Das Kind auf eine Privatschule schicken? «Das wäre uns früher nie in den Sinn gekommen», erzählen die Eltern eines Fünftklässlers in der Stadt Zürich.

Seit dem Sommer geht er nun auf eine Montessori-Privatschule. Seine Eltern, die anonym bleiben wollen, haben sich kurz vor den Sommerferien entschieden, ihren Sohn aus der Volksschule zu nehmen.

«Es war eine absolute Notlösung. Wir sind eigentlich von der Volksschule überzeugt. Wir finden, es darf nicht sein, dass es am Geld liegt, wer welche Bildung erhält. Aber wir haben uns um die Unterrichtsqualität gesorgt.»

Mit diesen Sorgen ist die Familie in guter Gesellschaft. Das zeigt eine heute veröffentlichte Umfrage der Zürcher Elternmitwirkungs-Organisation (KEO), die der Beobachter vorab erhielt. Die Ergebnisse lassen aufhorchen.

Zwei Drittel der befragten Eltern machen sich Sorgen um die Bildungsqualität der Volksschule. Gut ein Drittel überlegt sich gar einen Wechsel an eine Privatschule. Und gut ein Sechstel zieht Homeschooling in Erwägung. Trotzdem betrachtet eine Mehrheit der Eltern den Schuleinstieg ihrer Kinder nach den Sommerferien als geglückt.

Die Umfrage ist nicht repräsentativ. Sie bildet die Meinung von gut 1000 Eltern von rund 2300 schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen im Kanton Zürich ab. Sie haben den Online-Fragebogen zwischen Ende August und Ende Oktober ausgefüllt. Die meisten Rückmeldungen stammen aus der Stadt Zürich und dem Bezirk Winterthur.

 

Lehrermangel ist für Eltern ein Problem

Die Umfrageergebnisse zeigen, dass der Mangel an qualifizierten Lehrpersonen für viele Eltern problematisch ist. Der Mangel ist so gross wie kaum je zuvor. Um den Schulstart im Sommer überhaupt gewährleisten zu können, sah sich die Zürcher Bildungsdirektion gezwungen, erstmals die Anstellung von Lehrpersonen ohne Zulassung zu erlauben, sogenannte Laien-Lehrpersonen.

Der Lehrermangel Lehrermangel Silvia Steiners kuriose Taskforce war auch der entscheidende Faktor bei der Familie, die sich für einen Wechsel an die Montessori-Schule entschieden hat. Denn eigentlich war alles gut. Ihr Bub hatte gute Noten und gute Freunde. Doch als im Frühling klar wurde, dass beide seine Lehrpersonen gekündigt hatten, waren die Eltern beunruhigt.

Als vier Wochen vor den Sommerferien noch kein Ersatz gefunden war und die Schule mitteilte, dass der neue Klassenlehrer gerade sein erstes Jahr an der Pädagogischen Hochschule abgeschlossen hatte, war Schluss.

«Die Eltern haben nach zwei Jahren Pandemie, der gleich anschliessenden Ukrainekrise und dem jetzt akut gewordenen Fachkräftemangel an der Volksschule genug vom Krisenmodus in den Schulen.»

Gabriela Kohler, Elternverbandspräsidentin

«Dieses Umfeld war uns einfach zu unsicher. Wir wollten unserem Sohn Stabilität bieten. Gerade die sechste Klasse, das Ende der Primarschule, ist in Zürich wichtig für die weitere Schulkarriere. Dann werden Weichen gestellt.»

Viele Eltern gehe es so, sagte die Elternverbandspräsidentin Gabriela Kohler dem Beobachter im August. «Sie befürchten, dass ihre Kinder nicht mehr gut ausgebildet und individuell gefördert werden.» Die Gefahr bestehe, dass mehr Eltern auf Privatschulen oder Homeschooling setzen werden. «Dabei ist eine starke Volksschule zentral für eine chancengerechte Bildung aller.»

Die Ergebnisse der Umfrage scheinen Kohlers Befürchtung zu bestätigen. Heute sagt sie: «Die Eltern haben nach zwei Jahren Pandemie, der gleich anschliessenden Ukrainekrise und dem jetzt akut gewordenen Fachkräftemangel an der Volksschule genug vom Krisenmodus in den Schulen.»

Dass eine Mehrheit der Eltern den Schuleinstieg ihrer Kinder trotzdem als geglückt betrachtet, erklärt sie sich mit dem geleisteten Spezialeffort der bestehenden Lehrpersonen, der Schulleitungen und der Schulbehörden: «Die der Volksschule immer wieder zugeschriebene Robustheit kommt auf dem Rücken der Schulteams zustande, während die Rahmenbedingungen bis heute nicht den steigenden Anforderungen angepasst wurden.»

