Glaubt man den Lobreden vieler Gynäkologen und Hormonspezialisten, dann gibt es für Frauen jenseits der Lebensmitte vor allem ein Mittel, um gesund und froh zu bleiben: Östrogen. Das Hormon, das Ärzte meist zusammen mit Gestagen – einem weiteren Hormon – verschreiben, soll nicht nur vor lästigen Hitzewallungen schützen und dem Knochenschwund – der Osteoporose – vorbeugen. Es könne auch vor Arterienverkalkung und Herzinfarkt schützen. Sogar das Gehirn soll mit Östrogen jung bleiben: Frauen, die Hormone schluckten oder Hormonpflaster auf die Haut klebten, blieben auch vor der Alzheimerkrankheit gefeit, so lauten die wundersamen Verheissungen der Hormoneuphoriker.

Gemäss der Schweizerischen Gesundheitsbefragung nimmt jede fünfte Frau zwischen 50 und 64 Jahren Hormone, meist als Therapie gegen Wechseljahrbeschwerden oder zur Vorbeugung gegen Osteoporose. Letztes Jahr wurden hierzulande 40 Millionen Franken mit Östrogen-Gestagen-Präparaten umgesetzt, dreimal so viel wie zu Beginn der neunziger Jahre. Hinzu kamen etwa 20 Millionen Franken für Arztkonsultationen – die Hormontherapie gehört für Pharmaindustrie und Ärzteschaft zu den lukrativsten Märkten.

Doch der Mythos der glückselig machenden Präparate wankt. «Mich macht es nachdenklich, wie überzeugt in der Fachwelt eine Behandlungsmethode proklamiert werden kann, ohne dass es wirklich gesicherte Erkenntnisse gibt», sagt die Kölner Ärztin Maria Beckermann, die 240 Studien zu den Wirkungen der Hormontherapie analysiert hat. Die Quintessenz ihrer Arbeit, die sie in der Fachzeitschrift «Swiss Medical Forum» publiziert hat: Der potenzielle Nutzen der Hormontherapie ist geringer als propagiert, der mögliche Schaden grösser als vermutet. Eine Hamburger Hormonspezialistin sprach im «Spiegel» sogar von «einer der grössten Blamagen in der Medizin».

Zwar lassen sich Wechseljahrbeschwerden wie Hitzewallungen und Schweissausbrüche mit Hormonen sehr wirksam lindern. Und gegen eine Therapie, die nicht mehr als fünf Jahre dauert, spricht wenig. «Nicht erwiesen dagegen ist, dass eine langzeitige Hormongabe für gesunde Frauen irgendeinen Vorteil bringt», betont Beckermann. Für die Frauenärztin ist deshalb klar: «Die pharmazeutische Industrie hat Einfluss auf die ärztliche Meinungsbildung, und sie nutzt die Ängste der Frauen vor dem Alt- und Krankwerden. Keine Frau wäre von allein auf die Idee gekommen, zehn, zwanzig oder dreissig Jahre lang Hormone einzunehmen, ohne irgendwelche Beschwerden zu haben.» Das Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Basel hat mit dem Bundesamt für Gesundheit die Verschreibungspraxis bei Frauen zwischen 45 und 65 Jahren untersucht. Auf die Frage, wie lange sie Hormone zu verschreiben gedenken, antworteten drei von vier Ärzten: «So lange wie möglich.»

Die Menopause ist keine Krankheit

«Die Mediziner lernen erst langsam, sich von den alten Glaubenssätzen zu verabschieden», sagt Maria Beckermann. Immerhin habe in der Fachliteratur bereits ein Umdenken stattgefunden – weg von der Hormoneuphorie. «Jede berechtigte Korrektur eines Therapieschemas in der Medizin ist ein Fortschritt», pflichtet Martin Birkhäuser, Präsident der Schweizerischen Menopausengesellschaft, bei. «Wer dahinter aber eine Blamage wittert, arbeitet mit einer falschen Werteskala.» Gleichwohl räumt der Hormonspezialist vom Inselspital Fehler ein: Hormone seien zu oft und in zu hohen Dosen verschrieben worden. «Zudem hat wohl mancher Arzt seine Patientinnen nicht optimal beraten und – aus Zeitnot – lieber ein Rezept ausgestellt.»

Dass Ärzte immer mehr Hormone verschreiben, sieht Birkhäuser auch im veränderten Lebensstil der Frauen begründet: «Eine 55-Jährige, die an einem Schalter arbeitet, kann sich Wallungen eben weniger gut leisten als eine Hausfrau.» Die Therapie müsse sich nach den persönlichen Beschwerden und Bedürfnissen der Patientin sowie nach ihrem Risikoprofil richten. Und: Jede Hormontherapie brauche eine klare Indikation.

«Die Menopause ist keine Krankheit, und Östrogen ist kein Allheilmittel gegen das Altern», hält Theres Blöchlinger vom Zürcher Frauenambulatorium entgegen. «Frauen sollten deshalb nicht allein auf Medikamente abstellen, sondern auch ihren Lebensstil anpassen.» Im Klartext heisst dies: eine lebensbejahende Grundhaltung, gute soziale Kontakte, viel Bewegung und bewusste Ernährung.