Beobachter: Sie reden der Positiven Psychologie das Wort. Sehen Sie sich als Weltverbesserer?
Willibald Ruch: Ich? Nein.

Beobachter: Aber Sie postulieren, die Menschen könnten friedfertiger und glücklicher sein, wenn sie sich ihrer Tugenden bewusst wären und sie gezielter umsetzten.
Ruch: Das ist keine neue Erkenntnis der Positiven Psychologie - das weiss man schon lange. Ziel ist es, erstmals auch die menschlichen Stärken wissenschaftlich zu analysieren und zu klassifizieren. Der laufende Test soll aufzeigen, in welchen Bereichen jeder Einzelne seiner Zufriedenheit und seinem Glück nachhelfen kann.

Beobachter: Ist Glück also lernbar?
Ruch: Davon geht die Testanlage aus. Und Ergebnisse aus den USA bestätigen diese These. Dort zeichnete der Psychologe Martin Seligman drei Lebensstile nach, die bei den Befragten zu Erfüllung und Zufriedenheit führten: Spass und Vergnügen, Engagement und Aktivität sowie persönliche Sinnfindung. Demnach sind Menschen, die Wert legen auf alle drei Lebensinhalte, mit sich und der Welt mehr als zufrieden.

Beobachter: Führt Ihre wissenschaftliche Arbeit zu einem gesellschaftlichen Quantensprung?
Ruch: Nicht meine Arbeit, aber die Stossrichtung der Positiven Psychologie. Darin bahnt sich eine Revolution an. Es geht nicht mehr nur darum, psychische Defizite abzubauen oder auszumerzen. Aufgrund von wissenschaftlichen Messungen sollen Wege aufgezeigt werden, wie Menschen aus eigenen Kräften zu einem ausgefüllten und glücklichen Leben finden. Bisher suchten unerfüllte Zeitgenossen Sinn und Glück bei indischen Gurus oder bei Sekten. Jetzt bietet ihnen die Wissenschaft erstmals eine fundierte Grundlage.

Beobachter: Kann man Zufriedenheit trainieren?
Ruch: Ich habe meinen Studentinnen und Studenten entsprechende Aufgaben zum Thema Dankbarkeit gestellt. Alle hatten während einer Woche schriftlich festzuhalten, was ihnen tagsüber Gutes widerfahren ist und wie oft sie auf Wohlwollen gestossen sind. Diese Übung erhöhte die allgemeine Zufriedenheit nachhaltig. Man muss sich ja nicht immer vorstellen, was alles schief gehen könnte.

Beobachter: Sind Sie selber glücklich?
Ruch: Ich bin zufrieden. Man wird ja an den Forschungsergebnissen gemessen.

Beobachter: Könnten Sie demnach glücklicher sein?
Ruch: Mit einer guten wissenschaftlichen Ausbeute dieser Tests vielleicht schon. Früher galt ich an Kongressen als Exot, wenn ich über Humor oder Glück referierte. Heute bin ich ein Pionier.

Beobachter: Was hat der Test bei Ihnen ergeben?
Ruch: Sie werden lachen, aber ich habe ihn nie zu Ende geführt. Ich denke, bei mir stehen Fairness und Ehrlichkeit hoch im Kurs. Eine Prise Humor wird mitspielen.

Beobachter: Haben Sie Vorstellungen, was der Test über das nationale Charakterbild der Schweizer aussagen könnte?
Ruch: Als Österreicher kenne ich die Schweizer nicht gut genug. Man sagt den Menschen hier Bescheidenheit nach, dass sie nicht mit ihren Erfolgen prahlen. Also nehme ich an, dass das Pendel entsprechend ausschlägt.

Beobachter: Womöglich so stark bis hin zu einem Minderwertigkeitskomplex?
Ruch: Damit nennen Sie eine Schwäche. Das ist nicht im Sinn der Positiven Psychologie.

Beobachter: Welche Stärken könnten aus dem Fragebogen des Dalai Lama hervorgehen?
Ruch: Dem Buddhismus liegen traditionelle Tugenden zugrunde - ich denke, dass das tibetische Oberhaupt von Humanität, Transzendenz und Weisheit geprägt ist.

Prof. Dr. Willibald Ruch ist Leiter der Fachrichtung Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik am Psychologischen Institut der Universität Zürich.