Leserfrage von Andreas Z.: «Wieso fällt es uns so schwer, eigene Schwächen wie Eifersucht oder Neid zu akzeptieren?»

Antwort von Koni Rohner, Psychotherapeut FSP:

Weil wir Ideale haben. Und Eifersucht und Neid diesen Idealen widersprechen.

Allerdings: Nicht alle sind da so empfindlich. Einige wenige können nach dem Motto leben: «Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.» Aber die meisten möchten nicht nur einen guten Ruf haben, sondern auch den Ansprüchen an sich selbst genügen.

Und woher kommen diese Ansprüche? Sie stammen aus unsern Idealen. Wir wissen, wie es sein sollte, wie die Welt sein sollte, wie wir sein sollten.

Wir müssen uns mit dem Unperfekten abfinden

Der griechische Philosoph Platon kam in seiner Ideenlehre vor zweieinhalbtausend Jahren zum Schluss, dass die Ideale, die vollkommenen Ideen, wie er sie nannte, irgendwo von Anfang an vorhanden sein müssen. Nicht hier unten auf der materiellen Erde, sondern irgendwo im Jenseits.

Da findet sich die Idee der Gerechtigkeit oder die Idee der Liebe. Wir können die Ideen erkennen, aber müssen uns damit abfinden, dass in unserem Alltag nur unvollkommene Abbilder existieren. Weder die Liebe noch die Gerechtigkeit sind in unseren Institutionen oder in unseren Beziehungen perfekt. Aber wir wissen, wie es idealerweise sein müsste, und sind enttäuscht, wenn wir oder die andern dahinter zurückbleiben.

Wir messen uns an Idealen

Man muss nicht unbedingt daran glauben, dass es die Ideen irgendwo gibt, aber man muss anerkennen, dass Menschen Ideale bilden und sich und andere daran messen. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass wir Menschen verehren, von denen wir glauben, dass sie der Vollkommenheit nahe sind oder waren – wie Gandhi oder Nelson Mandela.

Anfang des letzten Jahrhunderts hat Sigmund Freud eine psychologische Theorie zur Erklärung der menschlichen Idealbildung entwickelt. Er ging davon aus, dass wir uns und die Welt am Anfang unseres Lebens für vollkommen halten. Wenn wir dann durch Konfrontation mit der Realität und durch Frustrationen lernen, dass dem nicht so ist, bewahren wir die Vorstellung der Vollkommenheit in unsern Idealen. Wir bauen uns ein Ich-Ideal, wie es Freud nannte, dem wir nacheifern wollen. Wir möchten gute Menschen sein, ohne Charakterschwächen, ohne Angst, Fehl und Tadel. Misslingt uns dies, treten Schamgefühle auf. Aufgrund unserer Ideale bauen wir laut Freud auch ein Über-Ich auf, eine kontrollierende Instanz, die uns ein schlechtes Gewissen macht, wenn wir gegen unsere eigenen Normen verstossen.

Man sollte nicht zu streng mit sich sein

Die Struktur dieses Über-Ichs ist es auch, die bestimmt, wie sehr wir unter unseren Schwächen leiden. Sein Aufbau hängt nämlich stark mit der Erziehung zusammen. Wenn Eltern die Schwächen ihrer Kinder Erziehung So stärken Sie das Selbstbewusstsein des Kindes zwar sehen und benennen, ihnen aber zeigen, dass sie sie trotzdem lieben, entsteht ein mildes Über-Ich, das dem Erwachsenen erlaubt, grosszügiger mit seinen Schwächen umzugehen. Reagieren die Eltern auf kindliche Schwächen aber mit Strafe oder gar Liebesentzug, entsteht ein überstrenges Über-Ich, das den Erwachsenen mit Selbstvorwürfen, Schuldgefühlen und Scham quält, wenn er seine Ideale verfehlt.

Ideale sind nötig und geben uns die Richtung unserer Persönlichkeitsentwicklung an; wir können jederzeit noch etwas bessere Menschen werden. Aber wenn sie zu hoch oder zu starr sind, können sie zerstörerisch wirken.

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Tipps für den Umgang mit den eigenen Schwächen
  • seine Schwächen mutig erkennen und die Augen nicht davor verschliessen;
  • sich bewusst bleiben, dass Schwächen nur Einzelzüge der Person sind und uns nicht als ganze Menschen entwerten;
  • sich daran erinnern, dass die Ideale nur im Himmel existieren;
  • an Personen denken, die man trotz ihrer Schwächen liebt, und erkennen, dass das funktioniert;
  • die Erkenntnis der Schwäche als Chance sehen, daran zu arbeiten und sich so seinen Idealen zu nähern.
Wissen, was dem Körper guttut.
«Wissen, was dem Körper guttut.»
Chantal Hebeisen, Redaktorin
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