Vier Totgeburten in Irland, alle vier nach einer Sars-CoV-2-Infektion der Mutter, zwei in Israel. Dort machte der Fall der vierfachen Mutter Osnat Ben Shitrit Schlagzeilen. Sie war 32 Jahre alt, schwanger und liess sich nicht impfen, weil sie Folgen für ihr Ungeborenes befürchtete. Sie erkrankte an Covid-19. Mutter und Kind starben in der 30. Schwangerschaftswoche.

Die Berichte, dass es bei einer Covid-Erkrankung in der Schwangerschaft zu Komplikationen kommt, häufen sich in aller Welt. Die Schweiz hat die Diskussion nicht erreicht. Bislang sind hierzulande auch kaum Frauen geimpft, die ein Kind erwarten.

Erst seit Februar können sich Schwangere in der Schweiz überhaupt impfen lassen. «Auf Druck der medizinischen Fachgesellschaft», sagt Daniel Surbek, Vorstand der Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe und Professor für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Frauenklinik Bern.

«Das BAG hat jedoch darauf bestanden, dass wir sehr klar definieren, welche Schwangere berechtigt ist, eine Impfung zu erhalten.» Im Moment sind das Frauen mit Risikofaktoren, vor allem chronischen Erkrankungen wie Bluthochdruck, koronarer Herzkrankheit, Lungenleiden, Immunkrankheiten – und Adipositas.

Schwere Verläufe in Israel

«Das Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 ist bei Schwangeren dreimal so hoch wie bei gleichaltrigen Frauen, die kein Kind erwarten», sagt Surbek. «Trotzdem schätze ich die absolute Gefahr für die Schwangere und den Fetus insgesamt als gering ein.»

Doch der Fall von Osnat Ben Shitrit zeigt, wie schnell aus einem vermeintlich geringen Risiko eine reale Gefahr werden kann. Israel, das ungefähr gleich viele Einwohnerinnen und Einwohner wie die Schweiz hat, ist beim Impfen Weltspitze. Als Folge davon lockerte die Regierung andere Corona-Massnahmen, und das Virus grassierte in der Bevölkerung. Zwangsläufig steckten sich auch Gruppen an, die bis dato nicht geimpft waren – wie eben die Schwangeren, die zu Beginn der Kampagne keinen Impfstoff erhielten.

Am 20. Januar lagen plötzlich zehn Frauen mit lebensgefährlichem Verlauf von Covid-19 in israelischen Kliniken, deren Kinder per Notkaiserschnitt entbunden werden mussten. Die Zahl der infizierten Schwangeren hatte sich seit November verzehnfacht.

Zugang zur Impfung

Daraufhin rief die israelische Regierung alle Schwangeren ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel zur Impfung auf. Seit Februar empfiehlt sie allen Schwangeren, sich impfen zu lassen – zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft. Denn zwischenzeitlich waren 50 Schwangere mit schwerem Verlauf in Kliniken eingeliefert worden.

Die Gefahr, dass in der Schweiz Schwangere ebenfalls Schaden nehmen, sieht auch Daniel Surbek. «Dieses Risiko besteht, aber bis jetzt waren die Öffnungsschritte zum Glück vorsichtig», sagt der Gynäkologe. «Wenn die Infektionszahlen aber sehr stark steigen, dann werden wir Druck machen, damit sich mehr Schwangere impfen lassen können.»

Die Impfungen gegen Covid-19 für Schwangere sind in der Schweiz strikter limitiert als in anderen Ländern. Neben Israel bieten auch die USA allen Schwangeren eine Impfung an. In Deutschland dürfen Schwangere zur Impfung gehen, deren Risiko darin besteht, dass sie älter als 35 sind.

«Jede Schwangere sollte die Möglichkeit haben, sich impfen zu lassen», sagt Claire-Anne Siegrist, Vakzinologin an der Uni Genf. «Aber das ist nicht das Gleiche, wie eine generelle Empfehlung abzugeben. Dafür brauchten wir Daten zur Sicherheit der Impfstoffe von sehr vielen Schwangeren, und die haben wir noch nicht.»

