Aufgezeichnet von Peter Aeschlimann:

Die Stahlseile im Schacht geraten in Bewegung, es gigset und surrt. Ich stehe unten und sehe den Lift kommen. Wer sich darin befindet, weiss ich nicht. Die Tür geht auf, und dann steht diese junge Frau mit Rucksack vor mir. Sie steht einfach so da, und ich sage: «Grüessech!» – doch es folgt keine Reaktion. Nach einer Weile sagt die Frau leise: «Ukraine.»

Das ist mir eingefahren. Hier diese hängenden Prachtsgärten, fröhliches Treiben auf der Münsterplattform, das Paradies. Und ein paar Stunden von Bern entfernt tobt ein Krieg.

Nachdem meine Frau gestorben war, sagte ich mir, ich wolle als alleinerziehender Vater mehr Zeit mit meinen beiden Modis verbringen und nicht bis hintenraus arbeiten. Bei einem Aareschwumm im Sommer 2020 sah ich dann zufällig Jüre am Ufer beim Lorrainebad. Ich rief ihm zu: «Jüre, was machst du denn jetzt, da du pensioniert bist?» Er sei Liftboy, schrie er übers Wasser. Ich schwamm also raus zu ihm, und Jüre erzählte mir vom Mattelift. Am Abend schrieb ich eine Mail an die Betreiber: «Was muss ich tun, damit ich Liftboy werden kann?» Nach zwei Wochen rief der Chef an: «Ist es dir ernst?»

«Als Journalist fragte ich nach Geschichten. Jetzt kommen die Leute einfach so zu mir und berichten.»

Peter Maurer

Seit knapp zwei Jahren gehöre ich nun zum Senkeltram-Team. Acht Liftboys und ein Liftgirl, alles Pensionäre, teilen sich die Schichten. Seit Corona fahren wir vorübergehend nicht mehr in der Kabine mit. In den beiden Wintern knipsten wir die Billette in einem gelben Kassenhäuschen; jetzt, da es wärmer wird, hinter einem Spuckschutz an einem Bistrotischchen im Freien.

Zwischen dem Lift und dem Bundeshaus gibt es Parallelen. In den 40 Jahren als Journalist ging ich immer zu den Politikern, hielt ihnen ein Mikrofon unter die Nase und fragte sie nach ihren Geschichten. Jetzt kommen die Leute einfach so zu mir und berichten. Von Aktionen bei Coop und Migros, oder dass sie auf dem Weg zum Friedhof seien, wo ihr verstorbener Gatte ruht. Für manche Menschen bleibt es das einzige Gespräch des Tages.

Es geht immer rauf und runter

Dieser Lift ist mehr als nur ein Lift. Er ist eine soziale Institution. Betrieben von einer privaten Aktiengesellschaft. Die Matte ist geografisch und topografisch deutlich abgetrennt von der übrigen Stadt. Obschon sich das Quartier unten an der Aare in den letzten 50 Jahren stark verändert hat, ist es ein Dorf geblieben. Der Mattelift verbindet das Oben mit dem Unten und das Unten mit dem Oben.

Blick auf den Mattelift in Bern

Die Stadtoberen waren erst gegen den Lift – die Mätteler sollten unten bleiben.

Quelle: Adrian Moser

Als vor 125 Jahren die Idee zum Bau dieses Lifts aufkam, sagten die Stadtoberen: Das unterstützen wir nicht. Er verschandele die Plattform, schrieben die Zeitungen. Dabei wollte man einfach, dass die Mätteler unten blieben. Oben steht das Von-Wattenwyl-Haus, der Erlacherhof, hier lebten die reichen Berner. Unten wohnte der Pöbel, die Büezer, Schiffer und Flösser, gleich neben den verruchten Badhäusern, in denen sich auch Casanova verlustiert haben soll. Heute gibt es Gutbetuchte oben wie unten – Gentrifizierung und Mattelift sei Dank.

Der Lift hat viel mit dem richtigen Leben zu tun: Manchmal geht es aufwärts, manchmal abwärts. Auf dunkle Zeiten folgen helle Momente, so ist der Lauf der Dinge. Wenn im Frühling die ersten Sonnenstrahlen des Tages auf die Stahlkonstruktion treffen, beginnen die Schatten auf der Terrasse zu tanzen. In den Wintermonaten ist es morgens um 6 Uhr noch dunkel wie in einer Kuh. Nur oben beim Lift brennt dann schon ein Licht, fast so, als wäre er ein Leuchtturm. Und die Leute wissen: Dort wartet jetzt jemand, der ihnen einen guten Tag wünschen wird.

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Peter Aeschlimann, Redaktor
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