Die Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) ist beim Bundesgericht mit ihrer Verbandsklage abgeblitzt. Ende 2017 hatte die Organisation zum Diesel-Skandal zwei Klagen gegen den Volkswagen-Konzern und den Autoimporteur Amag eingereicht: eine Schadenersatzklage für rund 6000 Betroffene und dazu noch eine Verbandsklage (der Beobachter berichtete). Mit letzterer tritt ein Verband als Kläger auf, aber nicht um eigene Rechte geltend zu machen, sondern diejenigen der Allgemeinheit.

Das Handelsgericht Zürich hatte im Sommer 2018 aus formellen Gründen beschlossen, auf die Verbandsklage nicht einzutreten, also sie inhaltlich gar nicht zu beurteilen. Danach zog die SKS weiter vor Bundesgericht. Während die Schadenersatzklage in Zürich noch hängig ist, hat die höchste Instanz bei der Verbandsklage einen Entscheid gefällt. Zu Ungunsten der Konsumentenschützer. Der Grund: Die Manipulationen seien schon lange bekannt und gestoppt worden. Wieso das für Schweizer Konsumenten weitreichende Konsequenzen hat, erklärt SKS-Geschäftsleiterin Sara Stalder im Interview.

 

Beobachter: Warum haben Sie nebst der Schadenersatzklage gegen VW und Amag noch eine Verbandsklage eingereicht?
Sara Stalder: Das Gericht sollte bestätigen, dass VW und Amag unlauter gehandelt, also unfair geschäftet haben. Darauf hätte man sich bei der ebenfalls laufenden Schadenersatzklage stützen und damit die Chancen für einen Erfolg erhöhen können. Ein positives Urteil hätte zudem den Weg für andere Konsumentinnen und Konsumenten geebnet, die Klagen einreichen wollen, und nicht an unserer Schadenersatzklage beteiligt sind. Dieser kann man sich nämlich nicht mehr anschliessen. Für die anderen Betroffenen hätte das die Ausgangslage verbessert. 

Jetzt hat das Bundesgericht gegen Sie entschieden. Was heisst das für die Konsumentinnen und Konsumenten?
Nach diesem Entscheid haben wir ein Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb, das punkto Verbandsklage nichts taugt. Das politische Instrument der lauterkeitsrechtlichen Verbandsklage ist damit de facto tot. Jeder kann gegen faire Geschäftspraktiken verstossen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Denn sobald der Missstand ans Licht kommt, kann man die illegale Tätigkeit einfach stoppen. Klagen laufen dann ins Leere. Denn nach der Logik der Gerichte ist die Abgasmanipulation ja schon lange bekannt. Deshalb kann keine sogenannte fortdauernde Störung bestehen, die es legitimieren würde, rechtlich gegen die Unternehmen vorzugehen. Das heisst: Man kann nicht mehr feststellen, dass es unlauter war, weil der Anbieter es nicht mehr tut. 

Wenn ein Unternehmen den Missstand behebt, kann man es also nicht mehr belangen?
Genau. Uns ist völlig unbegreiflich, dass das Bundesgericht das Gesetz so eng ausgelegt hat. Wir sind sehr wohl der Meinung, dass das Verhalten der Angeklagten bis heute Auswirkungen hat, nämlich beim Wertzerfall der Autos. Die betroffenen Fahrzeuge, die als besonders umweltfreundlich zu einem überhöhten Preis verkauft wurden, verloren beim Auffliegen des Skandals ausserdem schlagartig an Wert auf dem Occasionsmarkt. Zudem sollten Übeltäter auch dann noch verurteilt werden können, wenn sie ihr Verhalten schon geändert haben.

Kann man jetzt überhaupt noch gegen unlauteren Wettbewerb vorgehen?
Die Verbandsklage hat sich als wertlos erwiesen, aber es gibt natürlich noch andere Möglichkeiten. Unlauter ist relativ viel – vom Sterne-Eintrag missachten bis zum fragwürdigen Webshop. Auf unserer Webseite hat es Formulare, in denen man Fälle von unlauterem Wettbewerb melden kann. Wenn wir genügend Einzelfälle haben, können wir entweder selber Strafanzeige einreichen oder sie dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) übergeben, damit dieses reagieren kann. Das Seco wird jedoch erst ab einer relevanten Fallzahl aktiv. Auch mit Öffentlichkeitsarbeit und schlechter Presse lassen sich Missstände bekämpfen. 

Für die Schadenersatzklage hat der Bundesgerichtsentscheid ja keine Konsequenzen. Hat das andere Verfahren mehr Chancen auf Erfolg?
Wir sind sehr zuversichtlich. Bestätigt sehen wir uns nicht zuletzt dadurch, was in anderen Ländern passiert. Dort enden Klagen gegen VW mehrheitlich zugunsten der Kunden. Schadenersatz wird gezahlt oder Autos werden ersetzt. Das ist ein gutes Zeichen. Wir hoffen, dass das auch in der Schweiz so geschehen wird. 

Planen Sie jetzt Vorstösse, um die rechtlichen Rahmenbedingungen zu verbessern?
Im Moment läuft die Revision der Zivilprozessordnung. Darin ist eine kleine Verbesserung für Gruppen-Verfahren vorgesehen. Auch der Zugang zum Rechtssystem soll vereinfacht werden, indem Kostenschranken und das Prozessrisiko gesenkt werden. Aber Gruppenklagen sind in der Wirtschaft sehr umstritten. Man fürchtet sich vor einer Klageflut. Dabei geht es überhaupt nicht darum, in der Schweiz ein System nach amerikanischem Vorbild zu errichten. Solche Massenklagen wären weiterhin nur sehr eingeschränkt möglich. Nach dieser Niederlage vor Bundesgericht müssen wir uns jetzt umso mehr für ein gutes Gelingen dieser Revision einsetzen. Sonst hat der einfache Bürger schlicht kein Rechtsinstrument, um gegen Anbieter vorzugehen, von denen er ausgetrickst wird, ohne ein unverhältnismässiges finanzielles Risiko auf sich zu nehmen. 

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Tina Berg, Redaktorin
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