Aufgezeichnet von Jessica King

«Angefangen hat alles mit Gamen. Vor zwei Jahren habe ich über Kollegen PC-Spiele wie ‹League of Legends› kennengelernt. Zuerst spielten wir zusammen, dann verbrachte ich immer mehr Zeit allein vor dem Bildschirm. Irgendwann sass ich täglich fünf bis sechs Stunden dran, an Wochenenden länger. Ich liess mich bei Familienessen nicht mehr blicken, sagte nur noch ‹Hoi› und ‹Tschüss›. Auch bei den Freunden meldete ich mich nicht mehr. Kam eine SMS, ob ich etwas unternehmen wolle, schrieb ich: ‹Keine Lust.›

Irgendwann haben meine Eltern reagiert und mir zuerst das Internet abgestellt, dann den Computer weggenommen. Weil ich nicht wusste, was ich sonst mit meiner Zeit anfangen sollte, habe ich zum Handy gegriffen. Ich fing an, stundenlang Videos auf Youtube zu schauen – zu Hause, in der Schule, in den Pausen. Teilweise war es mir auch völlig egal, was deren Inhalt war. Ich klickte einfach wahllos weiter.

«Es ist tagtäglich eine enorme Anstrengung, der Verlockung zu widerstehen.»

Mathias*, 18, Schüler

In dieser Zeit wuchs in mir eine grosse Leere. Ich wusste, dass mir etwas fehlte, ich nicht glücklich war. Aber ich konnte das Gefühl nicht deuten. Ich wusste nur, dass es mir unangenehm war. Deshalb habe ich die Unsicherheit verdrängt und zum Handy gegriffen, um mich abzulenken. Ich merkte auch, dass meine Gedanken im Unterricht oft abschweiften, weil ich mich nicht mehr konzentrieren konnte. Auch die Hausaufgaben machte ich nicht mehr.

Irgendwann haben meine Eltern die Notbremse gezogen und mich zusammen mit ihnen für eine Therapie angemeldet. Aber es veränderte sich nichts, sie zogen sich resigniert zurück. Zum Glück war meine Schwester bereit, mich weiter in die Therapie zu begleiten – allein hätte ich es nicht geschafft. Hier merkte ich langsam, wie viel Zeit ich vor dem Bildschirm verbrachte. Manchmal kommen mir die letzten Jahre vor wie ein Traum. Gar nicht real. In der Therapie habe ich gelernt, meine Freizeit zu planen. Jetzt schreibe ich genau auf, was ich mit der leeren Zeit anfangen kann, anstatt nur mein Handy hervorzukramen. Ein Buch lesen. Gitarre spielen. Sport machen.

Aber auch wenn ich nach fünf Monaten Therapie immer öfter gute Tage habe, ist es eine enorme Anstrengung, der Verlockung zu widerstehen. Eine Whatsapp-Nachricht zu schreiben, ohne auf ein Video zu klicken. Es ist perfid: Um mit meinen Freunden zu kommunizieren, brauche ich mein Handy. Aber klicke ich einmal daneben, bin ich schon wieder mittendrin. Es geht schnell.

Manchmal habe ich einen besonders schlechten Tag. Dann muss ich alle Apps schliessen, das Internet abstellen und mit Freunden nur noch per SMS kommunizieren. Weil ich weiss, dass ich mich nicht selber im Griff habe. Mein Ziel ist, irgendwann wieder sorgenfrei das Internet benutzen zu können. Ohne die konstante Angst, mich darin zu verlieren. Aber gamen – das werde ich wohl nie wieder können.»

*Name geändert

Fakten zur Handysucht

In der Schweiz gelten rund fünf Prozent der 12- bis 19-Jährigen als handysüchtig. «Die Zeit, die jemand am Smartphone verbringt, ist aber nicht das Hauptkriterium für eine Sucht», erklärt Franz Eidenbenz, Leiter des Zürcher Zentrums für Spielsucht und andere Verhaltenssüchte. Wichtiger sei, ob eine Person die Kontrolle über den Konsum verliere und sich in der digitalen Welt abkapsle – oder trotzdem reale Freundschaften pflege und im direkten Austausch mit der Umwelt stehe.

Die Gefahren des exzessiven Gebrauchs sozialer Medien sind das eine. Zusätzlich können Handys andere Verhaltenssüchte wie Glücksspiel-, Kauf- oder Pornosucht begünstigen, weil das Gerät und damit das Internet dauernd und überall zur Verfügung steht. Laut Eidenbenz sind Handys ein erheblicher Risikofaktor bei der Verbreitung solcher Süchte.

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Quelle: Thinkstock Kollektion