Antwort von Koni Rohner, Psychotherapeut FSP:

Altmodisch oder nicht – in Ihrem Leben geht es darum, was für Sie ganz persönlich richtig ist. Wenn Sie unter dem Verhalten des Partners leiden, sollten Sie ihm das deutlich mitteilen, und wenn er sich nicht ändern kann oder will, die Beziehung abbrechen.

Es gibt jedoch tatsächlich einen gesellschaftlichen Trend in Richtung mehrerer Partner. So sagte etwa der italienische Rocksänger Zucchero in einer Boulevardzeitung: «Monogamie ist eine riesige Dummheit, ich glaube nicht, dass der Mensch geschaffen ist, immer mit der gleichen Person körperlich zusammen zu sein.»

Gelegenheiten und «Freundschaft plus»

Immer mehr Menschen scheinen diese Einstellung zu teilen. Während die Wörter «Seitensprung», «Affäre», «Untreue» einen negativen Beigeschmack haben, kommen die neuen Begriffe «Polyamorismus» (Vielliebe) und «Casual Sex» (Gelegenheitssex) neutral und verführerisch-locker daher. Wikipedia listet unter «Casual Sex» drei Spielformen auf: den altbekannten «One-Night-Stand», eine spontan entstehende einmalige sexuelle Begegnung, bei der mindestens ein Teilnehmer keine längere sexuelle oder romantische Partnerschaft anstrebt. Ausserdem den «Booty Call», eine sexuelle Begegnung, die durch Internetkontakte angebahnt wird und durchaus auch als Test für eine Langzeitbeziehung dienen kann. Und schliesslich noch die «Freundschaft Plus», eine Beziehung mit kameradschaftlichem Sex ohne Verliebtheit und ohne Ansprüche an Treue und Romantik.

Der Sexualwissenschaftler Ulrich Clement hält Gelegenheitssex «nicht bloss für eine Mode, sondern für etwas wirklich Neues, für eine urbane Kultur». Das heisst, diese neuen Beziehungsformen werden vor allem von jüngeren Menschen in städtischer Umgebung praktiziert.

Hat damit die in den sechziger Jahren geforderte «Enttabuisierung des Sexuellen» stattgefunden? Es wäre, schrieb damals der Philosoph Herbert Marcuse in seinem Buch «Eros und Zivilisation», in einer modernen Gesellschaft sehr viel mehr Lustprinzip möglich, mehr Freiheit und Genuss anstelle von Tabus, Vorschriften und Unterdrückung von Lebendigkeit.

Es ist wohl unbestritten, dass unser biologisch-animalischer Teil ganz einfach Sexualität braucht und in Bezug auf die Formen, in denen diese ausgelebt wird, nicht besonders wählerisch ist. Schliesslich geht es auch beim Lebewesen Mensch um die Erhaltung der Art. Da wir aber nicht nur von unseren Instinkten regiert werden, sondern auch Kulturwesen sind, haben wir gelernt, in welchem Rahmen Sexualität bei uns ihren Platz hat. Für die allermeisten ist das immer noch in einer langfristigen Zweierbeziehung, meist schliesslich in einer Ehe.

Wahre Liebe mit vielen ist sehr schwierig

Partnerschaftliche Treue macht aber nicht nur Sinn, weil sie Konvention ist, sondern sie entspricht auch einem seelischen Bedürfnis. Selbst Zucchero ist nämlich einer einzigen Partnerin «treu im Geiste». Wir brauchen eben nicht nur erotische Stimulation und sexuelle Lust, sondern wir wollen als fühlende Menschen wahrgenommen werden. Wir möchten uns auf jemanden Nahestehenden verlassen können, Vertrauen erfahren und schenken. Wir sind als Menschen fähig, Verantwortung für jemanden zu übernehmen, den wir lieben. Wir möchten ihn glücklich machen und ihm nicht wehtun. Wir möchten verstehen und verstanden werden.

Diese Dimension mit mehreren Partnerinnen oder Partnern gleichzeitig zu leben, wie es Polyamoristen anstreben, ist extrem schwierig. Die meisten Menschen sind damit überfordert und können mehrere Beziehungen nur auf einer sehr oberflächlichen Ebene aufrechterhalten.

Und selbst dann gibt es Personen, die gegen ihre innerste Überzeugung mitmachen, weil sie eben doch auf etwas Tiefergehendes, Langfristiges hoffen. Und nicht selten machen sich jene etwas vor, die glauben, mehrere Menschen wirklich einfühlend und verantwortlich lieben zu können.

Buchtipp

Ulrich Clement: «Wenn Liebe fremdgeht. Vom richtigen Umgang mit Affären»; Verlag Ullstein, 2010, 240 Seiten, CHF 14.90