Eine erste Voraussetzung für Vorurteile sind Mängel in unserem Wahrnehmungssystem. Schon Experimente zu optischen Täuschungen zeigen das. Besonders bei der Wahrnehmung anderer Menschen spielen aber auch viele psychologische Faktoren eine Rolle. Eine objektive Wahrnehmung anderer gibt es nicht.

Psychologen haben eine Reihe von Effekten erkannt: So spielt etwa der erste Eindruck eine Rolle. Ist dieser schlecht, haben wir die Person oft bereits abgeschrieben, bevor wir sie näher kennengelernt haben. Der sogenannte Haloeffekt (vom griechischen Wort «halo» für Schein) bewirkt, dass wir von einer Einzeleigenschaft auf den ganzen Menschen schliessen und ihm so natürlich nicht gerecht werden. Wer eine Unordnung im Auto hat, den halten wir gleich für einen unordentlichen oder sogar unzuverlässigen Menschen.

Wir sehen, was wir sehen wollen

Unsere Wahrnehmung ist selektiv. Wir nehmen das bevorzugt wahr, was in unser Weltbild passt und was unseren Vorurteilen entspricht. Wir schauen durch eine gefärbte Brille. Wenn dann etwas eine ganz andere Farbe hat, erzeugt dies eine Spannung. Der US-Psychologe Leon Festinger nannte das «kognitive Dissonanz». Und weil wir es schlecht ertragen, wenn Wahrnehmungen nicht zusammenpassen, biegen wir unsere Weltsicht ein wenig zurecht. Wenn unser bester Freund einen Dritten völlig ablehnt, den wir eigentlich nett fanden, korrigieren wir unsere Ansicht ins Negative, und die Unstimmigkeit ist beseitigt.

Wir haben die Tendenz, nicht nur Fakten, sondern auch Menschen zu schubladisieren: Jugendliche aus dem Balkan sind Raser, alte Leute reden immer nur über Krankheiten, Franzosen sind gute Liebhaber, Blondinen sexy und so weiter.

Die Ursache für all diese Vereinfachungen liegt wohl darin, dass es uns ein Gefühl von Sicherheit gibt, wenn wir die Welt und die Menschen in Kategorien geordnet haben. Wir halten deshalb auch so zäh an unseren Vorurteilen fest.

Das kann für andere, wie für Sie, sehr schmerzhaft sein weil sich nicht wirklich wahrgenommen fühlt, wem voreingenommen begegnet wird. Da Menschen so unterschiedlich sind und sich dauernd wandeln, wird man ihnen nur gerecht, wenn man sich kein starres Bild von ihnen macht. Neben natürlicher Neugier hilft uns dabei unsere angeborene Empathiefähigkeit, unser Einfühlungsvermögen. Spiegelnervenzellen in unserem Gehirn lassen uns mit Gefühlen anderer Menschen mitschwingen. So können wir erkennen, wie es ihnen geht, und spüren, wer sie sind.

Weniger voreingenommen: So gehts

Im schlimmsten Fall führen Vorurteile zu Rassismus und Diskriminierung und richten viel Leid an. Aber auch im Alltag haben Mängel in der Personenwahrnehmungeine grosse Bedeutung. Kinder können sich nur optimal ihrem Wesen gemäss entwickeln, wenn sie von den Eltern vorurteilslos wahrgenommen werden. Auch wer fixe Vorstellungen von seinem Partner entwickelt hat, nimmt ihn nicht mehr wirklich wahr. Der oder die Betroffene wird sich zunehmend ungeliebt fühlen. Mutter Teresa soll einmal gesagt haben: «Wenn du Menschen beurteilst, hast du keine Zeit, sie zu lieben.» Vorurteile sind lieblos.

Aber man kann sich von ihnen lösen, wenn man sich an einige Vorsätze hält:

  • Bewahren Sie sich einen Anfängergeist, bleiben Sie neugierig, interessieren Sie sich ganz einfach für die Welt und die Menschen.

  • Verfeinern Sie Ihre Fähigkeit, sich in andere Menschen einzufühlen.

  • Entwickeln Sie eine Sensibilität für eigene Vorurteile: Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung.

  • Entwickeln Sie die Bereitschaft, Menschenbilder und Weltbild jederzeit zu revidieren.

  • Wenn Sie Menschen mit Vorurteilen begegnen: Versuchen Sie, ihnen die Augen für die Wirklichkeit zu öffnen.