Wenn es wieder einmal bitterkalt war, stieg Rolf Zwygart ins Zweiertram, fuhr Schlaufen, nur um sich aufzuwärmen. Das Tramabonnement hatte ihm ein Freund geschenkt. Denn obwohl Zwygart nichts mehr besass, bekam er vom Staat keinen Rappen: kein Arbeitslosengeld, keine IV-Rente, keine Sozialhilfe – nichts. Und das 14 Monate lang. Da selbst die Notschlafstelle fünf Franken kostet, schlief der damals 49-Jährige bald in Kellereingängen, Wartehäuschen oder Kirchen in der Stadt Zürich. Hie und da steckte ihm seine Mutter einen abgesparten Hunderter zu. Freunde gewährten ihm Kredit, damit er nicht verhungerte.

Angefangen hatte alles im Sommer 2007. Damals hefteten sich zwei Inspektoren des Zürcher Sozialamts an die Fersen des mehrjährigen Sozialhilfeempfängers, weil ihn jemand angeschwärzt hatte. Sie notierten, dass Zwygart meist bei seiner Freundin übernachtete und in einem Tankstellenshop mit einer Kreditkarte bezahlte, von der das Amt nichts wusste. Vermeintlicher Tatbestand: falsche Angaben zum Haushalt und nichtdeklariertes Einkommen.

Die Behörde stellt sich taub

Während der damals durch den Fall Zopfi/Wyler (siehe Artikel zum Thema «Wer schützt sonst die Opfer falscher Anschuldigungen?») angeheizten Debatte über Sozialmissbrauch fürchten die Mitarbeiter des Sozialamts nichts mehr als neue Schlagzeilen über unrechtmässig bezogene Sozialhilfe. Da begehen sie bei Rolf Zwygart zwei schwerwiegende Fehler: Sie stellen ihm die Sozialhilfe ein, ohne ihn vorher anzuhören, und sie streichen die Unterstützung ganz, statt sie nur zu kürzen.

Dabei kann Rolf Zwygart schon damals belegen, dass er bei seiner Freundin nur vorübergehend eingezogen war, weil sie erkrankte. Und seine Kreditkarte besass er seit 1990, als er noch erfolgreicher Werber und Künstler unter dem Pseudonym Fabian Fabrik war. Er kann lückenlos belegen, dass er mit seiner Karte mitnichten ein verstecktes Vermögen anzapfte. Im Gegenteil: Er hatte sie seit Jahren massiv überzogen. Doch die Sozialhilfebehörde stellt sich taub.

14 Monate nachdem die Stadt sämtliche Zahlungen für Rolf Zwygart eingestellt hat, entscheidet der Bezirksrat, dass ihn das Amt ab sofort wieder unterstützen muss. Die Beschwerdeinstanz bestätigt damit Ende 2008 einen Artikel des Beobachters (siehe Artikel zum Thema «Kommen jetzt die Bauernopfer?») vollumfänglich: Die Sozialhilfe hätte nie eingestellt werden dürfen. Vom Sozialamt verlangt der Bezirksrat, dass der Verdacht gegen Zwygart sauber abgeklärt wird. Bis das geschehen ist, hält das Amt die nicht bezahlte Sozialhilfe zurück. Doch statt den Fall jetzt mit Hochdruck zu behandeln, lässt die Behörde abermals geschlagene zwei Jahre verstreichen: Es wird Januar 2011, bis das Sozialamt eingesteht, dass sich Zwygart nie etwas hatte zuschulden kommen lassen.

Guido Schwarz, Mediensprecher der Sozialen Dienste Zürich, gesteht, dass «das Ganze unglücklich und bedauerlich ist». Im Umgang mit den damals neuen Instrumenten zur Bekämpfung von Missbrauch hätten die Erfahrungen gefehlt, und die korrekten Abläufe hätten sich noch nicht eingespielt. «Wir machten einen Anfängerfehler.» Das Spezialteam, das den Fall nochmals prüfen musste, habe ausserdem einen grossen Pendenzenberg abtragen müssen. Es habe Rolf Zwygarts Fall deswegen nicht vorrangig behandelt, weil dieser ja ab Dezember 2008 wieder Sozialhilfe bekommen habe und somit nicht mehr akut in Not war.

Jetzt wirds wirklich lebensgefährlich

Inzwischen ist der heute 53-jährige Rolf Zwygart schwer erkrankt. Er hat einen Tumor auf der Lunge, halb so gross wie ein Tennisball. Bevor operiert werden kann, muss er sich einer Chemotherapie unterziehen, und diese ist so happig, dass bereits eine kleine Infektion tödlich sein kann. Eine ungeregelte Wohnsituation wie bis anhin, ein Leben auf der Strasse wäre jetzt lebensgefährlich. Der Sozialdienst des Zürcher Universitätsspitals unterstützt ihn deshalb bei der Suche nach einem Dach über dem Kopf.

Und endlich verspricht auch das Sozialamt, das ihn über ein Jahr lang seinem Schicksal überlassen hatte, sich mit «höchster Priorität» darum zu kümmern. Rolf Zwygart sagt: «Ich wünsche mir nichts so sehr wie eine ruhige Wohnung, in der ich mich von den Strapazen der Chemo erholen kann.» Er hofft, dass ihn die Stadt Zürich diesmal nicht hängenlässt.