Die Pandemie fordert die Pflegenden, die in den Spitälern und Pflegeheimen Überstunden schieben. Von daher wäre es naheliegend, dass viele den Bettel bald hinschmeissen – aus Frust und Erschöpfung Alarmierende Burn-out-Zahlen Das Pflegepersonal brennt aus . Doch eine Umfrage bei fünf grösseren Schweizer Spitälern zeigt: Es gibt bisher keine Anzeichen für eine Kündigungswelle beim Pflegepersonal. Mehr noch: Es scheint fast, dass sich der künftige Personalmangel dank Corona sogar etwas entschärfen könnte.

In einzelnen Regionen interessieren sich so viele für die Pflegeausbildung wie noch nie. So wird am Luzerner Bildungszentrum Xund im Frühjahr eine Klasse mehr als bisher das Studium starten. In Olten SO verzeichnet die Gesundheitlich-Soziale Berufsfachschule BBZ rund 10 bis 20 Prozent mehr Anmeldungen. Am meisten Zulauf hat das Bildungszentrum Pflege in Bern: Für die zwei und drei Jahre dauernden Ausbildungen zu diplomierten Pflegefachpersonen haben sich im Vergleich zum Vorjahr 30 bis 40 Prozent mehr Personen angemeldet.

«Ich bin überzeugt, dass Corona einen Teil dazu beigetragen hat. Noch nie wurde so viel über die Pflege als systemrelevanter und krisensicherer Beruf gesprochen», sagt die stellvertretende Direktorin Barbara Schmid. Tobias Lengen vom Xund in Luzern sieht es ähnlich: «Die Sinnhaftigkeit rückt in der Krise wieder in den Vordergrund. Und der Pflegeberuf wurde noch nie so hoch bewertet wie jetzt.»

Hinzu kommt ein indirekter Corona-Effekt: Wenn es der Wirtschaft schlecht geht, haben die krisensicheren Gesundheitsberufe Konjunktur. Das zeigte sich in der Vergangenheit immer wieder. Allerdings ist dieser Effekt nicht besonders nachhaltig.

65'000 Pflegende werden im Jahr 2030 fehlen.

Erfahrungsgemäss wandern viele wieder ab, sobald es bergauf geht, sagt der Gesundheitsökonom Willy Oggier. «Sie kommen in der Pflegerealität an und wechseln dann in die Pharma- oder Medizintechnik-Industrie, ins Fallmanagement bei Krankenversicherern oder zu öffentlichen Ämtern.» An den Krankenbetten fehlen sie dann. Ein Problem, denn gemäss einer Studie wird es im Jahr 2030 rund 65'000 Pflegepersonen zu wenig geben.

Euphorie ist auch deshalb verfehlt, weil der Corona-Effekt nicht überall zu greifen scheint. Am Bildungszentrum Careum in Zürich war zwar das Interesse an den Infoveranstaltungen sehr gross, effektiv angemeldet haben sich aber nicht mehr Personen für die Pflegeausbildungen als sonst. Auch an den Schulen in Winterthur, St. Gallen und Aarau gab es nicht mehr Anmeldungen als erwartet.

Mehrere Gründe für wachsende Beliebtheit

Die Verantwortlichen aller angefragten Institutionen sind sich einig: Mit der Pandemie lässt sich der Anstieg an einzelnen Schulen nur teilweise erklären. In Bern könnte auch der neue Teilzeit-Ausbildungsgang für Fachangestellte Gesundheit mit Berufserfahrung eine Rolle spielen. Dabei verdient man während der Pflegeausbildung mehr als die üblichen 800 bis 1200 Franken pro Monat. «Das zieht momentan sehr an», sagt Barbara Schmid.

In Luzern starten die Ausbildungen seit 2018 viermal pro Jahr statt nur zweimal. Das sei sehr attraktiv. Daniel Hofer, Rektor des BBZ Olten, weist auf eine Neuerung hin: «Viele Kantone führten in den letzten Jahren eine Ausbildungsverpflichtung für Gesundheitsbetriebe ein. Bei uns kommt das jetzt langsam zum Tragen.»

Immerhin scheint die Pandemie Interessierte aber nicht davon abzuhalten, in den Pflegeberuf einzusteigen. «Um sie im Beruf zu halten, braucht es jetzt dringend attraktive Arbeitsbedingungen und bessere Löhne, wie dies unter anderem die Pflegeinitiative fordert», sagt Barbara Schmid vom Bildungszentrum Pflege in Bern.

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