Elf Tage dauerte die Reise vom Prättigau in die Antarktis. Als ich vor einem Monat endlich auf der Forschungsstation ankam, musste ich erst einmal vier Tage ins Quarantänezelt. Ein Kollege im Team hatte Covid eingeschleppt. Da blieb nichts als Tee trinken und abwarten. 

Wir sind hier auf der französisch-italienischen Polarstation Concordia. Sie liegt auf Dome C, einer Eiskuppel in 3233 Metern Höhe auf dem ostantarktischen Hochplateau. Etwa 1100 Kilometer von der Küste entfernt. Ganz schön abgelegen. Weil die Atmosphäre über den Polen dünner ist, entsprechen Druck und Sauerstoffgehalt etwa denen eines Viertausenders bei uns in den Alpen. Und unter unseren Füssen liegt ein Eisschild von fast drei Kilometern Dicke. 

Die Landschaft ist einzigartig: Eine weisse, flache, aber vom Wind gezeichnete Schneedecke reicht bis zum Horizont und verschwindet langsam. Keine Berge, keine Farben ausser einem Übergang von Schneeweiss zu Himmelblau. Monoton und unaufgeregt. Eigentlich kein Ort, an dem sich ein Mensch aufhalten möchte. Einzig unsere Station, die Zelte, die Kabelleitungen auf den Holzpfosten und die Trucks lassen die gewaltigen Dimensionen erahnen. Die Weite ist für mich kaum fassbar. Man könnte loslaufen, und es würde Tage später noch genauso aussehen.

Ich bin technischer Mitarbeiter am Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos und verantwortlich für die Kältelabore. Wegen einer wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit dem Institut für Geowissenschaften und Umwelt in Grenoble haben wir ein Projektexperiment beim französischen Polarinstitut eingereicht. Vor fünf Jahren durfte ich es auf Dome C aufbauen, und jetzt wiederhole ich das bis Ende Januar. 

Harte Arbeit für die Wissenschaft 

Vereinfacht gesagt sammeln wir Daten darüber, wie sich Schneekristalle zu Eiskörnern wandeln. Wir untersuchen, wie sich verschiedene Isotope des Sauerstoffs im Eis verteilen. Das sind Atome mit unterschiedlich schweren Kernen. Für die Wissenschaft ist das extrem wichtig, um Rückschlüsse auf die globale Temperatur zu ziehen. Die Isotope sind sogenannte Klimaindikatoren. Mit ihrer Hilfe können Klimadaten aus der Vergangenheit gewonnen werden.

Es ist wunderbar, nochmals in der Antarktis arbeiten zu können – Pinguine, Eisberge und das Meereis auf dem Weg nach Dome C an der Küste zu sehen. Ich habe mich sehr darauf gefreut. Die Arbeit draussen auf dem Hochplateau unter teils unwirtlichen Bedingungen kann hart sein. Aber die Angst vor Neuem und die Unsicherheit, was auf einen zukommt, ist diesmal viel kleiner. Es macht definitiv mehr Spass. Es fühlt sich vertraut an, hier zu sein, es läuft gut.

Einzig meine Partnerin daheim vermisse ich sehr. Aber bisher verging die Zeit schnell, das ist sicher ein gutes Zeichen.

Erträgliche Temperaturen um minus 38 Grad Celsius

Die Sonne geht hier nie unter, es ist 24 Stunden hell. Weisse Weihnachten sind garantiert, auch wenn es derzeit Sommer ist. Und der katabatische Wind, ein Fallwind wie bei uns der Föhn, weht konstant. Momentan sind die Temperaturen erträglich, um minus 38 Grad Celsius, aber mit dem Wind fühlt es sich an wie minus 50. 

Kleidermässig kann man das gut stemmen: zwei Paar dicke Socken, lange Unterhosen, eine Fleece- und eine wasserdichte Hose, Langarmshirt, Fleecejacke, synthetische Daunenjacke und darüber eine Polarjacke. Wichtig ist, immer zwei Paar Handschuhe zu tragen. So kann man, wenn mehr Fingerspitzengefühl gefragt ist, die dicken Handschuhe ausziehen – ohne dass man plötzlich mit nackten Händen dasteht. Für die Unterziehhandschuhe wurde mir Possum-Merino empfohlen, bestehend aus Hohlhaar wie bei den Eisbären, was extrem gut isoliert. Den Kopf schütze ich mit einer Sturmhaube, einem Buff über Mund und Nase, einer Mütze und einer Skibrille. Nur dass die Brille anläuft, wenn man schwitzt, nervt ziemlich. 

An Weihnachten und Neujahr haben wir nachmittags frei, und die Köche werden sich kulinarisch ins Zeug legen. Einen Plastikbaum und Glitzerzeugs gibt es auch. Mein Weihnachtsgeschenk von den Kollegen aus Davos habe ich aber schon während der Quarantäne ausgepackt, weil mir so langweilig war – ein Krimi von Philipp Gurt, «Bündner Irrlichter», das war ein super Zeitvertreib.