Der Psychiater klagt sein Leid dem Patienten. Ein Geldproblem. Zu wenig habe er, um eine langwierige Finanzgeschichte endlich zum Abschluss zu bringen. Er bittet um 210'000 Dollar, aber höchstens für zwei bis drei Wochen. Dann will er alles zurückbezahlen – mit einer «beträchtlichen zusätzlichen Überweisung».

Das irritiert den 30-jährigen Patienten. So viel Geld hat er sowieso nicht. Vielleicht aber seine Mutter. An sie dachte auch der Psychiater. Der Sohn teilt es ihr mit. Im November schreibt ihr der Arzt einen längeren Brief.

«Gute Projekte» wolle er unterstützen, heisst es darin. Dafür habe er in den vergangenen vier Jahren ein Portfolio mit Wertschriften angelegt. Gerade als er es liquidieren wollte, habe man ihm aber – zu sehr vorteilhaften Konditionen – ein zusätzliches Investment angeboten. Er habe sich darauf eingelassen.

Vor zwei Jahren schon gefragt

Jetzt müsse er weiteres Geld einschiessen, bevor er das ganze Vermögen irgendwann liquidieren könne. Darum das Darlehen. Welche Projekte der in evangelikalen Kreisen engagierte Psychiater aus der Region Zürich unterstützen will, schreibt er nicht.

Die Mutter sagt: «Es beunruhigt mich sehr, dass ein Arzt über Patienten nach Geldquellen für undurchsichtige Investitionen sucht.» Umso mehr, als der Arzt das Gleiche bereits vor zwei Jahren bei ihr versucht hat. Es ging ebenfalls um «gute Projekte und Anliegen», die er «noch grosszügiger» mit Hilfe eines Investments unterstützen wolle. Anfänglich habe sich dieses auch gut entwickelt. «Doch dann sorgte der Finanzberater für Intransparenz», schrieb der Psychiater 2015 in einem Brief und rechnete mit einem «Worst Case Scenario» – mit einem Totalverlust.

Unter massiven Druck geriet er, weil er bereits Darlehen von fünf anderen Personen angenommen hatte – angeblich keine Patienten, wie er auf Anfrage erklärt. Die Gläubiger wollen endlich ihr Geld zurück. Die kontaktierte Mutter gewährte dem Arzt nie ein Darlehen. «Aber andere fühlten sich vielleicht dazu genötigt.»

Der Beobachter legte die Schreiben des Psychiaters der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) vor. Als Mitglied muss sich der Psychiater an die Standesordnung der Verbindung halten. Die FMH kommt zu einem klaren Schluss: «Ein Arzt darf weder Patienten noch deren Angehörige um ein Darlehen bitten. Er würde damit die gebotene professionelle Distanz zum Patienten und dessen Umfeld nicht einhalten und ein Abhängigkeitsverhältnis missbrauchen.»

Der Psychiater räumt inzwischen Fehler ein. «Ich habe mich auch bei der Frau entschuldigt», behauptet er.

Opfer eines Vorschussbetrugs?

Vieles in seinen Briefen deutet darauf hin, dass er Opfer eines Betrugs geworden ist. Eines sogenannten Vorschussbetrugs, bei dem grössere Geldsummen versprochen werden. Um angeblich an diese zu kommen, muss das Opfer zuerst eine verhältnismässig geringe Zahlung leisten. Auf die erste Forderung folgen dann weitere. Die Betrüger kassieren, die grosse Summe scheint immer fassbar, bleibt aber unerreichbar. 

War der gläubige Arzt hier zu leichtgläubig? Er will sich nicht zu Details seines Investments äussern. 

Er müsse diese Angelegenheiten jetzt selber regeln, sagt er am Telefon. Das mit dem Betrug könne er aber nicht ausschliessen. Auf weitere schriftliche Fragen antwortete er nicht. 

Die Zürcher Ärztegesellschaft will das Verhalten des Arztes jetzt abklären.

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Jasmine Helbling, Redaktorin
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