Herr Hauser, wie kommt man dazu, mit 20 einen Film über eine Vergewaltigung zu drehen?
Ich bewege mich in einem sehr politisch interessierten Umfeld. Als ich mich mit dem Thema zu beschäftigen begann, ging ich mit Freundinnen und Freunden oft an Demos. Da haben wir solche Themen halt diskutiert. «Nur Ja heisst Ja» war bei mir sehr früh präsent, und ich fragte mich, wo denn eigentlich die Grenze ist, ab wann man von einer Vergewaltigung Vergewaltigung Was tun nach der Tat? sprechen kann. Dann begann ich darüber zu schreiben. Damals realisierte ich noch gar nicht, wie oft es zu solchen Situationen kommt, weil man einfach nicht miteinander kommuniziert. Das kam erst, als ich das Drehbuch verschiedenen Leuten schickte und ganz unterschiedliche Reaktionen bekam.


Sie und ich liegen eine Generation auseinander, aber ich beneide Sie nicht: Sex scheint in Ihrer Altersgruppe furchtbar kompliziert zu sein.
Sex ist schon ein Ding (lacht). Wir leben in speziellen Zeiten, mit Tinder und all den Datingplattformen hat man mega schnell Zugriff auf Sex. Was meine Generation Generation Z diskutiert «Sensibilität ist eine Stärke, die unsere Generation ausmacht» unterscheidet von früheren: Wir sind wesentlich besser aufgeklärt und können besser darüber reden. Das tun wir auch, ziemlich oft sogar. Aber ich habe halt auch nur meine eigene Perspektive und lebe in meiner Bubble. Und letztlich sind diese Bubbles sehr unterschiedlich.


Tamara, die Hauptfigur im Film, sagt in der Vergewaltigungsszene weder Ja noch Nein. Für mich war klar, dass der Sex klar gegen ihren Willen geschieht. Welche Reaktionen haben Sie erhalten?
Ich habe sehr viele unterschiedliche Rückmeldungen zu dieser Szene erhalten. An den Festivals, an denen ich den Film zeigen konnte, war es für die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer klar eine Vergewaltigung. Als ich das Drehbuch verschiedenen Leuten zum Lesen gab, erhielt ich ein sehr gemischtes Echo. Vor allem ältere Menschen waren der Meinung, es handle sich nicht um eine Vergewaltigung. Für die Jüngeren war klar, dass es eine war.


Wie argumentierten denn jene, die fanden, es sei keine Vergewaltigung?
Die Leute haben einfach eine Definition von Vergewaltigung im Kopf, mit der sie aufgewachsen sind. Für die ältere Generation bedeutet das: Bei einer Vergewaltigung ist immer massive körperliche Gewalt im Spiel. Demnach hätte es sich bei der Szene im Film nicht um eine Vergewaltigung gehandelt. Aber bei den Jüngeren, die mit der Definition «Nur Ja heisst Ja» aufgewachsen sind, kann ein Geschlechtsverkehr auch eine Vergewaltigung sein, wenn keine physische Gewalt im Spiel ist. Bei den Diskussionen, die ich nach dem Schreiben des Drehbuchs führte, war ein Punkt interessant: Sobald man das Wort «Vergewaltigung» nicht mehr benutzte, konnten sich die Leute viel eher darauf einigen, was in der Szene passiert war. Dann konnte man plötzlich darüber diskutieren, wie man die Situation denn hätte lösen können.


Die weibliche Hauptfigur sagt mal: «Ich weiss gar nicht mehr, was das Wort ‹Vergewaltigung› eigentlich bedeutet. Aber alle tun so, als wäre es etwas mega Spezifisches. Was ich erlebt habe, ist viel komplizierter als das Wort.»
Auf diese Aussage bin ich mega stolz (lacht)!


Sagen Sie es: Was ist in dem Fall eine Vergewaltigung?
Da muss ich kurz überlegen … Wenn man Sex mit einer Person hat, die das nicht will.


