Johannes Czwalina ist das Rampenlicht gewohnt. Als Kinderstar stand er auf den grossen Bühnen Berlins, füllte als junger Pfarrer jahrelang die Elisabethenkirche in Basel und hält als Unternehmensberater vor der politischen und wirtschaftlichen Elite Reden und Seminare. Trotzdem: Der Mann ist nervös.

In dunkelblauem Zwirn und goldener Krawattennadel steht der 64-Jährige im Aufenthaltsraum seiner Firma im Basler Nobelort Riehen und nestelt an einer Schachtel Wiener Konfekt. Macht Kaffee, öffnet eine zweite Packung Kekse. Zieht die Jalousien gegen die blendende Wintersonne. Setzt sich schliesslich auf einen Designerstuhl, ein Bein elegant übers andere geschlagen. Schiebt die randlose Brille zurecht. Sucht eine CD aus einer Mehrfachhülle heraus, springt auf, spielt eine kurze Stelle ab aus dem Hörbuch «Ein Glückskind» von Thomas Buergenthal, der als Kind die Todesmärsche und die Vernichtungslager von Auschwitz und Sachsenhausen überlebt hat. «Das Buch ist ein Plädoyer für Toleranz, Vernunft und Menschlichkeit. Genau darum geht es mir. Um Verzeihen und Wertschätzung.»

Schmähbriefe und Drohungen

Es ist die Ouvertüre zum Selbsterklärungsversuch eines Menschen, der aus der unumstösslichen Überzeugung handelt, das Richtige zu tun, dafür aber Unverständnis erntet. Ein Missverstandener.

«Seit Jahren befinde ich mich in einem bisweilen grossen Spannungsfeld. Schmähbriefe mit Drohungen auch gegen Leib und Leben waren und sind keine Seltenheit, auf der Strasse wurde ich feindselig angesprochen. Und natürlich schmerzt es, wenn ich als Handlanger des radikalen Islams verunglimpft werde», sagt er. Niemand, der ihn auch nur ein bisschen kenne, käme auf diese absurde Idee. «Aber ich muss das aushalten, weil ich überzeugt bin, dass ich richtig handle. Und weil ich die tiefe Gewissheit habe, dass das, was und wie ich es hier tue, auch in einigen Jahren aus einer anderen Perspektive gesehen wird.»

Er lebe nach dem Leitsatz des früheren tschechischen Präsidenten Vaclav Havel: dass sich Erfolg und inneres Wohlergehen nicht davon ableiten lassen, ob eine Sache gelingt, sondern davon, ob sie richtig und sinnvoll ist.

Richtig und sinnvoll fand es Czwalina vor sechs Jahren, für zehn Franken ein Kleinstinserat in die «Basler Zeitung» zu setzen. Darin bot er an, Bussen zu übernehmen, die muslimische Familien bezahlen mussten, weil sie ihre Kinder nicht in den gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht schicken wollten.

«Ich will den muslimischen Mitbürgern wie allen anderen mit Wertschätzung gegenübertreten.»

Johannes Czwalina, ehemaliger Pfarrer

Natürlich sei er vorbehaltlos für den gemischten Schwimmunterricht. «Und ich distanziere mich aufs Heftigste von jeder Art des radikalen Islams mit seinen Gräueln. Aber ich will den muslimischen Mitbürgern wie allen anderen mit Wertschätzung gegenübertreten.»

Er könne sich nicht vorstellen, dass es wirklich dermassen integrationsschädigend sei, einer Schwimmstunde pro Woche fernzubleiben. Die Bussen hingegen würden die Integration nicht fördern, sondern auf lange Zeit das Gegenteil bewirken. Sie seien wie Antibiotika. Die machten einer Krankheit zwar schnell den Garaus, seien längerfristig für den Körper aber nicht gut. Er wähle lieber ein Naturheilmittel, bei dem die Genesung zwar länger dauere, der Organismus aber keinen Schaden nehme.

«Eine Eigenschaft von mir ist, dass ich lange und gründlich über Dinge nachdenke. Ich bin kein Schneller. Auch über die Frage der Schwimmbussen habe ich mir sehr lange Gedanken gemacht. Und ich bin zur Überzeugung gelangt, dass die, die dieses Gesetz verabschiedeten, nicht zu Ende gedacht haben.» Zudem sei es ein antisemitisches Gesetz, es betreffe ja auch konservative Juden.

Czwalina spricht getragen, klar, in perfekt artikuliertem Hochdeutsch, fast schon druckreif. Mit Vorliebe auch in beispielhaften Bildern. Nicht unbedingt eine Qualität, die ihm viel Sympathie einbringt. Obwohl er seit 1973 in der Schweiz lebt und seit über 30 Jahren eingebürgert ist, wird er von vielen als fremder Fötzel aus dem Grosskanton wahrgenommen, der den Schweizern sagt, wie es richtig geht. Das kommt nicht immer gut an, schon gar nicht in Verbindung mit Kritik.

