Der Penis könne «als wichtiges Organ im Sinne des Gesetzes gelten», hält das Bundesgericht in einem Urteil aus dem Jahr 2002 fest. Und wir Männer sind froh, dass auch das einmal höchstrichterlich bestätigt wurde. Doch sei dessen Verletzung nur dann als schwer zu taxieren, «wenn er verstümmelt oder unbrauchbar gemacht worden wäre». Oje. Was ist da passiert? Weshalb krümmen sich fünf höchste Richter über solche Fragen?

Anlass dazu gab die verletzte Männlichkeit eines Freiburger Bordellbesuchers. Er liess sich von einer Domina am Piercingring, den er am Penis trug, an ein Bett ketten. Und als die strenge Frau ihn aufforderte, aufzustehen, erhob er sich gehorsam. Nur dumm, dass die Kette zu kurz war. Der Ring wurde aus dem Penis gerissen.

Zwei Jahre lang ertrug der Verletzte sein Unglück untertänigst. Erst dann reichte er gegen seine «Herrin» wegen schwerer Körperverletzung Strafanzeige ein. Doch der Untersuchungsrichter stellte das Verfahren ein. Dagegen klagte der ehemalige «Sklave» durch sämtliche Instanzen bis hinauf zum Bundesgericht, das ihn aber ebenfalls abblitzen liess.

Die Vorinstanz habe die Penisverletzung zu Recht nicht als schwer taxiert, befanden die Bundesrichter. Das Freiburger Kantonsgericht hatte entschieden, dass zwar eine bleibende Schädigung vorliege, weil der Harnstrahl des Mannes nach dem Unfall «gefächert und zweigeteilt» sei. Doch seien die urinale und die sexuelle Grundfunktion intakt. Den Beschwerdeführer werde «einzig Zeit seines Lebens jeweils beim Wasserlassen und beim Höhepunkt der sexuellen Lust der zweite Strahl begleiten, ohne dass ihm dadurch weitere Unannehmlichkeiten erwachsen».

Die Konsequenz: Weil bei leichten Verletzungen eine Strafanzeige innert dreier Monate nach dem Ereignis eingereicht werden muss, hatte der Mann die Frist verpasst. Die späte Revolte gegen seine ehemalige Domina kostet ihn nun 2000 Franken Gerichtsgebühr nebst Anwaltskosten und Gerichtskosten der Vorinstanzen.

Der Bürger zahlt die Zeche
Noch teurer kommen solche Entscheide den Steuerzahler zu stehen: Haben sich doch fünf der höchstbezahlten Magistraten des Bundes mit einer kumulierten Lohnsumme von 1,6 Millionen Franken allenfalls tagelang um einen Fall gekümmert, der nicht gerade von fundamentaler Bedeutung für die Schweiz ist. So versteht man den Ruf von Bundesgerichtspräsident Arthur Aeschlimann nach Einzelrichtern, die auch am Bundesgericht klare Fälle im Alleingang entscheiden sollen. Der Zugang zum Bundesgericht sei praktisch uneingeschränkt möglich. «Das ist auch gut so», liess er sich unlängst in der «NZZ am Sonntag» zitieren. «Aber es sind selbstverständlich nicht alles Grundsatzfälle.»

Fürwahr. Da müssen sich im Jahr 2005 drei Bundesrichter um die Fragen kümmern, ob auf einem Spielplatz ein Turm gebaut werden dürfe und ob es eine wissenschaftliche Methode gebe, um Kindergeschrei zu messen. Anlass war die Beschwerde eines Winterthurers, der sich gegen die Sanierung eines 400 Quadratmeter kleinen Spielplatzes in der Nachbarschaft wehrte. Er störte sich «am Geschrei und Gekreische von Kindergarten- und Hortkindern, welche den Spielplatz am Nachmittag während zwei bis drei Stunden in Gruppen aufsuchen und sich auf der geplanten Turmanlage gegenseitig verfolgen». Doch das Bundesgericht entschied: Kinderlärm während zwei bis drei Stunden störe das Wohlbefinden nicht erheblich. Das öffentliche Interesse überwiege. Spielen sei oft mit Lärm verbunden - mit oder ohne Turm. «Etwa Ball- und Fangspiele, bei denen Mitspieler durch Zurufe auf sich aufmerksam machen wollen, ihren Unmut durch Anschreien ausdrücken oder bei erfolgreichen Aktionen in ein Freudengeschrei ausbrechen.» Zumindest einen Vorteil hatte die Zwängerei des Nachbarn: Die Bundesrichter durften sich wieder einmal ihrer Kindheit erinnern.