Das ist der kleinste gemeinsame Nenner.
Genau. Aber das kann mega komplex werden. Im Film zeigt ja Tamara ihren Vergewaltiger Simi auch gar nicht an. Wenn eine Vergewaltigung aus reiner Nichtkommunikation geschieht und man diese Person dazu auch noch liebt, dann will man sie unter Umständen gar nicht anzeigen. Wir diskutieren über solche Situationen nie, weil die gewalttätige Vergewaltigung so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht.


In der Frühjahrssession hat das Parlament über das Thema diskutiert. Ich habe deshalb eine kleine Medienschau gemacht und festgestellt: Männer in meiner Generation arbeiten sich regelrecht an der Definition ab, was denn eigentlich eine Vergewaltigung sei und was nicht.
Absolut.

«Viele Ältere sehen in der Sex­szene in meinem Film keine ­Vergewaltigung.»

Damien Hauser

Nehmen Sie es auch so wahr, dass sich die ältere Generation mit dem Thema so schwertut?
Meistens waren es ältere Männer, die fanden, die Szene in meinem Film stelle keine Vergewaltigung dar. Für die erste Version des Drehbuchs wurde ich regelrecht auseinandergenommen. Da musste ich auch lernen, zuzuhören. Das ist ja genau das, was die männliche Hauptfigur im Film nicht macht: zuhören.


Wer hat Sie denn so heftig kritisiert?
Eine Kollegin. Wir haben dann stundenlang diskutiert. Aber es ist schön, wenn man über so etwas diskutieren kann, und das auch noch konstruktiv. Das war ein sehr wertvolles Feedback.


Es ist ein Thema, das man gern einfach feministischen Kreisen überlässt.
Das nehme ich auch so wahr. Dabei ist es enorm wichtig, dass sich alle damit beschäftigen, nicht nur Feministinnen.


Im Parlament zeichnete sich während der Session ab, dass sich die abgemilderte Lösung durchsetzen wird, also «Nein heisst Nein». Ihr Film ist jedoch ein ganz klares Plädoyer für «Nur Ja heisst Ja».
Absolut. Ich finde es schade, wenn diese sogenannte Zustimmungslösung nicht durchkommt. Aber bei der Arbeit an meinem Film habe ich gemerkt, wie essenziell die Aufklärung von Jugendlichen ist. Vor allem Jungs denken oft, dass sie nie in diese Situation kommen würden. Aber auch sie müssen lernen, offen zu kommunizieren, denn sexuelle Übergriffe, wie ich sie im Film zeige, geschehen oft, weil man nicht miteinander redet.


Einen gesetzlichen Rahmen braucht es trotzdem?
Natürlich. Aber die Aufklärung ist enorm wichtig, eben gerade, damit Situationen, wie ich sie im Film zeige, nicht schieflaufen. Aber beim Gesetz stehe ich klar auf der Seite von «Nur Ja heisst Ja», also der Zustimmungslösung.

Die Debatte im Film – und im Parlament

Damien Hauser, 21, zeigte diesen Januar seinen Spielfilm «Theo – eine Konversation mit der Ehrlichkeit» an den Solothurner Filmtagen. Darin gehts um die Frage: Ist der missglückte Sex zwischen den beiden Hauptfiguren eine Vergewaltigung?

In der Frühjahrssession diskutierten die eidgenössischen Räte über eine Revision des Sexualstrafrechts. Zur Debatte standen zwei Varianten: «Nur Ja heisst Ja», wo es die explizite Zustimmung beider Partner braucht, gegen «Nein heisst Nein».

Nach Redaktionsschluss stimmte der Ständerat für die sogenannte Widerspruchslösung «Nein heisst Nein». Neu soll auch das sogenannte Freezing berücksichtigt werden: Wenn sich ein erstarrtes Opfer nicht wehren kann, geht man von einer Vergewaltigung aus.

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