Zum Hornussen gehören ein Vereinspräsident, ein Vereinslokal und ein Bauer, der sein Land fürs Spiel zur Verfügung stellt. Es gehören dazu 20 Mann, ein Mannschaftsführer, ein Ehrenpräsident. Weiter eine gäbige Stammbeiz und ein eifriger Nachwuchs. Und natürlich gehören zum Hornussen auch Vereinsstolz, Traditionsverbundenheit, Zusammengehörigkeitsgefühl.

«Heja, Giele!», ruft Mannschaftschef König Walter, Lagerist aus dem solothurnischen Gerlafingen. «Gehen wir, hü!» Es ist das Wochenende des letzten Meisterschaftsspiels, ein nasskalter Samstagnachmittag im Worblental. Es ist 13 Uhr, Spielbeginn. Doch nun regnet es in Strömen. Die gegnerische Mannschaft, Heimiswil, die bereits parat stand, kommt ins Festzelt zurückgelaufen - tropfnass. «Hast du den Melker organisiert?», fragt einer. «Wir könnten inzwischen ja schon das Zvieri nehmen», meint ein anderer. Warme Hamme und Kartoffelsalat soll es geben. Aber erst nach dem Spiel, so will es die Tradition. Und dieses Spiel, das kann dauern. «E huere Seich», sagt Stalder Ueli, der Bauer, der sein Land zur Verfügung stellt.

Dann endlich, es hat ein bisschen aufgehellt, tritt der erste Schläger an. Er holt weit aus, schwingt seinen Stecken kräftig durch, prüft, ob der Abstand stimmt. Jetzt stösst er alle Luft aus den Lungen, der Blick geht konzentriert in die Ferne, dann lässt er die Rute mit aller Wucht durch die Luft sirren. Das Träf trifft auf den Hornuss, der Schläger macht einen Sprung, sucht das Gleichgewicht, schaut mit zugekniffenen Augen dem schwarzen Flugobjekt nach, das einen weiten Bogen in den Himmel zeichnet. «Guet, Winu!», sagt einer. Die Mannschaftskameraden brummeln beipflichtend. Kein Klatschen, kein Jubeln. Hornussen ist ein stilles, ein beschauliches Spiel.

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Das war nicht immer so. Zu Jeremias Gotthelfs Zeiten schlugen die Bauern beim Hornussen oft nicht nur Nousse in den Himmel, sondern sich auch gegenseitig die Köpfe ein. Damals stand die Ehre des Dorfes auf dem Spiel. Alle möglichen üblen Tricks und Finten wurden ausgeheckt, um den Gegner vorzuführen - von Fairplay war da noch keine Rede. Und für Zeche, Schäden und Verletzungen hatten die Verlierer aufzukommen.
 

 

Für Zänker und Trunkenbolde



«Ob solchem ist schon mancher Bauer arm geworden», schreibt Gotthelf in «Uli der Knecht». Sie spielten im Sonntagsstaat, aber Hornussen war ein Spiel für Zänker und Trunkenbolde. Zeitweise gab es sogar Bestrebungen, das Spiel zu verbieten. Für den Sport selbst indes war Gotthelf voller Bewunderung: «Es ist wohl nicht bald ein Spiel, welches Kraft und Gelenkigkeit, Hand, Aug und Fuss so sehr in Anspruch nimmt als das Hurnussen», schrieb er.

Vechigen, ein Vorort von Bern, ist die Hornusserhochburg der Schweiz. An seinen weichen Hügeln und Matten gibt es sechs Hornussergesellschaften mit insgesamt zehn Teams. Eines davon ist legendär: Im Weiler Heistrich, fast schon auf der Krete zum Emmental, gibt es eine Gesellschaft, benannt nach der dortigen Käsereigenossenschaft: die HG Wäseli. Die Verkleinerungsform täuscht, der Verein ist weitherum als Gegner gefürchtet. 1995, 1997, 1998, 2001, 2002, 2003 - das sind die magischen Zahlen des Hornusserwunders vom Heistrich. Diesen Samstag will die Gesellschaft erneut nach den Sternen greifen und den siebten Schweizermeistertitel holen. «Eingebogen sind wir schon, jetzt müssen wir nur noch heimfahren», meint der Vereinspräsident, Hofer Werner, Metzger aus Hindelbank.

