Endlich. 20 Jahre nach dem Auffliegen eines grossen Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche in den USA und nach nicht weniger als 380 entsprechenden Meldungen haben sich die wichtigen Organe der Katholikinnen und Katholiken auch hierzulande durchgerungen, die sexuellen Übergriffe in der Kirche untersuchen zu lassen.

Rund zwei Jahre nachdem der heutige Churer Bischof Joseph Bonnemain Bischof von Chur über Missbrauch in der Kirche «Ich kann die Ungeduld der Opfer verstehen» eine Studie zum Thema angekündigt hatte, präsentieren die Bischofskonferenz (SBK), die Römisch-Katholische Zentralkonferenz (RKZ) und die Konferenz der Ordensgemeinschaften und anderer Gemeinschaften des gottgeweihten Lebens in der Schweiz (KOVOS) einen Vertrag für eine Pilotstudie mit der Universität Zürich.

Die Wahl der beiden Historikerinnen Monika Dommann und Marietta Meier als Studienleiterinnen ist dabei ein kluger Schachzug. Meier hat sich mit der Untersuchung zu den Medikamentenversuchen in der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen Münsterlingen Millionen für Tests an Menschen einen Namen gemacht, Dommann sass dabei im Expertengremium. Mehr wissenschaftliches Renommee bei solch heiklen Themen ist in der Schweiz kaum zu finden. Die beiden Forscherinnen und die Universität Zürich haben sich vertraglich eine absolute Unabhängigkeit und wissenschaftliche Freiheit zusichern lassen. 

Erfreulich ist auch, dass Dommann und Meier explizit planen, Opfer und Zeitzeuginnen zu befragen. Das verschafft dem Forschungsprojekt Glaubwürdigkeit – und Akzeptanz bei den Opfern. 

Wackelige Ankündigung

Die Krux liegt jedoch anderswo. Es ist ein offenes Geheimnis, dass nicht alle Bistümer und Glaubensgemeinschaften von der Untersuchung begeistert sind. Die langwierigen Verhandlungen über den Vertrag – dem Vernehmen nach sollen sie eineinhalb Jahre gedauert haben – sind ein deutliches Zeichen dafür. Das grösste Problem dürfte jedoch bei den Kirchgemeinden und Pfarreien liegen.

Zwar verpflichten sich SBK, RKZ und KOVOS im Vertrag mit der Universität Zürich, «ihre Mitglieder sowie die von diesen repräsentierten Organisationen aufzufordern, in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich der Auftragnehmerin [sprich: den Forscherinnen, Anm. d. Red.] freien Zugang zu den Akten und Archiven zu gewähren». Garantieren können sie dies jedoch nicht. Ob ein Archiv einer Pfarrei für die Forscherinnen zugänglich ist, entscheidet nicht der Bischof, sondern die Kirchenpflege. 

Es ist deshalb zu früh, um der katholischen Kirche die Absolution zu erteilen. Der Schritt, der jetzt kommuniziert wurde, kommt spät, und er ist sehr klein. Das Pilotprojekt darf nur der Anfang sein. Wenn es – voraussichtlich im Frühling 2023 – abgeschlossen sein wird, muss augenblicklich die tatsächliche, umfassende Aufarbeitung der Missbrauchsfälle an die Hand genommen werden. Selbst wenn viele der Opfer diese Genugtuung nicht mehr erleben werden, weil die katholische Kirche derart lange gezögert hat.

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Thomas Angeli, Redaktor
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