«Romantische Zweierbeziehungen funktionieren nicht»
Das Ideal vom glücklichen Pärchen macht nicht glücklich, findet Christiane Rösinger. Die ehemalige Sängerin der deutschen Band Lassie Singers hat darüber ein Buch geschrieben.
Veröffentlicht am 4. Juni 2012 - 16:05 Uhr
Beobachter: Sie prangern in Ihrem Buch den Beziehungsterror an. Warum?
Christiane Rösinger: Nun, das Thema interessiert mich einfach. Zudem stellte ich fest, dass man blöd angeguckt wird, wenn man als Frau allein lebt. In den Achtzigern fand man es noch cool, die Singlefrau galt als emanzipiert. Heute steht überall das private Glück, die Zweisamkeit, die verlogene Romantik im Vordergrund. Die Werbung ist diesbezüglich ein guter Gradmesser. Es kann ja keine Pizza mehr verkauft werden, ohne dass ein Paar sich mit dem trockenen Zeugs vor der Kamera liebevoll gegenseitig füttert. Die Lage hat sich für mein Gefühl zugespitzt, und so bin ich langsam auf den Geschmack gekommen.
Beobachter:Sie haben für die Arbeit am Buch 100 Beziehungsratgeber gewälzt. Wie überlebt frau das?
Rösinger:  Ehrlich gesagt bin ich regelrecht süchtig geworden beim Lesen. Man  entwickelt da so eine perverse Lust. Ich habe mit der Zeit auch immer  tollere Sachen gefunden. Es gibt durchaus ernsthafte Bücher: Eva Jaeggis  «Wenn Ehen älter werden» zum Beispiel. Sie geht analytisch an das Thema  ran, auch die Trennung wird nicht ausgeschlossen. In schlechten  Ratgebern aber müssen die Paare unheimlich viel machen zusammen. Die  Dialogsäulen der Partnerschaft erklimmen, Übungen, Übungen, Übungen, der  Mann muss auch mal danke sagen und Rosen bringen, so klischeehaftes  Zeugs halt. Da denke ich mir: Pärchen sind zwar die niederste  Lebensform, aber so blöd sind sie doch auch wieder nicht.
Beobachter: Was ist Ihnen sonst noch aufgefallen?
 Rösinger:  Dass es ganz verschiedene Herangehensweisen gibt in den  verschiedenen  Ländern. Amerikanische Autorinnen sind furchtbar  pragmatisch. Sie  schreiben, man solle abchecken, ob der Mann  bindungswillig und  heiratsfähig sei und ob er Geld habe. Wie blöd  propagiert wird auch die  Weiblichkeit: Die Frau soll weibliche Formen  zeigen, nicht ohne  Lippenstift aus dem Haus gehen. Laura Doyle, die Eva  Herman der USA,  ist da ganz krass. Sie rät der Frau von heute, bloss  nicht zu viel zu  reden, also den Mann reden zu lassen, damit bei dem der  männliche  Jagdinstinkt geweckt wird.
Beobachter: Wie sehen es europäische Autorinnen?
Rösinger:  In Frankreich zum Beispiel ganz anders. Dort haben  viele  Psychoanalytikerinnen und Psychologinnen Bücher zum Thema  geschrieben.  Immer wenn Frauen die Verfasser sind, ist das Alleinleben  auch eine  Alternative. Es kommen viele Beispiele vor von Frauen  zwischen 50 und  65 Jahren, die es total geniessen, allein zu sein.  Lassen sich diese  Frauen wieder auf eine Beziehung ein, darf die bloss  nicht zu eng sein.  Wenn Männer Bücher schreiben, merkt man schnell, dass  die nicht daran  glauben, dass Frauen allein glücklich sein können. Bei  deutschen  Singlebuchautorinnen spielt die Esoterik eine wichtige Rolle,  und  allgemein entsteht der Eindruck: Ohne Duftkerze und  Entspannungsbad  kann die deutsche Singlefrau nicht überleben.  Zelebriert wird auch  dieses Entrümpelungs-Feng-Shui: «Wirf alle alten  Sachen weg, dann gehts  dir besser!» Als ob man damit über die Runden  käme. Wann hilft schon  eine Duftkerze gegen Einsamkeit?
