«Die Reality-Soap-Selbstdarstellerin Kim Kardashian bekam ihr drittes und viertes Kind mit Hilfe einer Leihmutter. Auch Robbie Williams und seine Frau setzten fürs Austragen ihres Kindes auf eine Leihmutter. In der Promibranche ist das bereits fast so normal wie eine Botox-Spritze. Nicole Kidman, Michael Jackson, Elton John, Fussballstar Christiano Ronaldo, die Frau von Schauspieler Robert de Niro und viele andere haben es vorgemacht. Auch in der Schweiz gibt’s immer mehr Beispiele dafür. Unter anderen einen Zürcher Nationalrats-Kandidaten, der zusammen mit seinem Freund ein Kind hat, das eine Leihmutter in Kalifornien auf die Welt gebracht hat. 

Mit der Leihmutter habe sich eine enge Freundschaft entwickelt, sagte er gegenüber Journalisten. Sein Freund ist der leibliche Vater des Kindes, die Mutter eine anonyme Eizellenspenderin aus den USA. Die Tochter wird ihre genetische Mutter also ihr Leben lang nie kennenlernen. Das stört den CVP-Politiker nicht. «Wenn jemand sich ein Kind wünscht und für dieses Kind da ist, sich um das eigene Kind kümmert, dann spricht nichts dagegen.»  

Konsumfixierte Sicht auf das Leben

Ausser das Gesetz, das in der Schweiz nach wie vor ganz klar festschreibt: «Jede Art der Leihmutterschaft ist unzulässig.» Aber der Druck, dieses Gesetz aufzuweichen, nimmt zu. Die «Schweizer Illustrierte», die «SonntagsZeitung», der «Tages-Anzeiger», die «Migros-Zeitung» und selbst das Schweizer Fernsehen berichten teilweise ganz klar befürwortend, meist aber mindestens wohlwollend über die Leihmutterschaft. Auch die NZZ meinte schon vor fünf Jahren ganz altklug: Im Zeitalter der Fortpflanzungsmedizin müsse sich die Schweiz «von der tradierten Vorstellung verabschieden, Mutter im rechtlichen Sinne könne nur diejenige Frau sein, deren Kreislauf mit demjenigen des Kindes existenziell verbunden war».  

Müssen wir uns auch verabschieden von dem, was eigentlich eine Familie ist? Nämlich Vater, Mutter und die selbst gezeugten und in neun Monaten durch die Mutter ausgetragenen Kinder? Soll alles, was heute technisch möglich ist, auch gemacht werden dürfen?  

In unserer konsumfixierten Sicht auf das Wunder des Lebens scheinen wir den Kompass verloren zu haben. Natürlich ist es grossartig, dass die Welt so konstruiert ist, dass es uns als Bewohner dieses Planeten möglich ist, viele Krankheiten zu heilen. Ja, dass es sogar möglich ist, ins Erbgut einzugreifen, selber kreativ zu werden und quasi den Schöpfungsprozess mitzugestalten. Aber sind wir überhaupt reif genug zu verstehen, was wir da genau machen? Haben wir begriffen, wie und warum Leben entsteht und ob es vielleicht so etwas wie einen höheren Sinn dahinter gibt? 

Was ist mit den Rechten des Kindes?

Ein junger Theologe, er ist Oberassistent am Institut für Sozialethik an der Universität Zürich, wohnt mit seinem Partner zusammen und mit Zwillingen. Auch sie wurden ausgetragen durch eine Leihmutter. Jetzt hat jeder quasi sein eigenes Kind. Der Theologe und Ethiker bringt das alles locker zusammen. «Liebe und Gerechtigkeit» sei die Botschaft der Kirche. Sie widme sich dem «Seelenheil» und müsse das Versprechen einlösen: «You never walk alone.» Das Thema Leihmutterschaft sei im Übrigen nur «so lange interessant, bis man sich daran gewöhnt hat, dass es eine Realität sei», sagte er dem «Tages-Anzeiger».

Aber heisst diese Realität, dass wir einfach möglichst alle Bedürfnisse befriedigen müssen, die in uns auftauchen oder angelegt sind? Macht uns dies am Ende wirklich glücklicher? Und führt uns das in eine bessere, gerechtere und zukunftstauglichere Welt? Und wie stehts mit der Ethik? Dürfen wir so über andere, ungeborene Leben verfügen? Hat etwa das Kind kein Recht, jene Person zu kennen, die es unter Schmerzen in die Welt gesetzt hat? Kein Recht, seine genetische Abstammung zu erfahren?