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«Das huere Puff, das sie immer hinterlassen! E huere Seich», nölt Bauer Stalder. «Die hornussen bis in meine Küche», sagt seine Frau Vreni. Ständig komme einer etwas ausleihen. Ende Saison könne sie ihr halbes Inventar im Klubhaus holen gehen.
 

 

«Das Mentale spielt eine grosse Rolle»



Wieder schiesst einer einen Hornuss in den Himmel. Bis auf Tempo 300 werden die Kunststoffobjekte - die Nousse - beim Abschlag beschleunigt, und Topspieler schiessen über 300 Meter weit. Im Ries, im eigentlichen Spielfeld, in dem die Gegnermannschaft steht, kommt dann Hektik auf. Laut rufend und winkend, zeigen die vorderen Spieler den hinteren an, wo der Nouss landen wird. Irgendwann schwingt dann einer seine Schindel hoch in die Luft, sie dreht sich und bleibt plötzlich in der Schwebe kurz stehen. Zeitversetzt trifft mit dem Schall die Bestätigung am Schlagbock ein: Der Nouss ist abgetan. Wäre er innerhalb des Rieses zu Boden gegangen, hätten die Gegner ein Nummero kassiert, eine Art Strafpunkt.

Schmid Erwin, Strassenmeister aus Bolligen, ist einer der besten Spieler der Meisterschaft. «Es läuft grad gut», meint er neben dem Materialraum, einem ehemaligen Schweinestall. Sein Vater sei Bauer gewesen, er spiele, seit er laufen könne. «Das Mentale spielt dabei eine grosse Rolle. Man muss sich auf jede Situation einstellen können, zum Beispiel auf Regen», sagt er.

Die HG Wäseli ist nicht nur ein sehr erfolgreicher, sondern mit 70 aktiven Spielern auch ein grosser Verein. «Wir haben in den letzten Jahren sehr viel in den Nachwuchs investiert», so Vereinspräsident Hofer. Letztes Jahr habe es denn auch wieder einmal einer aus dem eigenen Nachwuchs in die A-Mannschaft geschafft. Es war sein Sohn Beat. Hofer hat ihm Platz gemacht und spielt nun im B. Es gibt aber noch Mannschaften, wo vier Generationen - Urgrossvater, Grossvater, Vater und Sohn - in derselben Mannschaft mittun.

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Im Wäseli indessen hat man Höheres im Sinn. «Wenn man an der Spitze mitmachen will, geht das nicht mehr nur mit eigenen Spielern», erklärt Mannschaftsführer König. Nur drei A-Spieler stammen noch aus Vechigen. Man versuche deshalb, junge Spieler an sich zu binden. Keiner Gesellschaft gelingt das so gut wie dem Wäseli. Hier zu spielen, das ist der Traum eines jeden Hornussers. Und wer es schafft, wird auch bald als Hiesiger angesehen.
 

 

Der Erfolgskurs fordert Opfer



Der Vater dieses Erfolgs heisst Stalder Hansruedi, Garagist in Bigenthal und Ehrenpräsident des Vereins, ein gegenüber Fremden verschwiegener Mann. Er habe ein goldenes Händchen für Talente, sagt Hofer, lebe für seinen Verein. Stalder Hansruedi ist kein Roman Abramowitsch, der Millionen in seinen Fussballklub Chelsea steckt. Im Hornussen ist kein Geld zu holen, es gibt keine Transfersummen, keine Millionenverträge. Hornussen ist eine Herzensangelegenheit - das Gegenteil dessen, was im Fernsehzeitalter als attraktive Sportart gilt. Und ein überaus zeitaufwändiger Zeitvertreib. «Zwischen März und Oktober bist du immer auf dem Bitz», meint Hofer. «Da immer im Feld rumstehen, das isch doch e huere Seich!», wettert Stalder Ueli, der Bauer und Bruder des Ehrenpräsidenten.

Der stramme Erfolgskurs fordert auch seine Opfer. Soltermann Hansruedi, der Beizer vom «Rössli Heistrich», dem Stammlokal des Vereins, das wenig oberhalb der Käserei Wäseli liegt, hat bis vor kurzem auch im A gespielt. Doch der Mannschaftschef habe ihn rausgeekelt, erzählt er. Als Betreiber einer Gastwirtschaft könne er eben nicht jederzeit spielen. «Ich bin dreimal Schweizermeister geworden, ich habe erreicht, was ich wollte», sagt er. Jetzt spiele er in der zweiten Mannschaft und sei dafür dort einer der Besten.