Christiane Rösinger, 51, Musikerin und Autorin: «Schlimm finde ich, wenn sich bereits 13-Jährige als Versagerinnen fühlen, weil sie noch keinen Freund haben.»
Beobachter: Gibt es auch brauchbare Ratschläge?
Rösinger: Ja. Etwa «Geh mehr raus, an die frische Luft», «Such  dir eine Freundin zum Quatschen», «Buche eine Bildungsreise, wenn du  nicht allein verreisen willst». Das Traurige ist, dass man Leuten, die  immer in Beziehungen lebten, wieder beibringen muss, was sie allein mit  sich anfangen können. Die scheinen das total verlernt zu haben.
Beobachter: Sie beklagen, man mache sich in Beziehungen oft zum Idioten. Sprechen Sie aus Erfahrung?
Rösinger: Ja, ich habe bei mir selber festgestellt, dass in  Beziehungen Seiten von mir zum Vorschein kamen, die ich gar nicht  besitze. In gewissen Trugsituationen wird man total bescheuert, eine  Furie, eifersüchtig.
Beobachter: Des Übels Wurzel ist für Sie die romantische Zweierbeziehung, die Sie kurz und knapp RZB nennen. Warum?
Rösinger:   Die RZB funktioniert einfach nicht. Als Idee ist sie  vielleicht nett,   aber alltagstauglich? Nein! Selbst die Literatur hat  das längst   gecheckt: Wenn die beiden zusammen sind, ist das Buch fertig.  Es ist   also nicht nur eine Spinnerei von mir. Wer sich im eigenen    Freundeskreis umsieht, stellt durchs Band fest: Dieses Romantische lässt    sich nicht einlösen. Selbst Paare, die seit 20 Jahren mehr oder    weniger glücklich zusammen sind, sagen, die Beziehung, in der sich zwei    Menschen wohl fühlten, sei eine vernünftige, nüchterne Angelegenheit.    Die Realität habe mit der romantischen Zweierbeziehung nichts zu tun.
Beobachter: Wären wir also besser bei der klassischen, pragmatischen Beziehung geblieben?
Rösinger:   Nein, so kann man das nicht sagen. Früher waren die  Frauen ökonomisch   abhängig. Es ist gut, dass diese Zeiten der  Vergangenheit angehören.   Trotzdem stelle ich fest: Die pragmatische  Beziehung hat bei uns ein   schlechtes Image. Die arrangierte Ehe finden  wir sehr schlimm. Aber ich   frage mich inzwischen ernsthaft: Ist die  wirklich so schlimm? Wenn   frau zum Beispiel Kinder haben und diese nicht  allein aufziehen will,   tut sie dann nicht gut daran, den Partner nach  ganz formalen   Gesichtspunkten auszuwählen? «Sind wir uns ähnlich? Wollen  wir   dasselbe? Ist es wahrscheinlich, dass wir dieses Eheprojekt  zusammen   durchstehen?» Mir ist das irgendwie sympathischer als dieses    Zweierideal.
Beobachter: Die RZB wird offensiv vermarktet: Valentinstag, romantische Hotels. Ein Riesengeschäft.
Rösinger:  Für mich ist das System falsch. Und Männer fallen  genauso drauf rein  wie Frauen. Frauen aber vielleicht eher, weil wir ja  durch diese  jahrhundertelange ökonomische Abhängigkeit dazu gezwungen  waren, immer  total scharf darauf zu sein, zu heiraten und einen Mann zu  haben.  Dieses «Ich liebe dich» und «Hier, als Beweis schenk ich dir  einen  Ring» ist in den Köpfen drin. Schlimm finde ich, wenn sich bereits  die  ganz jungen Frauen mit 13 als Versagerinnen fühlen, weil sie noch   keinen Freund haben. Junge Menschen neigen auch mehr zum Kitsch. Diese   gesunde Desillusionierung von all der Romantik setzt ja erst etwa mit 30   ein.