Alle diese Fragen scheinen mehr und mehr in den Hintergrund zu treten. In Deutschland, wo die Leihmutterschaft bisher ebenso wie in der Schweiz verboten ist, wird der Ruf immer lauter, die Gesetze anzupassen. Ein Expertengremium der Nationalen Akademie der Wissenschaften empfiehlt, die nicht kommerzielle Leihmutterschaft zuzulassen. Ja die Krankenkassen sollen gar dazu verpflichtet werden, die Kosten von Kinderwunschbehandlungen in Zukunft komplett zu übernehmen. Einzige Bedingung: Die Behandlung müsse «medizinisch notwendig» sein, und es müsse «Erfolgsaussichten» geben. So lasse sich einer bestehenden sozialen Ungleichheit entgegenwirken, heisst es in der Stellungnahme der Experten. 

Leiden kinderloser Paare ist unbestritten

Mit anderen Worten: Der Staat ist dann gut, wenn er möglichst alle individuellen Wünsche erfüllt. Wenn man selber nicht schwanger werden kann, soll man sich einfach einen fremden Bauch mieten können. Fast genauso, wie man sich mit dem Nötigsten für den Alltag eindeckt, schnell etwas im Internet bestellt, soll man auch ein Kind bestellen können.

Um hier nicht falsch verstanden zu werden: Niemand bestreitet, dass Paare darunter leiden, wenn sie sich unbedingt ein Kind wünschen, aber es nicht auf natürlichem Wege gelingen will. Auszüge aus dem Forum «Kinderwunsch.ch» belegen diese seelischen Nöte. Drei Beispiele:

«Jetzt haben wir dreimal die Behandlung gemacht. In der Zwischenzeit sind alle im Freundeskreis Eltern geworden. Aus Frust habe ich mir schon alle Sachen gekauft. Aber nein, alles steht im Keller.»

«Ich habe schon neun Versuche hinter mir, doch leider ohne Erfolg. Mein Leben ist komplett aus der Bahn geworfen. Jeden Abend heule ich nur noch.»

«Ich kann keine Kinder mehr sehen, ohne eifersüchtig zu werden über das Glück, das mir nicht zu Teil wird.» 

Ich will diese Leiden nicht verharmlosen. Aber für manche dieser Möchte-gern-Eltern wächst der Kinderwunsch bis zur Obsession, als ob es im Leben nichts anderes mehr gäbe. Alles wird allein davon abhängig gemacht. Ich halte das für eine fragwürdige Entwicklung. 

Wir müssen aufpassen, dass wir das Leben nicht nur noch als Wunschkatalog erachten, der möglichst umfassend abgehakt werden will. Wir definieren uns nicht mehr darüber, wer wir sind und wie wir den Alltag bewältigen, sondern nur noch darüber, welche Ziele – oder besser: Wünsche – uns das Leben erfüllt hat und vor allem, welche eben nicht. Wünsche, von denen wir glauben, dass sie uns zustehen müssten, uns vom Leben oder von der Gesellschaft quasi geschuldet würden.

Kinderlosigkeit rechtfertigt nicht alles

Das sind Zeichen vom Leben in einer Wohlstandsblase, die uns scheinbar unendliche Möglichkeiten offeriert. Als wäre das Leben ein Warenhaus, in dem wir uns nur bedienen müssen. Durch all die Verlockungen und Versprechungen in der Werbung, durch Influencer-Posts und Vorabendserien mit lauter schönen und reichen Menschen, umweht von ungetrübtem Lebensglück, hat eine alles umfassende Anspruchsinflation eingesetzt. Genau da liegt das Problem unserer Zeit.

Die real existierende Welt mit ihren Herausforderungen und den dringendst zu lösenden Problemen sehen wir bald nur noch vom Sofa aus in den Abendnachrichten. Auf individueller Ebene vermitteln wir den Heranwachsenden von Anfang an: Es ist Wunschprogramm – jedermann soll alles offenstehen. Die Folge dieser Illusion: Sobald irgendetwas nicht aufgeht, wie wir uns das ausgemalt haben, wird in einer Art von demonstrativem Trotz die eigene Unglücklichkeit zelebriert und der Staat dafür in die Pflicht genommen, diesen Zustand zu beenden. 

Wenn unser Körper nicht mehr mitmacht, uns eine Verletzung oder eine Krankheit plagt, gehen wir zum Arzt, wie wir das Auto in die Garage bringen: Bitte reparieren! Die Risiken der Operation blenden wir genauso aus wie das Auftauchen von Hindernissen und Schwierigkeiten im Leben. Schliesslich muss heute alles erreichbar sein. Glück als eine Art Zustand, der sich automatisch einstellen soll, wenn nur genügend persönliche Wünsche erfüllt sind.