Die Schmuggelfahrten in den Osten

«Als Unterstützer des oben erwähnten Querulanten (Bussenverweigerer Aziz Osmanoglu, Anmerkung der Redaktion) können Sie ihm ausrichten, er möge bitte mit den Kindern in die Türkei ausreisen. Auch Sie sind in der Schweiz nicht erwünscht, solche Namen passen nicht zu uns!», schreibt ein Wutbürger in einem anonymen Brief, den Czwalina gerade aus dem Briefkasten genommen hat. «Manchmal fühle ich mich, um es derb auszudrücken, wie eine Wichsvorlage für solche Menschen.»

Johannes Czwalina ist unbequem, eckt an. Als Student schmuggelte er acht Jahre lang mit einem umgebauten Fahrzeug politische und religiöse Literatur, Medikamente und Geld in den Ostblock – nicht zuletzt aus Abenteuerlust, wie er gesteht. Als Pfarrer begeisterte er – löste aber auch Ängste aus. Wie einem Rattenfänger von Gottes Gnaden folgten ihm in den achtziger Jahren in Basel so viele Junge, dass die vorher spärlich besuchten Gottesdienste das Fassungsvermögen der St.-Alban-Kirche sprengten und in der grösseren Elisabethenkirche durchgeführt werden mussten. Ein internes Zerwürfnis führte zum Bruch.

1990 wollte der Seelsorger nicht mehr Pfarrer sein. Die Enge der Struktur hätten ihn in seinem Drang behindert, unternehmerisch tätig zu sein, sagt er. Er machte sich als Berater selbständig und gründete die «Gemeinnützige Gesellschaft zur Beratung von Führungskräften in schwierigen Phasen». Sie bietet Hilfe für gestrauchelte Manager, die kein Geld für ein Coaching haben. Aber auch Clochards können auf ihn zählen.

Die Sache mit dem Bahnhäuschen

Czwalina kennt keine Scheu vor verlorenen Schafen. Er beseelsorgte den Ex-SED-Staatssekretär Egon Krenz, der in den Mauerschützenprozessen von 1997 wegen Totschlags verurteilt wurde, genauso den mittlerweile verurteilten Finanzjongleur und Betrüger Dieter Behring. Auch mit der einstigen RAF-Terroristin Verena Becker traf er sich zum vertraulichen Gespräch.

Wie kann er sich mit diesen Verbrechern ins Boot setzen?, fragen sich viele. Mediengeilheit, Geltungssucht, sagen manche. «Jeder Mensch hat das Recht auf Wertschätzung und Wiederaufbau, auch wenn er Dinge getan hat, die wir alle nicht gutheissen können», sagt Seelsorger Czwalina.

Und dann war da noch die Sache mit dem Bahnhäuschen in Riehen, das gegenüber seinem Firmen- und Wohnsitz liegt. Czwalina erwarb es als Gästehaus für seine Kunden. Doch dann lernte er drei Männer kennen, die als Kinder während des Zweiten Weltkriegs mit ihren Eltern in dem Gebäude gelebt hatten. Sie hatten jeweils beobachtet, wie jüdische Flüchtlinge in Schweizer Mannschaftswagen über die Grenze zurück nach Deutschland gefahren und in den fast sicheren Tod geschickt wurden.

Czwalina beschloss, aus dem Häuschen eine Gedenkstätte für jüdische Flüchtlinge zu machen. Er gewann den Basler Mäzen Rudolf Geigy für das Projekt. Für den Anbau verkaufte er seine Eigentumswohnung. «Seither lebe ich in einem Zimmer mit Bad. Solange ich Platz für meine Bücher, einen Fernseher und eine Badewanne habe, ist alles gut.»

Doch in Riehen kam Czwalinas Plan schlecht an, er wurde als Nestbeschmutzer empfunden. Ausgerechnet ein Deutscher wollte die Schweiz in Sachen Holocaust belehren.

«Von einem Tag auf den andern war mein bester Freund einfach weg. Die Mauer war dazwischen.»

Johannes Czwalina

Von der Gnade der späten Geburt merkt man bei dem 1952 geborenen Wirtschaftswunderkind wenig. Er will an der Schuld der Deutschen am Holocaust mittragen. «Ich bin in einer von jüdischen Zwangsarbeitern umgebauten Villa in Wannsee aufgewachsen. Nach der Ermordung der jüdischen Besitzer waren 25 SS-Offiziere dort einquartiert. Sie sollten die Endlösung ausarbeiten», sagt Czwalina. «Das erzählte man mir als Kind natürlich nicht, aber ich spürte, dass in diesem Haus Schreckliches passiert war.» Es schmerzt ihn bis heute, dass sein preussischer Grossvater zwar im Widerstand gegen die Nazis war, sich aber nicht für verfolgte Juden engagierte.

Auch den Berliner Mauerbau erlebte er hautnah. «Von einem Tag auf den andern war mein bester Freund einfach weg. Die Mauer war dazwischen. Von meinem Bett aus sah ich auf einen DDR-Wachturm. Ich hatte Alpträume, dass ich im Bett erschossen würde.»

Das Streben nach Freiheit und Frieden sei wohl auch deshalb sein grösster Motivator. Und dazu brauche es Versöhnung und Wertschätzung. Auch für jene, die anders sind. Deshalb zahlt er die Bussen.