Eine junge Solothurnerin geht in den Ausgang. Sie weiss, dass sie am Coronavirus erkrankt ist und eigentlich zuhause bleiben müsste. «Verordnete Isolation» nennt sich das. Das Resultat: 280 Menschen unter Quarantäne und eine Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen aufnimmt.

Ist das Verhalten der Frau strafbar? Wir wissen es noch nicht. Die Pandemie bedeutet für die Juristen Neuland. Im Strafgesetzbuch gibt es zwar den Artikel 231, «Verbreiten menschlicher Krankheiten». Darin heisst es, wer aus gemeiner Gesinnung eine gefährliche übertragbare menschliche Krankheit verbreitet, wird mit Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren bestraft. Allerdings nur dann, wenn ein Vorsatz vorliegt und – ganz wichtig – eine «gemeine Gesinnung».

Meinungen der Experten gehen auseinander

Eine Zürcher Strafrechtlerin sagt: «Würde man beim Bellevue die Leute fragen, ob das Verhalten der jungen Frau gemein sei, würden wohl die meisten antworten: Aber sicher doch!» Sie habe in Kauf genommen, dass andere in Quarantäne müssen und so ein grosser wirtschaftlicher Schaden entsteht. Sie müsse sich zwar noch vertiefter in die Materie einarbeiten, so die Strafrechtlerin, aber heute hätte sie wohl Mühe, eine erfolgreiche Verteidigung aufzubauen.

Anders beurteilt es Strafrechtsprofessor Felix Bommer. Die Frage könne man nicht losgelöst vom Einzelfall beantworten, sagt er. Es sei bei solchen Delikten stets schwierig, ein Motiv nachzuweisen. Ein weiterer Punkt ist der Nachweis einer Kausalität: Wo und wann genau hat sich eine geschädigte Person tatsächlich angesteckt? Gerade bei Grossveranstaltungen sei es schwierig, den exakten Ansteckungszeitpunkt festzustellen, sagt Bommer.

Im Fall der jungen Solothurnerin bedeutet das: Müsste jemand, der mit der Frau im Ausgang Kontakt hatte, ins Spital, und würde es gelingen, den Ursprung der Ansteckung genau zu ermitteln, wäre ein Schuldspruch wegen vorsätzlicher Körperverletzung denkbar. Dann drohten der Frau eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Bommer: «Reine Sorglosigkeit genügt aber nicht, weder für einen Vorsatz noch für eine gemeine Gesinnung.»

Zu Beginn der Coronakrise hätten einzelne Staatsanwaltschaften ziemlich Dampf gemacht und Verstösse gegen das Distanzgebot gebüsst, sagt Felix Bommer. «Das war in erster Linie ein Zeichen: Leute, die Sache ist ernst!» Er glaube aber nicht, dass Corona ein Dauerbrenner wird für die Gerichte. «Das Virus wird nicht mit strafrechtlichen Mitteln erfolgreich bekämpft.»

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Peter Aeschlimann, Redaktor
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