Anspruch nach einem perfekten Kind

Entsprechend wird uns die Fortpflanzungsmedizin in Werbebotschaften als eine klinische, blitzsaubere Wohlfühlwelt vorgeführt. Mit lauter beflissenen, hochkompetenten Ärztinnen und Ärzten, die nur eines im Sinn haben: Sie – die Kundinnen und Patienten – glücklich zu machen. Als wäre das Ganze nicht in erster Linie ein knallhartes Geschäft, in dem Kliniken aus aller Welt um Patientinnen buhlen, sondern eine Art altruistischer Dienst an der Menschheit. Als gäbe es ein Menschenrecht auf eigene Kinder, am liebsten mit eigenem happy Home, besonntem Garten und Stubenrein-Katze.  

Dazu passt, dass heute auch der Anspruch da ist, ein vollkommen gesundes, rundum gelungenes Kind zu bekommen. Dafür werden gerne immer mehr Abklärungen in Kauf genommen, sogar risikoreiche. Mit der Folge, dass bei jedem Hinweis, dass die Schwangerschaft in einem Bereich vielleicht nicht ganz den Normen entsprechend verlaufen könnte, die Verunsicherung wächst.

Aber jede Schwangerschaft bleibt ein Risiko. Ein Risiko, dass alles anders kommt. Für die das Kind austragende Mutter und für das heranwachsende Kind. In der Debatte über die Leihmutterschaft werden solche Aspekte meist ausgeklammert. Genauso wie die vielen nach wie vor bestehenden kritischen Aspekte zu den ethischen Fragen, insbesondere jenen zum Schutz der Leihmütter und zu den berechtigten Ansprüchen der Wunschkinder, ihre genetischen Eltern zu kennen. 

«Irgendwie normale Entwicklung»

Die Fakten: Weil Leihmutterschaften in der Schweiz und in Deutschland illegal sind, weichen Wunscheltern in andere Länder aus, wo Babys auf Auftrag zum Geschäft geworden sind. Ab rund 45'000 Franken und nach oben offen gibt es Angebote in der Ukraine. In den USA, wo die Regelungen von Staat zu Staat variieren, ist Kalifornien der Hotspot. Mit klaren Regelungen und vertraglichen Absicherungen, aber dafür deutlich teurer. Ab rund 150'000 Franken ist man dabei. 

Aber wer sich eine Leihmutter im Ausland sucht, muss sich gefasst machen auf Schwierigkeiten bei der Kindsregistrierung in der Schweiz. Viele Wunscheltern beklagen sich darüber, dass sie ihr im Ausland bestelltes Kind wegen des geltenden Verbots in der Schweiz oft nicht anerkennen lassen können. Fehlt nämlich eine genetische Verbindung, etwa weil der Leihmutter die Eizelle einer Drittperson eingepflanzt wurde, wird der Wunschmutter eine offizielle Anerkennung verweigert. 

Darum steigt der Druck, das Geschäft mit der Leihmutterschaft als irgendwie normale Entwicklung zu rechtfertigen. Man müsse einfach die rechtlichen Grundlagen dafür schaffen, die Interessen der Wunscheltern und die Interessen der Leihmütter rechtlich möglichst gut schützen. Dann sei – so wird uns Glauben gemacht – eigentlich alles gar kein Problem.

Gesundheitliche Risiken für die Leihmutter

Munition für die Befürworter einer Liberalisierung liefert ein Bericht der Nationalen Ethikkommission für Humanmedizin vom November 2013. Auf 64 Seiten präsentieren 14 Experten «ethische Überlegungen und Vorschläge für die Zukunft» der medizinisch unterstützten Fortpflanzung. Eine Mehrheit der Fachleute tritt für eine Liberalisierung des Verbots der Leihmutterschaft ein. 

Wichtig sei dabei, dass bei allen Möglichkeiten der medizinischen Fortpflanzung dem Kindeswohl stets die «oberste Maxime» gelte. Aber im gleichen Absatz wird bereits wieder relativiert. Man müsse berücksichtigen, dass es «dieses Kind, dessen Wohl im Voraus gewürdigt wird, schlicht nie geben kann», wenn der Zugang zu einem Fortpflanzungsverfahren unter Berufung auf das Kindeswohl verboten würde.  Das Recht geboren zu werden, zählt also selbst für ein noch gar nicht gezeugtes Kind mehr als jenes von Kindern, die schon gezeugt sind, aber im Rahmen der Fristenlösung auch abgetrieben werden dürfen. Auch die Ethik lässt sich offenbar je nach Fall ganz gut zurechtbiegen.

