Susanna galt seit ihrer Geburt in Frauenfeld TG als vorläufig Aufgenommene, 18 Jahre lang, ihr Ausweis war jeweils nur ein Jahr gültig. Die Schweiz war für sie ein Zuhause, nie aber ihr Daheim. Im letzten Juni entschied sie sich, zu sterben. Anfang Jahr berichtete der Beobachter über ihr Schicksal.

Kurz darauf schrieb Lena Bali aus Zürich an die Redaktion: «Unter Tränen las ich über ihr Leben und ihren plötzlichen, einsamen Tod.» Sie verspüre den Drang, etwas für Susanna zu tun. Und fragte, ob sie einen Grabstein habe. Als ehemalige Bildhauerin wolle sie ihr ein steinernes Andenken für ihr «hartes und viel zu kurzes Leben» schenken.

Einen Grabstein konnte sich Susannas Mutter nicht leisten. Auch sie ist seit über 20 Jahren nur vorläufig aufgenommen. Sie lebt von einer IV-Rente und Ergänzungsleistungen. Ein Grabstein kostet mehrere Tausend Franken.

Bali, die sich zur Fachfrau Betreuung ausbildet, hämmerte, schliff und fräste an ihren freien Wochenenden an Susannas Marmor – einem Brasil Bianco. Ihr einstiger Lehrmeister, Beat Bösiger, stellte der 25-Jährigen sein Atelier und sämtliches Material zur Verfügung.

Engel und Schmetterling

Als Bali den fertigen Stein in die Friedhofserde drückt, sagt Susannas Mutter: «Ich weiss gar nicht, wie ich mich bedanken kann.» Zum ersten Mal habe Susanna etwas Schönes bekommen. Auf dem eingravierten Foto sehe sie aus wie ein Engel. Den Schmetterling aus Bronze hat sich die Mutter ausgesucht. Wenn Susanna sie in ihren Träumen besuche, sehe sie so aus wie ein Schmetterling, der sich auf eine Blüte setzt.

Der Marmor ist ein Geschenk für die Ewigkeit. Er benötigt kaum Pflege und wird auch in 20 Jahren noch in reinem Weiss strahlen. Während der Arbeit sei sie in Gedanken immer wieder bei Susanna gewesen und habe gehofft, dass es eine andere Welt gebe, in der es ihr besser geht, sagt Lena Bali.

Susanna hat mit dem Geschenk erhalten, was sie sich stets gewünscht hatte: Zugehörigkeit. Normalität. Zuvor war ihr Grab das einzige ohne Stein.

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