Beobachter: Wie können Mediziner feststellen, ob Lärm einen Patienten krank gemacht hat?
Bernhard Aufdereggen: Lärm führt zu Stress und dadurch indirekt zu körperlichen Reaktionen, die krank machen können. Ein Beispiel dafür ist erhöhter Blutdruck. Auch werden in lärmiger Umgebung mehr Herzinfarkte festgestellt. Eindeutige Beweise, dass der Lärm die einzige Ursache für eine Erkrankung ist, haben wir Mediziner jedoch selten.

Beobachter: Was verschreiben Sie lärmgeplagten Menschen?
Aufdereggen: Am liebsten würde ich den Betroffenen 24 Stunden ruhige Umgebung verordnen. Aber dies geht schlecht auf Arztrezept. Ich lote mit den Patienten aus, ob sich etwas ändern lässt, das Schlafzimmer verlegen beispielsweise oder besserer Schallschutz. Manchmal aber bleibt nichts anderes übrig, als ein Schlafmittel zu verschreiben - oder etwas gegen den hohen Blutdruck.

Beobachter: Welche Auswirkungen kann es haben, wenn jemand dauernd Lärm ausgesetzt ist, etwa von einer stark befahrenen Strasse?
Aufdereggen: Diese Menschen sind in ihrem Wohlbefinden stark beeinträchtigt. Sie können den Garten, den Balkon oder auch Teile der Wohnung nicht frei nutzen. Die Kommunikation ist gestört, weil sie ständig lauter miteinander reden müssen. Auch der Schlaf leidet und damit die Erholung. Die Betroffenen sind dadurch weniger leistungsfähig. Wer es sich leisten kann, verlässt die lauten Gebiete. Nur die sozial Schwachen bleiben zurück.

Beobachter: Warum ist Lärm für Kinder besonders schlimm?
Aufdereggen: Ihre geistige Entwicklung leidet. Vereinfacht gesagt: Lärm macht dumm. Kinder in lärmiger Umgebung können sich schlechter konzentrieren, sich weniger merken, weniger gut lesen. Ihre Leistungen in der Schule sacken ab.

Beobachter: Die Menschen sind lärmempfindlicher geworden. Müssen die Grenzwerte in der Lärmschutzverordnung nach unten korrigiert werden?
Aufdereggen: Die Grenzwerte sind teilweise überholt, sie wurden vor 30 Jahren festgelegt, vieles hat sich seither geändert. So ist die festgelegte Nachtruhe von 22 bis 6 Uhr nicht mehr zeitgemäss - die Zeiten haben sich verschoben. Ich sehe das Problem momentan aber weniger bei den Grenzwerten, sondern vielmehr darin, dass die Lärmschutzverordnung nicht konsequent umgesetzt wird. Lärm wird nicht vermindert, es werden nur Erleichterungen gewährt. Man speist die Menschen allenfalls mit Schallschutzwänden oder Schallschutzfenstern ab, und das noch bei unerträglich langen Wartefristen. Dies alles löst das Problem aber nicht an der Quelle, wie es das Gesetz eigentlich vorsieht.

Quelle: Thomas Andenmatten