Beobachter: Wieso hat die Liebe diesen ungebrochen hohen Stellenwert, obwohl jeder und jede schon einmal unglücklich verliebt war?
Rösinger:  Die französischen Psychologinnen erklären das so: Der  Mensch ist mit  einer Sinnlosigkeit konfrontiert. Er weiss, dass er  einmal sterben  muss, und sucht nach dem Sinn des Lebens. Früher gab es  ja noch den  religiösen Wertzusammenhang, der ist in den letzten Jahren  aber  weggekippt. Nun findet die Sinnsuche in der Beziehung statt, und in  ihr  sucht man auch das Göttliche.
Beobachter: Wer profitiert mehr von einer Beziehung?
Rösinger:  Für Frauen ist es gesünder, wenn sie allein bleiben. Es  ist auch  erwiesen, dass sie allein besser schlafen. Der Mann bleibt  gesünder  in einer Beziehung. Man kann schon sagen, Männer profitieren   normalerweise mehr von der Ehe. Frauen sind aber stärker auf eine   Beziehung aus, weil es für ihren sozialen Status wichtig ist.   Gleichzeitig kommen sie nach der Trennung besser und schneller allein   zurecht, weil sie ein gutes Netzwerk haben. Da gibts einen Widerspruch,   und mir ist auch nicht ganz klar, warum sich die Frauen so an eine   Beziehung klammern. Simone de Beauvoir erklärte, dass es für Frauen   sehr schwierig sei, in Beziehungen ihre Produktivität zu bewahren, und   dass es bei Frauen diese Sucht nach Selbstaufgabe gebe. Mir ist es   ehrlich gesagt ebenso ergangen: In Zeiten, in denen ich allein lebte,   war ich immer viel produktiver. Männer haben das wiederum besser im   Griff: Sie können verliebt sein, und die Arbeit geht trotzdem vor.
Beobachter: Verbieten Sie sich heute die Liebe?
Rösinger:  Nein, sie begegnet mir einfach nicht sehr oft. Man wird  älter, die  Ansprüche steigen. Früher sehnte ich mich manchmal noch nach  der Liebe,  heute bin ich gern Single. Es ist ja auch so: Will frau in  der  heterosexuellen Beziehungswelt Erfolg haben, muss sie sich immer  ein  bisschen sanftmütiger und dümmer stellen, als sie ist.
Beobachter:  Sie haben ohne Mann eine Tochter grossgezogen und  sind kürzlich  Grossmutter geworden. Haben Sie nie gedacht: «Mist, wieso  ist da kein  Partner, der mit mir am selben Strang zieht»?
Rösinger: Das  schon, doch. Was ich nie vermisst habe, ist dieses  «Wir sind eine  Familie: Vater, Mutter, Kind». Aber natürlich gab es  Situationen, in  denen es schön gewesen wäre, wenn noch jemand mit mir an  diesem Strang  gezogen hätte: wenn das Kind krank war zum Beispiel.  Andere Mütter  haben mir dann aber gesagt, dass sie sich auch mit Mann  echt allein  fühlen.
Beobachter: Wie haben Sie den ganzen Ballast,  den Männer,  Gesellschaft und Frauenmagazine an eine Frau herantragen,  persönlich  hinter sich gelassen?
Rösinger: Ich denke, ich  habe mich frei gemacht von diesem Druck.  Wenn Frauen mir sagen: «Du  bist so toll, wieso hast du keinen Freund?»,  ist das einfach nur  Quatsch. Eine Beziehung ist für mich nicht der  Sinn des Lebens.
Buchtipp
Christiane Rösinger: «Liebe wird oft überbewertet»; Fischer, 208 Seiten, Fr. 23.90
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