Marlies Mörgeli öffnet den Kofferraum ihres Minivans. Heraus springen Nikita und Teddy. Die beiden Grosspudel schauen sich um, trotten den Hügel hinunter und legen sich neben ein frisches Grab.

«Gestern hatten wir die Beisetzung eines kleinen Hundes aus Zürich», sagt Mörgeli. «Die ganze Familie war dabei, und alle waren so glücklich darüber, dass sie das hier tun konnten.» Seit über 20 Jahren führt sie den Tierfriedhof am Wisenberg in Läufelfingen BL. Hier finden Hunde und Katzen, aber auch Kleintiere wie Vögel und Meerschweinchen ihre ewige Ruhe – Erdbestattungen gibt es bis zu einer gewissen Grösse, bei kremierten Tieren ist das egal. «Für mich ist das eine sehr ehrenvolle Arbeit. Bevor wir die Tiere beerdigen, bahre ich sie schön auf, schliesse ihnen die Augen. Es ist ein Privileg, dass ich in diesen Momenten dabei sein darf. Da fliessen auch bei mir durchaus mal die Tränen.»

In der Trauer nicht allein

Mörgeli spricht mit einer freundlichen Stimme. Aus ihrem gebräunten Gesicht leuchten blaue Augen. Wenn sie in breitem Basler Dialekt erzählt, wählt sie ihre Worte mit Sorgfalt und viel Gefühl.

«Rituale können eine grosse Hilfe sein», sagt die 66-Jährige. Es sei wichtig, die Hinterbliebenen mit der Trauer um ihre Lieblinge nicht alleinzulassen. «Ich empfehle vielen, dem Verstorbenen einen Brief zu schreiben, denn oft kann man zwar noch nicht über die eigene Trauer sprechen, man kann aber davon schreiben.» Es helfe auch, das Grab individuell zu gestalten oder einen persönlichen Gegenstand auf den letzten Weg mitzugeben.

Auf ihrem Friedhof ist fast alles erlaubt – nur keine religiösen Symbole. Die könnten jemanden vor den Kopf stossen, sagt Mörgeli. «Hier ist die Welt noch in Ordnung. Es ist einfach friedlich, denn alle haben einen Begleiter verloren, den sie extrem gerngehabt haben. Das verbindet.»

Ein kleines Paradies

Die Welt der Friedhöfe und Grabstätten fasziniert Mörgeli schon lange. «Als Kind war ich so etwas wie der Robin Hood des Friedhofs am Hörnli», sagt sie. Der basel-städtische Friedhof ist der grösste der Schweiz, dort ging sie oft spazieren. Dann nahm sie jeweils Blumen von Gräbern, wo es viele gab, und legte sie auf solche, wo es keine hatte.

Wir sitzen auf einer kleinen Bank am Rand des Tierfriedhofs. In unmittelbarer Nähe ein Grab, auf dem von Kindern bemalte Steine liegen. Ab und zu flitzt eine Eidechse vorbei. Die Sonne scheint, im Teich bahnen sich die Seerosen den Weg an die Oberfläche. «Manchmal kommen auch Rehe hier vorbei», sagt sie. Anders als auf anderen Friedhöfen sind sie hier willkommen.

«Das kleine Paradies, das wir heute haben, war einst der Schandfleck von Läufelfingen», sagt Mörgeli. Den Friedhof haben sie und ihr Mann Urs 2001 eröffnet – um selber einen Ort zu haben, wo sie Abschied nehmen konnten. Ihr Hund Seppli war zwei Jahre zuvor schwer erkrankt, und sie machten sich Gedanken darüber, was nach seinem Tod passieren sollte. Damals betrieb das Paar eine Werbeagentur. Die Idee, einen Friedhof für Seppli und andere geliebte Haustiere zu schaffen, kam den beiden, als sie von einem ähnlichen Projekt in Deutschland erfuhren.

Ein schwieriger Start

Nach einer Gemeindeabstimmung und der Erlaubnis von vielen zuständigen Ämtern schien 2001 alles bereit. Doch weil ihnen jemand mit dem Kauf des Grundstücks zuvorkam und dann einen hohen Wiederverkaufspreis verlangte, konnte das Paar das Grundstück nur pachten.

«Für uns war das lange eine grosse Belastung», sagt Mörgeli. Ihren Mann habe das krank gemacht. Erst 15 Jahre nach der Gründung des Tierfriedhofs konnten die Mörgelis das Grundstück endlich kaufen – dank zweier Erbschaften. «Wir waren so glücklich.» Die Freude währte nur kurz: Noch im selben Jahr starb Urs.

Doch Marlies Mörgeli lässt sich nicht so schnell aus der Bahn werfen. Um ihren Verlust zu verarbeiten, machte sie sich mit ihrer verstorbenen Liebe auf einen letzten Spaziergang. «Ich packte meinen Mann, der mal 100 Kilo gewogen hatte, in meinen Rucksack und besuchte die Rebberge, die er in seiner Kindheit so geliebt hatte.» Lieblingsorte zu besuchen, das helfe, sagt sie, wieder an die schönen Momente zu denken, auch wenn es wehtue. «Ich sage immer: Mein Urs hat mich dorthin geführt. Ich bin nämlich an einem blauen Bänkli vorbeigekommen und dachte: Da mache ich eine Pause. Bei näherem Betrachten sah ich dann, dass ‹Im Himmeli› darauf stand», erinnert sich Mörgeli und wischt sich eine Träne von der Wange. «Das war dann auch das erste Mal, dass ich etwas in ein Bänkli geritzt habe: ein M und ein U.»

Heute liegt auch Urs auf dem Tierfriedhof am Wisenberg, gleich neben dem Teich – wie 14 andere Menschen, die sich ebenfalls dafür entschieden haben, ihre Asche auf dem Tierfriedhof beisetzen zu lassen. Umgeben von Hunden, Katzen, Kaninchen, Schildkröten, Ziegen und sogar einem Pony.

Mental und emotional könnte Marlies Mörgeli ihre Arbeit auf dem Tierfriedhof noch lange leisten. Körperlich komme sie aber langsam an ihre Grenzen. «Ich muss jetzt damit anfangen, meine Nachfolge zu suchen», sagt sie. «Natürlich werde ich auch danach weiterhin hier sein und unterstützen, ich kann das aber nicht mehr alles allein stemmen.»

Nikita und Teddy haben sich unterdessen vor Mörgelis Füsse gelegt, als wollten sie sie beschützen. «Hier hat einfach alles Platz», sagt sie. «Die Trauer und das Fröhlichsein, beides kann hier existieren. Das ist mir wichtig.»