Antwort von Koni Rohner, Psychotherapeut FSH:

Es könnte ja auch Liebe und Sex sein. Das wäre dann schon fast ideal. Der deutsche Sexualforscher Volkmar Sigusch sagt, die perfekte Liebesbeziehung bestünde aus sexuellem Begehren, emotionaler Zuneigung, tiefem Vertrauen und uneingeschränkter Verantwortung. Fehle eine dieser Strömungen, ginge es gerade noch, fehlten jedoch zwei, sei die Beziehung am Ende.

Ihre Frage zeigt, dass in Ihrer Beziehung ein Mangel besteht. Nur darum sind Sie unsicher. Am besten sagen Sie Ihrem Freund, dass Ihnen Zeichen der Zuneigung fehlen und dass Sie öfter mitreden möchten. Wenn er Sie liebt, ist es ihm ein Anliegen, dass auch Sie glücklich sind, und er wird sein Verhalten ändern.

Wir alle möchten lieben und geliebt werden. Und wir alle haben in diesem Bereich aber auch unsere Schwierigkeiten. Wir sind enttäuscht worden oder haben andere enttäuscht, haben Schmerzen verursacht oder sind verletzt worden. Der grösste Teil der Anfragen, die mich beim Beobachter erreichen, handeln von Liebe und Beziehungen. Viele Probleme entstehen deshalb, weil mit dem Wort Liebe Verschiedenes gemeint sein kann.

Egoismus zur Erhaltung der Art

Es gibt die leidenschaftliche Liebe, das mächtige Angezogensein von einer Person, meist des andern Geschlechts, das Begehren, das nach einer sexuellen Vereinigung drängt. Es ist ein ziemlich egoistisches Bedürfnis nach Nähe und Lust, das wie in der Tierwelt letztlich der Erhaltung der Art dient und damit paradoxerweise gerade über den Egoismus des Einzelnen hinausgeht.

Sigmund Freud war der Meinung, dass auch das seelische Liebesempfinden darauf beruht und aus dieser Quelle gespeist wird. Je weniger eine leidenschaftliche Liebe ausgelebt wird, desto eher entstehen Liebeslieder, Liebesgedichte und sogar weitere kulturelle Leistungen – je häufiger sexuelle Aktivität, desto weniger Romantik.

Eine weitere Form der Liebe ist zwar ebenfalls egoistisch, hat aber keine sexuelle Komponente. Das wäre etwa die Liebe zu einem Hobby, die Liebe zum Beruf, zu seinem Auto. Auch hier fühlt man sich angezogen und bereichert.

Bereits die alten Griechen haben diese zwei Formen unterschieden. Die erste nannten sie Eros (heute Erotik), die zweite Philio (heute zum Beispiel in «Philosophie», «Liebe zur Weisheit»).

Die weitaus interessanteste Form der Liebe aber ist die, die über das eigene Interesse hinausgeht. Es ist die Liebe, die in der Bibel beschrieben wird (Hohelied der Liebe, 1. Korinther, 13). Die Liebe, die nicht den eigenen Vorteil sucht, die nicht berechnend ist, die das Wohl des andern im Auge hat, die Liebe, die sich für den andern Menschen interessiert, die ihn ernst nimmt, die sich in ihn einfühlen kann.

Wir sind keine Heiligen

Es ist die Liebe, wie sie am ehesten Eltern ihren Kindern gegenüber empfinden. Eine Liebe, die nicht wertet und die den andern so annimmt, wie er eben ist, und ihn nicht verändern will. Natürlich ist das auch eine Liebe, die Verantwortung übernimmt. Die den andern nicht hintergehen, übervorteilen oder ausnützen will, die versucht, den andern so wenig wie möglich zu verletzen.

Wir alle haben dieses Potential zur selbstlosen Liebe. Wir können ihm aber nicht immer nachleben. Wir sind keine Heiligen, und die moderne Gesellschaft verlangt oft Härte in der Durchsetzung und egoistisches Kämpfen für Dinge, die einem rechtmässig zustehen.

Aber es gibt immer wieder Momente, in denen wir über die eigene Nasenspitze hinaussehen und etwas für andere tun können. Gute Freundschaften enthalten bereits ein selbstloses Element. Für eine Liebesbeziehung ist ein Interesse am Wohlergehen des andern neben der erotischen Anziehung ein unerlässlicher Bestandteil.