Es gibt eine Reihe weiterer kritischer Punkte, die gegen das Geschäft mit Mietbäuchen sprechen. Zu nennen sind etwa die gesundheitlichen Risiken für die Leihmutter. Auch wenn diese versicherungsrechtlich abgefedert werden können, bleiben diese Risiken bestehen. Etwa durch die Hormoneinnahmen, die Leihmüttern verabreicht werden. Doch Leihmütter werden in diesem Prozess als eine Art bessere Produktionsmaschinen erachtet, für die es - wie in der Tiermast - nur gewisse Schutzvorschriften brauche. 

Akrobatische Argumentenabwägung

Aber der vielleicht heikelste Punkt betrifft die biologischen Bindungen, die während der Schwangerschaft entstehen. Man weiss heute, wie wichtig Gefühle, Empfindungen während der Schwangerschaft sind – gerade auch für das heranwachsende Kind. Ein Kind im Mutterbauch bekommt sehr vieles bereits aus dieser Phase mit für seinen späteren Weg. 

Die Forschung belegt, dass nicht nur die genetische Prägung die Entwicklung unserer Zellen steuert, sondern dass auch so genannte epigenetische Faktoren einen Einfluss haben. Gene können quasi aktiviert oder deaktiviert werden. Wie die Mutter während der Schwangerschaft lebt, hat also einen Einfluss auf das werdende Kind.  

Aber in einer ziemlich akrobatischen Argumentenabwägung kamen die Experten trotz all dieser Bedenken zum Schluss, das Kind werde ja nicht einfach «seinem Schicksal überlassen, da es von den Wunscheltern übernommen wird, die dem Kind die Fürsorge und Aufmerksamkeit gewährleisten, die es benötigt». 

Beispiele aus Griechenland

Für die Ethik-Experten kommt es dabei auch nicht darauf an, ob die Wunscheltern Mann und Frau, zwei Frauen oder zwei Männer sind. Eine Kommissionsminderheit gab zwar zu bedenken, «es sei von der Natur vorgegeben, dass jedes Kind einen Vater und eine Mutter hat, die für die Entwicklung des Kindes ihre spezifische Bedeutung haben». Doch der Einwand wurde ziemlich salopp beiseite gewischt. Die Natur regle die Dinge schliesslich «auch nicht immer optimal».

Im Grundsatz, so rieten die Experten schliesslich, sollte die Fortpflanzungsmedizin im Bereich Leihmutterschaft auch in der Schweiz liberalisiert werden. Kritisch sei allerdings der kommerzielle Aspekt. Nötigenfalls könnte man Leihmütter deshalb auch nur auf altruistischer Basis erlauben – also ohne Geldleistungen an die Leihmutter. Beispiele aus Griechenland, wo die Leihmutterschaft ohne Entgelt erlaubt ist, sofern Leihmutter oder Wunscheltern in Griechenland wohnen, belegen allerdings, dass solche Vorgaben oft umgangen werden. 

Wohin bewegen wir uns da? Nur weil man argumentieren kann, dass Leihmütterverträge irgendwie gar nicht so schlimm seien und es einzig darum gehe, diese Mütter möglichst gut zu schützen, wird die Produktion von Babys auf Bestellung doch nicht besser. 

Weder sinnvoll noch notwendig

Natürlich leiden Paare, die sich sehnlichst ein Kind wünschen und keines bekommen können. Aber viele Menschen leiden unter Umständen, die ihnen das Leben aufgezwungen hat. Wo das korrigiert werden kann durch die moderne Medizin, sind wir alle dankbar dafür. Aber unerfüllte Sehnsüchte allein rechtfertigen nicht jeden Eingriff. Schon gar nicht solche, die auch andere in Mitleidenschaft ziehen. Bei einer Leihmutterschaft gibt’s aber ausser den Wunscheltern immer noch mindestens zwei weitere Beteiligte. Und eines davon, das ungeborene Kind, kann sich nicht mal dazu äussern. 

Lebenssinn ist nicht nur verknüpft mit eigenen Kindern, sondern damit, was wir tun und wofür wir etwas tun. Gerade auch im Hinblick auf all jene, die nach uns diesen Planeten betreten und sich auch eine lebenswerte Zukunft wünschen. Leihmutterschaften zu befördern, nur weils heute medizinisch möglich ist, ist kein Ziel, das mir vor diesem Hintergrund für unsere Gesellschaft als sinnvoll oder notwendig erscheint.»

Manuskript eines Vortrags, den Beobachter-Chefredaktor Andres Büchi am 13. September 2019 auf Einladung der EDU Bezirk Laufenburg in Frick, AG gehalten hat.