Oh, du schöne Weihnachtszeit
Dabei kommen die höchsten Richter auch mal ins Schwärmen: «Für die Weihnachtsdekoration 2005/2006 wurden mehrere, teils hohe Bäume sowie einige Sträucher dicht mit Leuchtgirlanden in verschiedenen Farben ummantelt und von leuchtenden Sternen und Monden gekrönt», beschrieben sie die Ausschmückung an einem Haus in Uitikon ZH, gegen die Nachbarn wegen «unzulässiger Lichtimmission» Beschwerde eingereicht hatten. «Im Gartenbereich standen mehr als zehn von innen beleuchtete Figuren in verschiedenen Grössen, darunter Schneemänner, Weihnachtsmänner und Schafe mit einem Hirten.» Man kann sich das Leuchten in den Augen der hohen Magistraten geradezu vorstellen. Sie hatten denn auch am Bewilligungsverfahren der Gemeinde, das die Installation erlaubt hatte, nichts auszusetzen.

Doch nicht nur lärm- und lichtempfindliche Nachbarn oder allzu gehorsame «Sklaven» belagern mitunter die höchsten Richter, nein, das macht auch die Zürcher Oberstaatsanwaltschaft. Das Zürcher Obergericht hatte eine Busse von 200 Franken gegen eine Hundehalterin aufgehoben, deren Hund einem Reh am Pfäffikersee an einem frühen Augustnachmittag 40 Meter nachgejagt war. In dieser Gegend sei ein Reh zu der Jahres- und Tageszeit ganz aussergewöhnlich und deshalb nicht vorhersehbar gewesen, begründeten die Oberrichter ihren Entscheid. Doch das wollten die höchsten Strafverfolger des urbanen Kantons partout nicht akzeptieren. Rehe seien Feldtiere, die auch heute noch jede Gelegenheit nutzten, um sich im freien Feld zu bewegen.

Deshalb mussten sich im Oktober 2007 fünf Bundesrichter um den Lebensraum von Rehen kümmern. Dabei riss ihnen der Geduldsfaden: Die Oberstaatsanwaltschaft beschränke sich darauf, ihre Sicht der örtlichen Gegebenheiten darzustellen, ohne aufzuzeigen, inwiefern die Annahmen des Obergerichts unhaltbar seien. «So lassen sich Sachverhaltsbeanstandungen nicht begründen», rüffeln die Richter die Strafverfolger und weisen deren Beschwerde ab. Die entstandenen Kosten trägt jedoch nicht die getadelte Staatsanwaltschaft, da den Behörden von Bund, Kantonen und Gemeinden per Gesetz keine Kosten auferlegt werden dürfen. So finanziert der Steuerzahler den Blödsinn von Zürcher Behörden.

Der freie Zugang zum Bundesgericht hat aber zumindest einen Vorteil: Die Richter sind gezwungen, den Alltag der Rechtsunterworfenen mit einer fast chirurgischen Genauigkeit wahrzunehmen. So hielt das Bundesgericht unlängst fest, dass «eine Zeitung - im Unterschied etwa zu herabfallenden Teilen eines Nahrungsmittels oder zu herabfallender Zigarettenasche - die Kleider und den Sitz nicht beschmutzen kann und - im Unterschied beispielsweise zu herabfallenden Mobiltelefonen und Fotoapparaten - nicht leicht beschädigt werden kann». Es lebe der Staat, dessen höchste Richter sich mit solchen Problemen herumschlagen dürfen!

Weitere Infos

Die Entscheide sind auf der Website des Bundesgerichts zu finden: www.bger.ch/... - im Eingabefeld die Urteilsnummer eingeben (haben Sie Geduld, die Suche kann einige Sekunden dauern).

  • Penisurteil: 6S.79/2002;
  • Spielplatzurteil: 1A.167/2004;
  • Leuchtgirlandenurteil: 1A.202/2006;
  • Hundeurteil: 6B_89/2007;
  • Zeitungsurteil: 6S.128/2006