Es war eine Patientin, die auf das schon lange besetzte Badezimmer aufmerksam machte. Als ein Pfleger am 10. Dezember 2013 dann die Tür aufschloss, lag Massimo N.* tot in der Wanne. Neben ihm eine Flasche Gin. Der 40-jährige war Patient einer geschlossenen Abteilung der Psychiatrischen Universitätsklinik (PUK) in Zürich. Er litt an Verfolgungswahn, hörte Stimmen – und hatte ein Alkoholproblem. Den Gin hatte er wohl auf die Station geschmuggelt.

«Ich verstehe nicht, weshalb man einen Risikopatienten wie meinen Bruder nicht besser kontrollierte», sagt seine Schwester. Auf der geschlossenen Abteilung wisse man aber nicht einmal, wer wann ein Bad nehme. Zudem könnten Patienten offenbar sehr einfach unerlaubte Ding auf die Station schmuggeln.

Einiges deutet darauf hin, dass Massimo N. nicht einfach an den Folgen des Alkoholkonsums starb. Die im Blut gemessenen 1,7 Promille sind kaum tödlich. Fatal dürfte sich die Wechselwirkung zwischen verabreichten Medikamenten und dem Gin ausgewirkt haben.

Der aussergewöhnliche Todesfall wird auch auf strafrechtliche Aspekte hin überprüft. Das Institut für Rechtsmedizin der Uni Zürich untersucht seit Monaten die Todesursache. Der Bericht steht aus. «Ob wir ein Strafverfahren eröffnen, wird davon abhängen, ob der Vorfall für die Klinik voraussehbar und vermeidbar war», sagt der Zürcher Staatsanwalt Thomas Moder. Falls ja, könnten sich die Verantwortlichen einer fahrlässigen Tötung durch Unterlassung schuldig gemacht haben.

Immer wieder aus Klinik verschwunden

Die Schwester von Massimo N. hofft, dass die Klinik jetzt zumindest die Sicherheit verbessert. Entsprechende Kritik übte sie schon lange vor dem Todesfall. Massimo N. war über ein Jahr in verschiedenen geschlossenen Abteilungen der PUK. Er konnte diese mehrfach und zum Teil über Stunden unbemerkt verlassen, wie die Patientengeschichte zeigt. Er sei auch wiederholt und unerwartet bei seiner Mutter aufgetaucht, was zum Teil zu bedrohlichen Situationen geführt habe, kritisiert die Schwester. «Niemand will eine totale Überwachung. Aber mit wenigen einschneidenden Massnahmen könnte die Sicherheit von Risikopatienten bereits erhöht werden.» Neben besseren Ein- und Ausgangskontrollen könnte auch der gefährliche Bereich der Etagenbäder besser überwacht werden, etwa durch regelmässige Rückfragen bei Patienten, was auch über eine Gegensprechanlage geschehen könnte.

Die PUK will sich aus Persönlichkeits- und Datenschutzgründen nicht zu einzelnen Vorfällen äussern. Bei gefährdeten Patienten würden aber «besondere, individuell abgestimmte Massnahmen getroffen», so der ärztliche Klinik-Direktor Erich Seifritz. «Wir beurteilen auch fortwährend den gesundheitlichen Zustand – insbesondere die Selbst- und Fremdgefährdung» Dabei sei wichtig, dass die Patienten «so viel Selbständigkeit und Autonomie wie möglich behalten und gegebenenfalls auch wieder neu erwerben können.»

Zu technischen und organisatorischen Verbesserungen äussert sich Seifritz in der schriftlichen Stellungnahme nicht. Für Angehörige ist das unverständlich. «Wieso ist die Klinik nicht bereit, die Sicherheit der Patienten zu verbessern?», fragt die Schwester des Verstorbenen.

Den Teufel gesehen

Mehr Sicherheit verlangt auch eine Patientin, die in einer geschlossenen Abteilung der PUK beinahe getötet wurde – und nur durch Zufall überlebte.

Die 51-Jährige war am 2. September 2012 zuerst allein im Aufenthaltsraum gewesen. Kurz nach Mitternacht betrat ihn ein anderer Patient. Nach einem Annäherungsversuch, den die Frau zurückwies, stürzte sich der 52-Jährige auf sie und würgte sie bis zur Bewusstlosigkeit. «Ich konnte nur leise röchelnd nach Hilfe rufen und wurde schnell ohnmächtig», sagt die Frau.

Sie hatte Glück: Weil ein vor die Tür gestellter Pflanzentopf den sonst geschlossenen Raum offen hielt, hörte eine Pflegerin die leisen Rufe aus dem schlecht einsehbaren Raum. «Sonst würde ich heute nicht mehr leben.»

Im vergangenen April bereute der Täter den Tötungsversuch vor Gericht. Er habe auf Empfehlung von Kollegen in der Freikirche ICF seine Medikamente abgesetzt, um dafür mehr in der Bibel zu lesen. Das bekam ihm schlecht. Laut seinem Verteidiger glaubte er in der Frau den Teufel zu erkennen, den er zwar abwehren, aber nicht töten wollte.

Wegen Schuldunfähigkeit bestrafte das Gericht den Mann nicht, sondern ordnete eine ambulante Psychotherapie an.

Das Opfer suchte seither wiederholt das Gespräch mit Klinikverantwortlichen, um Verbesserungen der Sicherheit anzuregen. «Ich habe nach einem Besuch auf der Station und einem Gespräch mit einem Angestellten nicht den Eindruck, dass sich seither etwas verbessert hat. Ein solcher Vorfall könnte jederzeit wieder passieren.» Die Frau schlug eine Videoüberwachung für den Aufenthaltsraum vor – zumindest während der Nacht. «Alternativ könnte auch immer ein Angestellter im Raum anwesend sein.»

Videoüberwachung wäre denkbar

Klinikdirektor Seifritz lehnt eine Videoüberwachung ab. «Sie kommt aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes der Patienten nicht in Frage.» In einem Schreiben an die Anwältin des Opfers erwähnte er insbesondere, dass die Überwachung gegen den Datenschutz verstossen würde.

Der kantonale Datenschutzbeauftragte Bruno Baeriswyl sieht das anders. «Eine Videoüberwachung ist denkbar, wenn das Ziel klar die Sicherheit der Personen im Aufenthaltsraum ist, also Übergriffe zu erkennen und zu unterbinden. Und nicht etwa das allgemeine Verhaltens eines Patienten zu erfassen.» Eine solche Überwachung müsse darum nicht aufgezeichnet werden. «Sie ist aber nur sinnvoll, wenn auch gewährleistet ist, dass ein Angestellter den Bildschirm im Auge behält.» Selbstverständlich müssten die Besucher des Aufenthaltsraums über die Überwachung informiert werden. Vergleichbare Überwachungsanlagen gibt es bereits in mehreren Zürcher Spitälern.

Seifritz hingegen befürchtet, dass die therapeutische Situation auf der Station durch eine Videoüberwachung zu stark beeinträchtigt würde. Tatsächlich leiden viele Patienten unter Verfolgungsängsten. Sie könnten die Videoüberwachung als zusätzliche Bedrohung verkennen.

Für die beinahe getötete Frau ist das kein überzeugendes Argument: «Die Sicherheit der Patienten muss doch wichtiger sein als allfällige therapeutische Erschwernisse.»

*Name der Redaktion bekannt