Wenn bei Heinz Dössegger aus Lufingen ZH das Telefon klingelt, geht sein Puls schneller. Diesen Herbst war es mehrfach vorgekommen, dass die Verbindung unterbrochen wurde, sobald er den Hörer abgehoben hatte. Ein Einbrecher, der wissen wollte, ob jemand zu Hause ist? Jemand, der ihn einfach ärgern wollte? Oder noch schlimmer: ein Perverser? Die Nummer des Anrufers fand der Fotograf in keinem Telefonbuch. Erst als er im Internet recherchierte, kam er der Sache auf die Spur: Die ersten Ziffern waren dieselben wie jene der Krankenkasse Sympany. «Wieso aber unterbricht die Firma die Verbindung, wenn sie mir doch eine Versicherung andrehen will?», fragt er sich.

Was unsinnig scheint, ist eine weit verbreitete Methode. Um ihre Effizienz zu steigern, setzen Callcenter nämlich auf Computerprogramme: Diese berechnen, wann der nächste Anruf ausgelöst werden muss, damit die Callcenter-Agenten möglichst 60 Minuten pro Stunde mit Kunden sprechen können – mit dem Aufbau einer neuen Leitung Zeit zu vertrödeln liegt da nicht drin. So startet der Computer den nächsten Anruf schon, bevor überhaupt ein Agent frei ist. Da jedoch auch ein Computer nicht wirklich hellsehen kann, nutzen die Programmierer einen Trick: Gestützt auf laufend aktualisierte Daten, berechnet die Software den Zeitpunkt der Anrufauslösung fortwährend statistisch. Die Methode heisst im Fachjargon «Predictive Dialing», übersetzt «voraussagendes Wählen».

Über 1000 Mal vergeblich gewählt

«Voraussage» ist aber zu hoch gegriffen, denn mindestens zwei Prozent der Anrufe muss der Computer «verwerfen», weil kein Agent frei ist, wenn die auf Vorrat Angewählten bereits in der Leitung sind. Im besseren Fall klingelt das Telefon nur kurz, schlechterenfalls wird die Verbindung erst unterbrochen, wenn schon jemand dran ist – wie bei Heinz Dössegger. In Zahlen: Ein Callcenter tätigte im Auftrag von Sympany mehr als 50'000 Anrufe. Die Fehlerquote, der sogenannte «Overdialing-Faktor», lag bei zwei Prozent, also bei über 1000 Anrufen. Für Sympany-Sprecher Dieter Egli kein Grund zur Aufregung: «Bei uns haben sich ganz vereinzelt Angerufene beklagt.»

Doch die Methode ist in der Schweiz verboten, bestätigt Jens Kaessner vom Bundesamt für Kommunikation (Bakom) dem Beobachter. «Anrufe von Telefoncomputern ins Leere gelten wie Spam-Mails als unlautere Massenwerbung», so der Jurist. Das ist kein Kavaliersdelikt: Die Höchststrafe beträgt drei Jahre Gefängnis oder eine Busse von maximal einer Million Franken.

Kaessner betont, das Bakom habe die Branchenverbände darüber informiert, dass die Methode nicht erlaubt sei. Doch die Callcenter-Betreiber distanzieren sich bis heute nicht davon. Dafür geht es um zu viel Geld: Mit «Predictive Dialing» lässt sich die Effizienz im Callcenter um bis zu 20 Prozent steigern – da nimmt man ein paar genervte Kunden in Kauf.

Zumal Sanktionen kaum zu befürchten sind. Denn niemand unternimmt etwas gegen das systematische Telefonieren. Laut Gesetz müssen zwar Anbieter wie Swisscom, Sunrise oder Cablecom ihre Kunden vor unlauterer Massenwerbung schützen. Und tatsächlich verspricht Swisscom: «Wenn wir erfahren, dass ein Kunde von uns unlautere Massenwerbung betreibt, leiten wir entsprechende Massnahmen ein.»

Juristisches Schwarz-Peter-Spiel

Doch ob es sich in konkreten Fällen tatsächlich um Telefon-Spam handle, müsse jeweils das Bakom entscheiden, schiebt der Telefonriese den Schwarzen Peter weiter. Das Bakom kann selbst keine Strafanzeige einreichen: Betroffene müssten bei der Polizei Anzeige erstatten, erklärt Bakom-Jurist Kaessner. Ein steiniger Weg, denn nur schon eine Strafuntersuchungsbehörde davon zu überzeugen, ein Verfahren zu eröffnen, ist schwierig bis unmöglich.

Aufgeschreckt durch die Recherchen des Beobachters, hat jetzt die Krankenkasse Sympany Heinz Dösseggers Anschluss für ihr Callcenter gesperrt. Wenn bei ihm also das nächste Mal ein Computer die Verbindung kappt, steckt eine andere Firma dahinter.