In der Nacht liegt Walter Nowak schweissgebadet in seinem Bett. Immer wieder. Seit Jahren. Er hat dann einen Blutdruck von 230 auf 130, er schlottert. Die Erinnerungen an die Zeit im Kinderheim St. Iddazell des Klosters Fischingen TG lassen ihn nicht mehr los. Wie der Pater ihm beim Duschen den Gartenschlauch auf den nackten Hintern schlägt und das Schlauchende in den After steckt. Wie er seine Geschlechtsteile in die Hand nimmt und zudrückt, bis er schreit.

50 Jahre sind vergangen. Walter Nowak wartet noch immer auf eine Entschuldigung. Der Pater stritt bis zu seinem Tod seine Schuld ab. Die katholische Kirche schweigt bis heute. Auf eine Genugtuung wartet Nowak vergeblich.

Ein weiterer Tiefschlag

Walter Nowaks Aufarbeitung seiner Kindheit wird zur Qual. Vor einem halben Jahr signalisierte ihm die von der Bischofskonferenz eingesetzte Kommission Genugtuung der katholischen Kirche der Schweiz, ein persönliches Gespräch sei Voraussetzung für eine Genugtuungszahlung. Doch als sich der Beobachter Missbrauch Die katholische Kirche mauert und die «Thurgauer Zeitung» einschalteten, ruderte sie zurück. Plötzlich hiess es, man wolle eine erneute Traumatisierung von Walter Nowak verhindern und verzichte auf das Gespräch.

Jetzt folgte der nächste Tiefschlag. Die zuständige Kommission lehnte Nowaks Gesuch ab. Die Begründung: Man habe mit ihm «kein klärendes Gespräch» führen können. Seine Angaben seien «zu wenig aussagekräftig». Es sei nicht klar, «was genau ihm widerfahren ist».

Für Walter Nowak ist das «die totale Demütigung». Er tritt mit seiner Geschichte seit Jahren an die Öffentlichkeit. 2010 reichte der in Österreich wohnhafte Nowak eine Anzeige in Bregenz ein. Darin schildert er, wie er in den sechziger Jahren im Kloster Fischingen körperlich, psychisch und sexuell missbraucht wurde. 2012 berichtete der «Tages-Anzeiger» über ihn, ebenso die «Thurgauer Zeitung», das Schweizer Fernsehen und die «Süddeutsche Zeitung». Nowak fragt: «Muss ich nun wirklich 1000 Kilometer fahren, um etwas zu erzählen, das mehrfach schriftlich festgehalten ist – und das man mir womöglich doch wieder nicht glaubt?»

Infos für Betroffene sexueller Gewalt durch die Kirche

Opfer von verjährten sexuellen Übergriffen im kirchlichen Umfeld haben Anspruch auf finanzielle Genugtuung, wenn sie noch keine staatliche oder kirchliche Entschädigungszahlung erhalten haben. Gesuche sind an das diözesane Fachgremium «Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld» des zuständigen Bistums einzureichen. Die folgenden Dokumente helfen Ihnen, ein Gesuch an das richtige Fachgremium zu stellen.

Beachten Sie: Einige Fragen, mit denen Sie sich im Gesuch befassen müssen, können unter Umständen emotional sehr belastend sein. Ziehen Sie für die Ausformulierung allenfalls eine Vertrauensperson bei.

Kirche blockt ab

Nowak hat seine Erlebnisse auch der wissenschaftlichen Kommission geschildert, die die Geschichte des Klosters Fischingen aufarbeitet. Unklar ist, warum die Kirche trotzdem darauf beharrt, dass Nowak seine Erinnerungen nochmals vortragen soll. Auf eine weitere Anfrage des Beobachters antwortete Kommissionspräsidentin Liliane Gross, für eine Entschädigung sei ein persönliches Gespräch «nicht zwingend», aber «üblich». Zwingend sei nur die Bereitschaft, dass das Opfer bei der Aufklärung des Falls mitwirke.

Ein eigenartiges Argument. Nowak reichte dem Bistum immer wieder Dokumente ein. Auf seine Briefe erhielt er erst nach zwei Jahren eine Antwort. Sein Fall ist gut dokumentiert. Nowak hat vor einem Seelsorger der kirchlichen Opferschutzkommission Österreichs ausgesagt. Anschliessend bestätigte ein Psychologe der Opferschutzkommission, dass Nowaks schlechte Gesundheit mit dem Missbrauch in Fischingen zusammenhängt. Da für seinen Fall die katholische Kirche der Schweiz zuständig ist, wurden die Unterlagen kirchenintern weitergereicht.

Ob die Dokumente in der Schweiz eingetroffen sind, ist unklar. Kommissionspräsidentin Liliane Gross beruft sich auf die Schweigepflicht und gibt zu den ihr vorliegenden Akten keine Auskunft. Sie bestätigt lediglich, dass ein Wiedererwägungsgesuch hängig sei.

Opfer-Fonds: Das Geld reicht nicht

Der Fonds, mit dem die katholische Kirche Opfer von sexuellem Missbrauch entschädigt, reicht nicht aus. Er muss bereits zum dritten Mal aufgestockt werden.

Den Fonds eingerichtet haben die katholische Bischofskonferenz und die Vereinigung der Ordensoberen der Schweiz. Er war ursprünglich mit 500'000 Franken dotiert. Doch nach wenigen Monaten war das Geld aufgebraucht. 2017 wurden in 39 Fällen total 435'000 Franken ausbezahlt. 50'000 Franken kostete die Abwicklung der Gesuche. Ende 2017 zahlte die katholische Kirche weitere 450'000 Franken ein. Im ersten Halbjahr 2018 reichten 30 Opfer Anträge ein, fast 300'000 Franken wurden ausbezahlt. Jetzt muss die katholische Kirche wieder Geld einschiessen. Wie viel, ist offen.

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Otto Hostettler, Redaktor
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