungsarbeiten an der Ruine ein Bad. Und der kalte Isorno ist wahrlich keine Alternative.
Anreise und Wanderung: Ab Locarno mit dem Bus nach Spruga. I Bagni di Craveggia liegen rund 30 Gehminuten entfernt. Der Weg geht ein paar Höhenmeter hinauf, bevor er zu den Bädern hinunterführt. Wer den Isorno nicht durchwaten will, nimmt kurz vor der Grenze die Brücke.
Unterkunft: Im Palazzo Gamboni im DorfComologno ist die historische Suite empfehlenswert. www. palazzogamboni.ch
Verpflegung: Gemütlich ist die Osteria Al Palazign in Comologno: Speisen aus der Gegend, guter Wein, freundlicher Service
Buchtipp: Aline Valangin: «Die Bargada/Dorf an der Grenze. Eine Chronik»; Limmat-Verlag, 2002, 336 Seiten, CHF 49.90