Die Bildungsdirektion des Kantons Zürich teilt auf Anfrage mit, man könne die Umfrage derzeit nicht kommentieren. Man sei daran, die Ergebnisse «sorgfältig zu prüfen».

Noch bleibt der Run auf Privatschulen aus

Angesichts der überraschend hohen Anzahl an Eltern, die sich einen Wechsel an eine Privatschule Montessori Schlechtes Zeugnis für eine Privatschule vorstellen können, stellt sich die Frage: Gibt es tatsächlich einen Ansturm auf Privatschulen? Gibt es die grosse Abwanderung aus der Volksschule?

«Nein», sagt Markus Fischer, langjähriger Generalsekretär des Verbands Schweizerischer Privatschulen. «Das wäre zwar schön für uns, aber die Privatschulquote ist in den letzten Jahrzehnten in etwa gleich geblieben.» Es sei ein meilenweiter Unterschied zwischen «sich vorstellen können, sein Kind auf eine Privatschule zu schicken» und es effektiv zu machen. «Das Ganze kostet ja auch etwas. Ohne besondere Verhältnisse oder Bedürfnisse schickt man sein Kind während der obligatorischen Schulzeit nicht auf eine Privatschule.»

Fischers Aussagen lassen sich nur begrenzt statistisch untermauern. Denn es gibt nur wenige Daten zur Privatschullandschaft. Die absolute Anzahl Privatschulen ist in den letzten Jahrzehnten erstaunlich konstant geblieben. Zudem liegt gemäss letztem Bildungsbericht die Quote der Schülerinnen und Schüler, die eine Privatschule besuchen, seit vielen Jahren mehr oder weniger stabil bei rund fünf Prozent.

«Solche Eltern haben völlig andere Bildungsvorstellungen als wir hier in der Schweiz. Sie entscheiden sich vielfach für eine internationale Privatschule.»

Markus Fischer, Generalsekretär des Verbands Schweizerischer Privatschulen

Was jedoch zugenommen habe, sei der Trend zu Privatschulen bei gut ausgebildeten Expats, eingewanderten Akademikern, sagt Fischer. «Solche Eltern haben völlig andere Bildungsvorstellungen als wir hier in der Schweiz. Sie entscheiden sich vielfach für eine internationale Privatschule.»

Ob Privatschulen aber tatsächlich besser sind als Volksschulen, dafür gebe es kaum Belege, sagt Stefan Denzler, stellvertretender Direktor der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung (SBKF), die auch den Bildungsbericht herausgibt. «Man weiss wenig über die Qualifikation des Lehrpersonals und kaum etwas über die Wirksamkeit. Es gibt keine standardisierten Vergleichstests, mit denen man etwa schauen könnte, ob Privatschulen besser oder schlechter sind als öffentliche Schulen.»

Sicher ist: Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern verdienen in der Schweiz die Lehrpersonen der staatlichen Schulen in der Regel mehr als an Privatschulen.

Homeschooling trendet

Einen leichten Trend gibt es jedoch beim Homeschooling Fernunterricht wegen Corona «Muss ich die Klasse repetieren?» . Es gibt zwar auch hier praktisch keine schweizweiten Daten, und die rechtlichen Rahmenbedingungen sind kantonal sehr unterschiedlich geregelt. Der Homeschooling-Dachverband Bildung zu Hause weist aber einen jährlichen Zuwachs von rund vierzig Prozent aus. Das sind rund 400 bis 500 neue Mitglieder. Auch immer mehr Jugendliche versuchen, die Matur zu machen, ohne an einer staatlich anerkannten Schule gewesen zu sein.

Das zeigen Zahlen der Schweizerischen Maturitätskommission. Ein Teil von ihnen besucht eine staatlich nicht anerkannte Privatschule zur Vorbereitung auf die Matur. Es gebe aber auch immer mehr Homeschooler, die versuchen, ihre Kinder selbst auf die Matur vorzubereiten, sagt Patrick Ziegler, Präsident des Vereins Bildung zu Hause.

Fachleute schätzen, dass in der Schweiz weniger als ein Prozent der Eltern ihre Kinder selbst unterrichten.

Dass der aktuelle Mangel an Lehrpersonen aber etwas mit dem Trend zu mehr Homeschooling zu tun hat, bezweifelt auch Ziegler. Er habe aber noch nie gehört, dass jemand seine Kinder zu Hause unterrichtet wegen der mangelnden Qualität der Volksschule. Die Gründe seien vielmehr der gestiegene Leistungsdruck oder die Möglichkeit für die individuelle Förderung des Kindes.

Zudem darf das Homeschooling nicht überschätzt werden. Es ist ein Nischenphänomen. Fachleute schätzen, dass in der Schweiz weniger als ein Prozent der Eltern ihre Kinder selbst unterrichten.

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