Gefahr für das Kind?

Tatsächlich gibt es bisher keine abgeschlossene Studie, die belegt, dass Impfstoffe für Schwangere völlig ungefährlich sind. Der Wirkmechanismus der RNA-Impfstoffe Novavax und Curevac Was man von den noch nicht zugelassenen Impfstoffen erwarten kann spricht allerdings dagegen, dass sie einer Schwangeren oder dem Ungeborenen schaden könnten. Sie sind die einzigen Präparate, die in der Schweiz bis jetzt zugelassen sind und in absehbarer Zeit zur Verfügung stehen werden.

Bei RNA-Impfstoffen wird eine «Anleitung» in den Muskel gespritzt, die es zur Produktion des Spikeproteins von Sars-CoV-2 braucht. «Man geht davon aus, dass nur geringste Spuren, wenn überhaupt, auf das Kind übertragen werden», sagte Christoph Berger, Leiter der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF), kürzlich dem Medizinerportal «Medinside».

«Sollte es trotzdem dazu kommen, würde in der Zelle des Kindes das Corona-Spikeprotein produziert und je nach Reife beim Kind eine grössere oder schwächere Immunrektion auslösen.»

Eine solche Immunreaktion ist normal für ein ungeborenes Kind. Und man kann davon ausgehen, dass sie ungefährlich wäre. Bisher sind keine Komplikationen bei den Impfungen von Schwangeren bekannt geworden – und das, obwohl insbesondere in den USA und Israel Zehntausende die RNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna erhalten haben.

«Es gibt einen grossen Bedarf, darüber aufzuklären, dass nicht die Impfung, sondern die Infektion eine ­Gefahr für die Schwangere und ihr Kind ist.»

Daniel Surbek, Professor für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Frauenklinik Bern

Die eleganteste Lösung wäre aber, nicht zu warten und alle Frauen mit Kinderwunsch zu impfen. Bogna Szyk, die schon für Deutschland einen Impfterminrechner programmierte, hat für das Start-up Omni Calculator auch eine Version für die Schweiz gebaut – auf der Grundlage der vom BAG veröffentlichten Impfstrategie.

Szyk hat errechnet, dass eine 27-jährige Frau lange warten muss, bis sie geimpft wird. Vor ihr erhalten 2,1 Millionen andere einen Impftermin, sie wird erst Ende September an der Reihe sein. Das ist aber ein Schätzwert, der sich je nach der Lieferung von Impfstoffen jederzeit noch ändern kann.

Keine Bevorzugung

Klar ist: Frauen, die schwanger werden könnten, sind bislang noch weit davon entfernt, als besonders gefährdete Gruppe beim Impfen bevorzugt zu werden. Weil der Impfstoff rar ist, lässt sich dies in naher Zukunft wohl kaum ändern. In der Taskforce des Bundes wurde zuletzt wohl diskutiert, ob man Frauen raten könne, eine Schwangerschaft hinauszuzögern, bis sie geimpft seien.

Im Moment sei die Stimmung allerdings so, dass sich Schwangere mehr vor den Folgen einer Impfung fürchten als vor Covid-19. Ein Fehler, sagt Daniel Surbek. «Es gibt einen grossen Bedarf, darüber aufzuklären, dass nicht die Impfung, sondern die Infektion eine Gefahr für die Schwangere und ihr Kind ist.» Seine Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe produziert deshalb gerade Videoclips, um Fachärztinnen und Schwangere besser zu informieren.

In Israel hat die Stimmung nach dem Tod der vierfachen Mutter Osnat Ben Shitrit gedreht, nicht zuletzt nach dem eindringlichen Aufruf der Mutter der Verstorbenen im Fernsehen: «Geht und lasst euch impfen», sagt sie auf Channel 13. «Das ist kein Spiel. Es geht um Leben und Tod.»

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