«Wir können ihn hier auch gut gebrauchen», meint seine Frau Therese in der Gaststube. Trotzdem kann Soltermann den Frust nicht verbergen. «Gewisse Hornusser der A-Mannschaft kommen nicht mehr ins ‹Rössli›», sagt er. Es habe Streit gegeben. «Du wirst sehen, wenn die heute den Titel holen, kommt keiner.» Im Türrahmen steht nun wankend sein Vater. «Wo liegt das Wäseli?», fragt Soltermann Walter. «Unter dem Heistrich!», versucht er unbeholfen die Hierarchiefrage zu klären. «So Vater!», mahnt der Sohn.

Mittlerweile hat sich der Himmel gelichtet. Die Kühe auf dem benachbarten Feld brüllen, in der Ferne ist das Knallen eines Schiessstands zu hören, das Knattern eines Traktors - Landmusik. Langsam vergeht der Nachmittag. Hornussen - das ist ein Epos. Das Spiel vereint zwei unterschiedliche Sportarten: das Schlagen und das Abtun. Bei beidem können beide Mannschaften punkten. Ist der erste Umgang gespielt, steht die Heimmannschaft ins Ries, und die Auswärtigen kommen zum Schlagen. Jeder Spieler macht zwei Schläge, so genannte Streiche. Je weiter einer schiesst, desto mehr Punkte kann er für seine Mannschaft schreiben.

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Bereits nach den ersten Schlägen der Heimiswiler wird die Übermacht von Wäseli offensichtlich. Der Gegner schlägt schlecht ab. Doch dadurch ist die Gefahr für die Vechiger umso grösser, dass ein Hornuss im Ries landet. Die durchs Spielfeld flatternden Schwalben sieht man alleweil besser. Es ist die Logik eines ziemlich komplexen Spiels.
 

 

«I ma nümm hornusse»



Der letzte Streich ist getan. Die Einheimischen fallen sich in die Arme, klopfen sich auf die voluminösen Rücken, reiben die Bäuche aneinander und johlen. Es ist Tatsache: Wäseli ist zum siebten Mal Schweizermeister. «Jetzt noch das offizielle Siegerfoto, danach feiern wir, wie es sich gehört», ruft Mannschaftschef König. Ein Gemeinderat von Vechigen gratuliert in Gummistiefeln. «Danke auch den Heimiswilern für das flotte Spiel», sagt Vereinspräsident Hofer.

Der Meisterpokal mit Hochprozentigem wird herumgereicht, dann reissen die Stricke. Flach Stefan, Strassenbauer aus Krauchthal, hat gestern ein neues Auto gekauft. «Den lasse ich heute stehen», posaunt er. «Ich werde da liegen, wo ich zu Fall komme.» Und schon ist das Wäseli eine einzige betrunkene Gemeinschaft. «Die erste Meisterfeier war die schönste», erinnert sich Stalder Vreni, die Bäuerin.

Spät am Abend, am Tryssetfest, das am selben Wochenende auf demselben Hügel stattfindet, sagt Bauer Stalder mit schwerer Zunge: «I wott läbe, i wotts gniesse, i ma nümm hornusse!» Er habe immer Fussball spielen wollen. Doch schon sein Vater habe ghornusset und auch der Grossvater - er habe keine Wahl gehabt. Stalder spielt in der B-Mannschaft. «E huere Seich», flucht er.
Und schon kommen Nachwuchsspieler angerannt. «Üelu, was erzählst du wieder für Geschichten?», fragt einer. Die Eskapaden von Stalder Ueli sind legendär im «Rössli Heistrich». Gerne erlaubt man sich ein Spässchen über seine langen Nächte. Aber dass der Bauer etwas Schlechtes über ihren Verein sagen kann - das finden die Jungen gar nicht lustig.

«Der Druck ist relativ gross»

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Am Wochenende kämpft Schwingerkönigin Diana Fankhauser um den Titel – und wie immer auch ein bisschen gegen Vorurteile.
Quelle: Beobachter Bewegtbild