Christoph Stokar, soll ich mich entschuldigen, wenn ich niesen muss?
Christoph Stokar: Das hängt von der Situation ab. Im Tram wäre es seltsam, wenn Sie in die Runde schauen und sich entschuldigen würden. Wenn Sie aber in einer Sitzung sind und laut niesen müssen, es vielleicht nicht einmal mehr schaffen, ein Taschentuch hervorzunehmen, und in die Armbeuge niesen, kann eine Entschuldigung angebracht sein. Je formeller eine Situation, desto eher sollte man sich entschuldigen.


Und soll man einem Niesenden nun «Gesundheit!» wünschen oder nicht?
Der deutsche Knigge-Rat empfiehlt, darauf zu verzichten. Weil es den meisten unangenehm ist, auf Körpergeräusche angesprochen zu werden. Aber das Thema Gesundheit hat in der Pandemie eine neue Bedeutung bekommen. Deshalb sehe ich das anders.


Wie denn?
Mit dem «Gesundheit!» drückt man heute wieder vermehrt echte Anteilnahme aus. Weil man hofft, dass sich der oder die Niesende nicht mit Corona ansteckt, einer Krankheit, die sehr gefährlich sein kann.

Zur Person

Christoph Stokar ist selbständiger Texter und Konzepter in Zürich und Autor des Buches «Der Schweizer Knigge. Was gilt heute?».

Christoph Stokar, Buchautor, Schweizer Knigge, Beobachter Edition
Quelle: Privat

War «Gesundheit!» denn nicht immer mitfühlend gemeint?
Vor Corona schwang häufig etwas Egoistisches mit. Man wünschte jemandem Gesundheit und dachte insgeheim: «Hoffentlich steckst du mich nicht an» oder «Kannst du nicht daheimbleiben?». Es gibt sogar die These, dass die Sitte bereits im Mittelalter diese Bedeutung hatte: Weil das Niesen ein Symptom der Pest gewesen sei, habe man nicht dem Niesenden, sondern sich selbst «Gesundheit!» gewünscht. Ich habe aber nie Quellen gefunden, die das bestätigen würden.


Wie niest man möglichst stilvoll?
In einer Sitzung wäre es sehr höflich, den Raum zu verlassen, um draussen zu niesen und sich dort auch gleich die Nase zu putzen.


Und wenn das nicht geht?
Dann hält man ein Taschentuch bereit und wendet sich beim Niesen ab.


Das Niesen sollte man bekanntlich nicht unterdrücken. Aber laut hinausposaunen ist wahrscheinlich nicht die feine Art.
Wenn man es sich noch aussuchen kann, sollte man es so diskret wie möglich machen. Aber die Luft wird mit mehr als 160 Kilometern pro Stunde aus der Nase gestossen, das ist Orkan-Geschwindigkeit. Wir haben es mit einer regelrechten Naturgewalt zu tun. Wer dann noch Herr oder Herrin über all seine Körperfunktionen ist, ist zu beneiden!


Was halten Sie von der Empfehlung, in die Armbeuge zu niesen?
In eine Goretex-Jacke niesen geht ja noch – aber in einen feinen Wollpullover? Da habe ich schon ein wenig Mühe. Aber vom hygienischen Standpunkt her gesehen ist es sinnvoll, weil man so weniger Viren verbreitet Viren-Übertragung durch Aerosole Die Gefahr aus der Luft . Die Pandemie ist noch nicht vorbei, deshalb ist es nach wie vor wichtig, die anderen zu schützen. Das hat ja auch mit Anstand zu tun.


Ist es okay, seine Nase in der Öffentlichkeit zu putzen?
Klar, alles andere wäre schlimmer. Man sollte dafür aber möglichst ein frisches Taschentuch verwenden und nicht ein bereits benutztes.


Darf man so richtig laut ins Taschentuch schnäuzen?
Das würde ich nicht empfehlen. Körpergeräusche sollten so diskret wie möglich sein.

Buchtipp
Der Schweizer Knigge
Buchcover Der Schweizer Knigge

Jemandem im Ernstfall ein Taschentuch anbieten – ist das höflich, oder macht es die Sache möglicherweise noch peinlicher?
In einer Sitzung würde ich das auf keinen Fall machen. Sonst muss man noch erklären, dass es ein frisches Taschentuch ist. Und dabei sind alle Augen auf den armen Niesenden gerichtet. In einem offiziellen Rahmen sollte man so wenig Aufheben wie möglich um einen Nieser machen.


Im Familienrahmen ist es aber nett, ein Taschentuch anzubieten, oder?
Klar. Es braucht immer ein Gespür für die Situation, ob etwas angebracht ist oder nicht. Zeitgemässes Benehmen hat sehr viel mit der konkreten Situation zu tun. Das macht es nicht einfacher. Ich habe auch schon falsch reagiert. Im Moment ist das dann vielleicht ziemlich peinlich, aber es geht ja nicht um Leben und Tod.

Der Beobachter-Gesundheits-Newsletter. Wissen, was dem Körper guttut.

Lesenswerte Gesundheitsartikel mit einem wöchentlichen Fokusthema. Jeden Montag.

Jetzt gratis abonnieren