Marianne Scheu* teilt ihre Karriere mit Britney Spears, Dustin Hoffman und Mozart. Wann alles begann, weiss die Dietlikerin nicht mehr genau. Wohl etwa als sie zehn Jahre alt war. Vielleicht spielte psychischer Stress, die Scheidung der Eltern mit hinein. Vielleicht hat sie es sich auch beim Vater abgeschaut. Vielleicht aber war es schlicht Zufall, eine kindliche Angewohnheit, die mit der kleinen Marianne erwachsen wurde. Die 44-Jährige kaut an ihren Fingernägeln. Ihrem Sohn hat sie sanft ins Gewissen geredet, als er erste Anzeichen zeigte. «Willst du solche Hände wie ich?», hat sie ihn gefragt.

Ohne Scheu zeigt die attraktive Frau ihre Nägel. Nein, schön sind sie nicht. «Ich habe längst aufgehört, meine Hände zu verstecken», sagt sie lächelnd. Die meisten ihrer Nägel sind böse abgeknabbert. Die Fingerkuppen wölben sich über die abgefransten Restnägel. Manche sind eingerissen, vor allem die tief heruntergekauten Daumennägel sehen nach Schmerz aus.

«Auch der Bitterlack lässt sich abknabbern.»

Marianne Scheu, kaut ihre Nägel exzessiv ab


«Mit 20 fand ich das unschön. Ich habe es mit Bitterlack probiert, aber auch der lässt sich nach einer Gewöhnungsphase wunderbar abknabbern», erzählt die kaufmännische Angestellte. Weder ihren Ehemann noch ihren Vorgesetzten störe es. Nur ihr Exfreund habe sich gelegentlich beklagt. «Ihn nervte, dass ich ständig die Hände am Mund hatte.»
 

Nägelkauen ist nicht immer Abbild einer psychischen Störung

Laut Studien kauen in Deutschland rund 15 Prozent aller Erwachsenen an ihren Nägeln, 30 Prozent der Kinder. Zahlen, die laut Silvia Schneider, Professorin am Institut für Psychologie in Basel, auf die Schweiz übertragbar sind. Von harmlosen Nägelkauern, die gelegentlich rissige Stellen begradigen, ist dabei nicht die Rede. Es geht um exzessives Kauen: abgebissene Nägel, verletztes, angeschwollenes Nagelbett, Entzündungen. Das hat etwas Selbstverletzendes, aber auch etwas von Selbstzuwendung. Nägelkauen bedeutet jedoch nicht automatisch eine psychische Störung. Meist ist es eine Reaktion auf Stress, Anspannung und Langeweile.

«Gelegentliches Nägelkauen oder Häutchenzupfen ist normal», sagt Hans-Jürg Brunner, Psychoanalytiker aus Zürich. Verhaltenspsychologen sprechen von Übersprung- oder Leerlaufhandlungen, die meist auftreten, wenn Handlungsdruck besteht. Nägelkauen funktioniert als Entlastung. Verstärkt sich das Verhalten jedoch, kann es zum Zwang werden. «Oft steckt ein negatives Selbstbild, ein Sicherheitsbedürfnis, der Wunsch nach Beschäftigung mit den eigenen Sehnsüchten dahinter», erklärt Brunner. «Dann sollte man sich um die unbewussten Ursachen kümmern.»

Nicht in allen Berufen spielen gepflegte Nägel eine Rolle

Warum manche Menschen an den Nägeln kauen und andere nicht, ist nicht genau erforscht. Tipps, um das beissende Laster loszuwerden, gibt es viele: Sich auf die Hände zu setzen, Handschuhe zu tragen oder die Fingerkuppen zu überkleben dürfte dabei am wenigsten Erfolg versprechen.

Auch Maniküre oder künstliche Nägel können helfen. Da die Nägel etwa 30-mal härter sind als Naturnägel, wird das Abknabbern erheblich erschwert. Und Experten weisen darauf hin, dass modellierte Nägel das Selbstbewusstsein stärken.

Allerdings: Mit Nägeln aus dem Supermarkt kommt man im Alltag nicht weit. Eine intensive Erstbehandlung im Studio kostet rund 160 Franken. Nach 14 Tagen steht die erste Kontrolle an, dann folgen alle vier Wochen Nachmodellationen zu rund 80 Franken. Eine Behandlung kann einige Monate dauern, denn die Nägel müssen in Handarbeit Stück für Stück aufgebaut werden.

Übrigens: Bei Vorstellungsgesprächen fallen abgekaute Nägel kaum ins Gewicht. Der Gesamteindruck zähle, sagt der Pressespecher einer grossen Zürcher Bank. Aber Nägelkauen deute auf Nervosität hin. Viele Personalverantwortliche würden daher ergründen, wie es mit der Belastbarkeit der Person stehe, so der Fachmann. Anders beim Verkauf, dort sind Hände besonders wichtig. Für viele Ladeninhaber gehört deshalb ein gepflegtes Äusseres zum Erscheinungsbild der Verkaufsberater und Verkaufsberaterinnen dazu.

 

*Name geändert

Tipps, die gegen das Nägelkauen helfen

Das hilft gegen das Laster:

  • Ein Tagebuch schreiben in Spannungssituationen, um sich so der Gefühle bewusst zu werden, die diesen Zustand verursachen
  • Drucksituationen vorher durchspielen, zum Beispiel Kunden- oder Vorstellungsgespräche
  • Entspannung suchen, etwa durch Yoga oder autogenes Training
  • Das Selbstbewusstsein stärken, zum Beispiel in einer Therapie.

Es kann sich aber lohnen, Folgendes auszuprobieren:

  • Bitten Sie Freunde, Sie auf die Kauerei aufmerksam zu machen
  • Bitternagellacke schrecken ab. Ein altes Hausmittel: Wermuttinktur. Gibts als Fertigpräparat in der Apotheke.
  • Kaugummis oder Bonbons können zumindest ablenken
Wissen, was dem Körper guttut.
«Wissen, was dem Körper guttut.»
Chantal Hebeisen, Redaktorin
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